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19. Points Of View - Konzepte und Sequenzen
20. Cornelius Völker „Vom Erscheinen und Verschwinden der Dinge“
21. Louis-Ferdinand Céline „Krieg“
22. Sherko Fatah „Der große Wunsch“
23. Giovanni di Lorenzo „Vom Leben und anderen Zumutungen“
24. Steffen Kopetzky „Damenopfer“
Dienstag 26.12.2023
Points Of View - Konzepte und Sequenzen
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Die Photographische Sammlung SK Stiftung Kultur wurde 1992 gegründet, mit dem Ziel, Photographie „im dokumentarischen Stil“ zu erfassen und zu dokumentieren. Der erste Erwerb der Institution galt dem bedeutenden August Sander-Archiv, das, wie auch alle späteren Anschaffungen konservatorisch und wissenschaftlich betreut wird. Mittlerweile umfasst die Sammlung über 40 000 Objekte von über 100 Photographinnen und Photographen aus dem Zeitraum von 1860 bis 2010.
Einen Einblick in die Bereiche Portrait, Landschaft, Botanik, urbanes Leben und Architektur bietet mit 471 Abbildungen der vorliegende Katalog „Points Of View – Konzepte und Sequenzen“, der die ständige Ausstellung in Köln begleitet. Hier sind unter anderem Arbeiten von Diane Arbus, Boris Becker, William Christenberry, Hugo Erfurt, Walker Evans, Claudia Fährenkemper, Candida Höfer, Albert Renger-Patzsch, Tata Ronkholz, Hugo Schmölz, Wilhelm Schürmann, Otto Steinert, Bernd und Hilla Becher und natürlich August Sander enthalten.
„Kein Tag vergeht heute, ohne dass weltweit Milliarden von Photographien erstellt werden, die meisten wohl mit dem Mobiltelefon“, beginnt eine Einführung in den Sammlungsbestand von Gabriele Conrath-Scholl, der dem Fototeil des Katalogs vorangestellt wird. Conrath-Scholl verweist in ihrem Text auf die Entwicklung und ständige Erweiterung der Photographischen Sammlung und vor allem darauf, dass die Photographie es ermöglicht, Aspekte der Realität „relativ unverfälscht zu dokumentieren“. Sie zitiert diesbezüglich eine Aussage von Hilla Becher, die davon spricht, dass die Stärke der Photographie in der realistischen Wiedergabe der Welt besteht. Auf diese Art ist es möglich, die jeweilige Gegenwart zu konservieren und der Nachwelt zugänglich zu machen.
Gleiches gilt auch für diesen Band, der von Schirmer/Mosel in ausgezeichneter Qualität editiert wurde und damit die Sammlungsbestände zumindest in Ausschnitten einem breiten Publikum zugänglich macht.
Helga Brauer

Points Of View
Konzepte und Sequenzen
Hrsg. v. Die Photographische Sammlung SK Stiftung Kultur

Abbildungen:

- August Sander
Familie von Lehrer Geisler, 1910
Sander: © Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur; VG Bild-Kunst, Bonn 2023

- Gabriele & Helmut Nothhelfer
Tanzendes Paar beim Pfingstkonzert im Zoologischen Garten, Berlin, 1974
Nothhelfer: © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

- Francesco Neri
Vater mit seinen Freunden, Casola Valsenio, 2013
Neri: © Francesco Neri
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Montag 18.12.2023
Cornelius Völker „Vom Erscheinen und Verschwinden der Dinge“
Noch bis zum 7. Januar 2024 zeigt der Düsseldorfer Kunstpalast Arbeiten von Cornelius Völker. Der 1965 in Kronach geborene Maler hat an der Düsseldorfer Kunstakademie bei A.R. Penck und Dieter Krieg studiert und lebt seitdem in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt.
Völker gehört zu den figurativen Malern, die sich vertrauten Motiven und Alltagsgegenständen in kräftigen Farben nähern. Sein Blick auf Menschen, Tiere, Pflanzen, bis hin zu Bücher- und Zeitungsstapeln vermittelt eine Art der grellen Sachlichkeit, die einerseits, was seine Motive betrifft, traditionell wirken. Andererseits bringen eben jene starken Farben und die großformatige wie plastische Gestaltung der Vorgaben Transparenz und Realität in die Arbeiten. Trotz dieser Klarheit und dem überquellenden, radikal-leuchtenden Farbspektrum ist es eine ästhetische Poesie, die sofort gefangen nimmt.
Völker malt seine Bilder nach originalen Motiven, nutzt kaum Fotografien oder andere bildliche Hilfsmittel. Insofern sind seine Werke Teil und Ausschnitt der Wirklichkeit, als eine Abstraktion der Realität. Das wird auch an der Genauigkeit der Formen und den Details seiner Sujets deutlich. Er arbeitet zum Beispiel an den Bücherstapeln die wulstigen Ränder und geschundenen Umschlagseiten plastisch heraus, zeigt die Meerschweinchen als greifbare, flauschige Wollknäule, wobei der markant gelbe oder intensiv hellblaue Hintergrund etwas surreal Poppiges in die Bilder bringt. Bei seiner Jägermeister-Ramazzotti-Flaschenbatterie glaubt man erst an eine flüchtige Fotografie, bis sich die Formen und Farben deutlich als Malerei zu erkennen geben. Die Bilder offenbaren immer Direktheit, keine verschatteten, oder auf emotionale Stimmungen ausgerichteten Arbeiten. Die Klarheit und Fleischigkeit der Farben und Schärfe der Konturen sind unerbittlich, wie im Licht von Scheinwerfern. Mitunter wirken sie distanziert bis unterkühlt.
Der aus dem Hause Schirmer/Mosel stammende Ausstellungskatalog „Vom Erscheinen und Verschwinden der Dinge“ beeindruckt durch eine hervorragende Druckqualität. 185 Seiten, auf denen ein Großteil der 85 Ölgemälde und 50 Papierarbeiten der in Düsseldorf ausgestellten Werke wiedergegeben sind. Vorangestellt ist dem Bildteil ein einfühlsamer Essay von Kay Heymer, Leiter Moderne Kunst, Stiftung Museum Kunstpalast, Düsseldorf und eine Einführung von Maite van Dijk.
Jörg Konrad

Cornelius Völker
„Vom Erscheinen und Verschwinden der Dinge“
Schirmer/Mosel

Abbildungen:

- Mann, 2007
Öl auf Leinwand, 220 x 150 cm

- Feuerzeug, 2010
Öl auf Leinwand, 240 x 160 cm

- Buchkanten, 2008
Öl auf Leinwand, 190 x 120 cm

- Cornelius Völker
Vom Erscheinen und Verschwinden der Dinge
Hrsg. vom Museum Kunstpalast, Düsseldorf, und Museum MORE, Gorssel
Mit Texten von Kay Heymer und Maite van Dijk
192 Seiten, 110 Farbtafeln
ISBN 978-3-8296-0990-6
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Mittwoch 13.12.2023
Louis-Ferdinand Céline „Krieg“
Die Entdeckung des vorliegenden Manuskripts könnte selbst der Stoff für einen Roman sein. Louis-Ferdinand Céline, Antisemit und Rassist und gleichzeitig großer Literat, musste als französischer Kollaborateur und Verfasser etlicher Hetzschriften 1944 beim Vormarsch der Alliierten Paris bei Nacht und Nebel verlassen. Er türmte über Baden-Baden und Sigmaringen nach Dänemark, wo er schon zuvor vorsorglich seine Ersparnisse deponiert hatte. In Kopenhagen lebte er kurze Zeit unerkannt – wurde dann aber verhaftet und kehrte erst sechs Jahre später nach Frankreich zurück.
Die in seiner Wohnung aufgrund der abrupten Flucht hinterlassenen literarischen Arbeiten/Skizzen/Manuskripte, immerhin 6000 Seiten, galten seither als verschollen. Sie tauchten erst vor einigen Jahren wieder auf, wobei ihr Weg bis heute nicht ganz geklärt ist. So jedenfalls konnte sechzig Jahre nach dem Tod des einstigen Skandalautors ein neuer Roman von Louis-Ferdinand Céline erscheinen, der speziell in Frankreich umgehend alle Verkaufsrekorde brach.
In „Krieg“ verarbeitet Céline eigene Erlebnisse aus dem 1. Weltkrieg. Ferdinand, die Hauptperson, wird auf dem Kriegsfeld in der Nähe von Ypern in Flandern schwer verletzt, von einem englischen Soldaten geborgen und in ein kleines nahes Städtchen in ein Lazarett verbracht. Hier, in einer zum Lazarett umfunktionierten Kirche und dessen Umgebung spielt die Handlung des Romans. Ferdinand freundet sich mit Cascade an, einem Soldaten, der sich eine Schusswunde zugefügt hat, um dem Kriegsinferno zu entfliehen. Später wird dieser von seiner Ehefrau denunziert und aufgrund der begangenen Selbstverstümmelung als Deserteur exekutiert.
Das packende an diesem gerade einmal knapp 140seitigem Manuskript ist dessen Sprache, in der Céline seinen „Krieg“ erzählt. Er findet eine beeindruckende und für ihn sehr typische Form zwischen grobschlächtiger Alltagskommunikation, die von einer deutlichen Kriegsverrohung gekennzeichnet ist, und einer ausdrucksstarken Poesie, die hohen literarischen Anspruch erfüllt. Selbst die derben und mit Alpträumen und Schrecken angereicherten Sequenzen lesen sich anschaulich, sind psychologisch klug durchdacht und dramaturgisch hocheffizient umgesetzt. Dadurch erhält der Text eine sehr bildhafte Komponente, als bestünden einzelne Abschnitte aus virtuellen Szenen. Im übertragenen Sinn kein Drehbuch, aber eine Art geschriebener Film.
Die Frivolität seiner Gedanken und Sätze scheint dem Untergangsszenario des Krieges zu entsprechen. In den Sätzen finden entfesselte Ideen ihren Ausdruck, so wenn Céline vom Krieg schreibt, der ihn im Kopf erwischt hat, oder „ … das linke Ohr fest an den Boden geklebt mit Blut, den Mund auch. Zwischen beiden gewaltiger Lärm ...“. Die Schrecken dessen, was sich auf den Schlachtfeldern zuträgt, ist mit genormten Sätzen und regelrechter Grammatik nicht mehr auszudrücken. Beinahe jede Szene erhält bei ihm einen erschütternden Beigeschmack. Die Verzweiflung ist allenthalben zu spüren. Kein Heldentum nirgends.
Gerhard von Breuste

Louis-Ferdinand Céline
„Krieg“
Rowohlt
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Mittwoch 29.11.2023
Sherko Fatah „Der große Wunsch“
In Sherko Fatahs Roman „Der große Wunsch“ sucht ein Vater nach seiner verlorenen Tochter. Murad, ein deutscher Intellektueller mit kurdischen Wurzeln, begibt sich auf die Reise in das Herkunftsland seines Vaters, in das gefährliche Grenzgebiet zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak. Seine Tochter Naima ist verschwunden, ohne Abschied und Erklärung. Er und seine geschiedene Frau, eine Deutsche, wissen nur, dass Naima im Internet einen Gotteskrieger kennengelernt hat und ihm ins Kampfgebiet des IS gefolgt ist.
Sherko Fatah wurde 1964 in Ostberlin als Sohn eines kurdischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren. In all seinen Büchern befasst er sich mit dem Aufeinandertreffen der europäischen und der arabischen Kultur, mit Entwurzelung und Gewalt.
Der Roman ist großartig erzählt. Landschaften sind für Sherko Fatah ein Spiegel der Seele, wie er in einem Interview sagt. Schon das erste Kapitel erzeugt in eindrucksvollen, an starken Bildern reichen Landschaftsschilderungen eine Stimmung von Verlorenheit und Gefahr. Murad hat sich in die Berge an der syrischen Grenze fahren lassen, eine Welt von karger Weite und herber Schönheit. Auf dem einsamen Rückweg durch Nebel und Schnee verliert er die Orientierung, wird von wilden Hunden verfolgt und schafft es nur mit Mühe zurück in das archaische türkische Dorf, in dem er sich einquartiert hat.
Hier wartet er auf zwielichtige Mittelsmänner, die behaupten, eine Spur zu seiner Tochter gefunden zu haben. Um die Leere zu füllen, unternimmt Murad zusammen mit seinem Fahrer Ausflüge in die Umgebung, in eine Region, die von Krieg und Gewalt geprägt. Ist. Sie stoßen auf ein kurdisches Militärlager und auf eine Höhle voller Skelette, erschreckende Überreste des Genozids an den Armeniern.
Zu den Menschen im Dorf hat Murad wenig Kontakt. Die lange Zeit des Wartens verbringt er vor allem mit Nachdenken. Nachdenken über sich selbst, sein Leben, über seine Tochter und darüber, wie unbegreiflich und fremd sie ihm geworden ist. Nirgends findet er Gewissheiten, zunehmend verliert er den Boden unter den Füßen.
Fatah schildert in seinem Roman die Wurzellosigkeit eines Mannes zwischen den Kulturen, der weder im Land seiner Väter noch in Deutschland eine wirkliche Heimat hat.
Der Name der Hauptfigur, „Murad“, bedeutet im Arabischen „Der große Wunsch“. Murads Tochter Naima verwendet den Namen ihres Vaters als ihr Computer-Passwort. Sein größter Wunsch ist, Naima zu finden und aus den Fängen des Gottesstaates zu befreien. Aber was ist der große Wunsch seiner Tochter, was hat sie zu ihrem radikalen Schritt bewogen? Wie kann sich eine junge Frau, die in Sicherheit, Freiheit und Wohlstand aufgewachsen ist, einer Terrororganisation wie dem IS anschließen? Trifft ihn als Vater eine Schuld? Hat auch sie sich in Deutschland fremd gefühlt und nach einer Heimat gesucht? Hat sie plötzlich die Religion als Halt entdeckt? Oder ist sie einfach aus Verliebtheit einem jungen Mann ins vermeintliche Abenteuer gefolgt? Und wie verhält sie sich zu den unmenschlichen Gräueltaten der Gotteskrieger? Fragen, auf die es im Buch keine Antworten gibt.
Von seinen Mittelsmännern erhält Murad immer wieder Nachrichten von der Frau, die angeblich Naima sein soll. Fotos zeigen eine tiefverschleierte Muslimin. Er kann sie nicht identifizieren. Sporadisch werden ihm Audiofiles zugespielt, die aus dem online-Tagebuch seiner Tochter stammen sollen. Er ist sich nicht sicher, ob es sich wirklich um ihre Stimme handelt. Die Verbindung zu ihr findet nur auf der digitalen Ebene statt, die Wahrheit über Naima bleibt quälend unklar, wenn die Botschaften auch bruchstückhaft Einblicke in die düstere Welt einer Terroristin ermöglichen.
Anfangs fühlt sich die Frau noch als Teil einer Gemeinschaft, die einen berechtigten Kampf gegen die Unmoral und Verkommenheit des kapitalistischen Westens führt. Sie hat sich einer Hisba angeschlossen, einer Fraueneinheit des IS. Diese kontrolliert, ob die Menschen der Stadt sich an die Vorschriften des Kalifats halten und meldet kleinste Verstöße der Religionspolizei. Doch zunehmend scheint die junge Frau von Einsamkeit, Zweifeln und Angst gepeinigt zu werden. Ihre Berichte über Grausamkeiten der Gotteskrieger häufen sich und kulminieren in einer Folterszene an einer Schwangeren.
Sherko Fatah hat einen vielschichtigen, faszinierenden Roman über Fremdheit, Sinnsuche und Fanatismus geschrieben, der in einen hochspannenden, überraschenden Schluss mündet. „Der große Wunsch“ stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Zu Recht.
Lilly Munzinger, Gauting

Sherko Fatah
„Der große Wunsch“
Luchterhand
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Dienstag 21.11.2023
Giovanni di Lorenzo „Vom Leben und anderen Zumutungen“
Was haben Robert Habeck, Viktor Orban, Reinhold Messner, Udo Jürgens, Umberto Eco und Christian Drosten gemeinsam? In ihren Persönlichkeiten wird man wohl vergeblich nach überlagernden Lebens-Mustern oder verbindenden Charaktereigenschaften suchen. Aber sie alle sind in einem Buch des Journalisten Giovanni di Lorenzo (friedlich) vereint. „Vom Leben und anderen Zumutungen“ (Kiepenheuer) enthält einige seiner bekannt empathischen Interviews, die er in den Jahren 2014 bis 2023 führte.
Aufschlussreich gerät gleich das Vorwort, in dem di Lorenzo über den Verlauf eines Interviews mit Helene Fischer schreibt: „.... als wir uns endlich in einem Münchner Hotel zum Interview trafen, wurde es ein angenehmes, offenes Gespräch ….Helene Fischer wirkte sehr reflektiert und sympathisch“.
Doch das Management der Sängerin redigierte das Gespräch für eine Veröffentlichung dermaßen, dass die ZEIT, als Auftraggeber, überlegte, ob sie diesen überarbeiteten Text überhaupt abdrucken sollte. Die Redaktion entschied sich kurzfristig für eine Veröffentlichung und versah das Interview aber mit einem informierenden Kommentar. Das hatte wiederum zur Folge, dass der Nachdruck des Interviews für das vorliegende Buch vom Management Helene Fischers verweigert wurde.
Andere Interviewpartner scherten sich hingegen nicht im geringsten um das Autorisieren ihrer Antworten. Viktor Orban oder Recep Erdogan kümmerten sich gar nicht einmal um etwaige inhaltliche Klarstellungen. Auch Papst Franziskus hatte kaum Beanstandungen und winkte den Inhalt förmlich durch.
Eindrucksvoll verlief hingegen das Gespräch mit Daniel Cohn-Bendit, der über seine jüdische Identität spricht; mit Robert Habeck, der auch hier gewinnbringend über seine Politik und die Maßnahmen zur Klimaneutralität referiert; mit Reinhold Messner, der über Glück und Weltuntergang spricht; oder mit der Podcasterin Sabine Rückert, deren Pragmatismus und Blick auf die Welt imponiert. Es sind die Themen der Zeit, wie die Pandemieerfahrungen, die Flüchtlingskrise, der weiter zunehmende Rassismus, das Verhältnis der Kulturen untereinander, die hier sehr individuell und geistreich diskutiert werden,.
„Vom Leben und anderen Zumutungen“ beinhaltet insgesamt über 340 auch unterhaltsame Seiten, die von di Lorenzos subtilen Fragestellungen leben und mit denen er seine jeweiligen Gesprächspartner zum ausführlichen und konzentrierten Reden bringt.
Jörg Konrad

Giovanni di Lorenzo
„Vom Leben und anderen Zumutungen“
Kiepenheuer & Witsch
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Montag 13.11.2023
Steffen Kopetzky „Damenopfer“
Erst im Oktober dieses Jahres erschien in der ZEIT eine Reportage, die (ost-)europäische Nachtzüge zum Inhalt hatte. Ja, es gibt sie tatsächlich in unserer heutigen Zeit. Und laut dem Autor funktionieren diese Verbindungen tadellos und sind absolut empfehlenswert – zumindest wenn die Zielorte Rijeka, Prag oder Warschau lauten. Wer hier so leidenschaftlich und detailliert von diesen nächtlichen Abenteuern schwärmt, weiß wovon er spricht. Steffen Kopetzky jobte während seines Philosophiestudiums in München nämlich als Schlafwagenschaffner. „Ich studierte in Schwabing, aber die Bahnhofsviertel von Neapel, Paris, Florenz und Genua waren meine Spielplätze, wo ich schön langsam das Erwachsenenalter anzupeilen begann“, schreibt er und veröffentlichte zehn Jahre später den Roman „Grand Tour oder die Nacht der Großen Complication“, in dem er seine Erlebnisse teils autobiographisch verarbeitete.
Seitdem hat sich der 1971 in Pfaffenhofen an der Ilm geborene Kopetzky zu einem der interessantesten deutschsprachigen Autoren entwickelt. Auch mit seinem neuen Roman „Damenopfer“ taucht er, wie schon in den vorigen Büchern „Risiko“, „Propaganda“ und „Monschau“, tief in die Geschichte des letzten Jahrhunderts ein.
In „Damenopfer“ erzählt er von und über die russisch/sowjetische Schriftstellerin, Dissidentin und Spionin Larissa Reissner (1895-1926), deren Ziel es war, gemeinsam mit dem Rote-Armee-General Tuchatschewski und einem gewissen Oskar von Niedermeyer eine Weltrevolution zu organisieren. Hierfür versuchte sie kurz nach dem ersten Weltkrieg eine geheime Allianz zwischen der Sowjetunion und dem deutschen Militär zu vermitteln. Ausgangspunkt für diese Idee waren unter anderem strategische Pläne, die sie als sowjetische Gesandte im afghanischen Kabul entdeckte. Diese stammten von eben jenem Oskar von Niedermayer, der, ähnlich wie einst Lawrence von Arabien versuchte das Britische Empire zu stürzen. Niedermeyer gehörte schon zu den paradiesischen Protagonisten in Kopetzkys Roman „Risiko“.
Kopetzky vereint wie schon in seinen vorherigen Romanen so auch in „Damenopfer“ zeithistorische Recherche und Fiktion, um letztendlich eine packende Handlung und einen lebendigen Historienbezug zu entwerfen. Doch anders als in seinen letzten Büchern erzählt er seine Geschichte nicht fortlaufend dem Ablauf der Ereignisse entsprechend, sondern setzt biographische Facetten Reissners mosaikartig zusammen. Er lässt in einzelnen Kapiteln Zeitgenossen von ihr auftreten, schreibt, wie sie als Kind Lenin kennenlernte, wie Trotzki und Boris Pasternak, auch Maxim Gorki von ihrer intellektuellen als auch sinnlichen Anziehungskraft beeindruckt waren, lässt selbst Ho Chi Minh zu Wort kommen und zeigt die Bolschewikin als eine von politischer und erotischer Leidenschaft geprägten Femme fatale.
Kopetzkys Verdienst ist es, diese weibliche Figur der Weltgeschichte, die mit nur 30 Jahren in einem Moskauer Krankenhaus an Typhus verstarb, als Komintern-Agentin dem Vergessen zu entreißen. Dies ist ihm auf beeindruckende Weise gelungen.
Jörg Konrad

Steffen Kopetzky
„Damenopfer“
Rowohlt
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Autor: Siehe Artikel
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