Seit Oktober 2022 gehört Schluifelder zum Team eines großen neuen Kulturprojekts, dem Bergson Kunstkraftwerk in Aubing am westlichen Stadtrand von München, das im April als "einzigartiger Ort für Konzerte, Kunst, Gastronomie und Events" eröffnet wird. Interview für den Internationalen Frauentag von Sebastian Scotney
Sebastian Scotney: Gab es einen Moment in deinem Leben, in dem du wusstest, dass die Verantwortung für Live-Veranstaltungen ein wichtiger Teil deines Lebens sein würde?
Anna-Marie Schluifelder: Ja, das war im Januar 2006, als ich die große Chance bekam Leiterin der Veranstaltungsabteilung einer bekannten Tourismusdestination in Bayern (Bad Wörishofen, 80km von München entfernt) zu werden. Musik und Konzerte waren privat schon immer sehr wichtig für mich. Beruflich aber kam die Liebe dazu dann tatsächlich durch die Tätigkeit. Es war total verrückt, denn ich wurde damals mit gerade mal 22 Jahren Leiterin eines städtischen Veranstaltungsbüros, ohne vorher jemals eine Veranstaltung organisiert zu haben. Ich habe eine journalistische Ausbildung, ich war also die absolute Quereinsteigerin und es war learning by doing. Ich blieb 13 Jahre. Du kannst Dir vorstellen, dass der Job ein sehr wichtiger Teil meines Lebens war. Wir haben dort jährlich über 3.000 Veranstaltungen angeboten, der Stadt war das kulturelle Angebot sehr wichtig. Das war meine große Schule und ich bin unendlich dankbar für diese Chance.
SC: Und war der Jazz schon immer da ... oder kam er plötzlich?
A-MS: Ausgewiesener Jazzfan war ich 2006 noch nicht, aber ein großer Bluesfan. In Bad Wörishofen fand auch ein Jazzfestival statt, es gibt dort ein wunderbares altes Kino, das war der Veranstaltungsort.
Das Festival wurde 1991 von Bürgern in privater Initiative ins Leben gerufen, die Stadt unterstützte das Projekt aber von Anfang an. Als Leiterin der Veranstaltungsabteilung war ich deshalb Teil des „Arbeitskreises Jazz“. Ich traf auf wunderbare Menschen, wurde mit offenen Armen aufgenommen, habe viel gelernt, durfte aber auch viel beitragen. Das Festival - und damit der Jazz - wurden zu meinem Herzensprojekt. Der Festivalgründer Horst Fröhlich ist bis heute einer meiner besten Freunde und ich habe ihm sehr viel zu verdanken, 13 Festivals haben wir gemeinsam veranstaltet.
SC: Für Leser, die die Münchner Jazzszene nicht kennen: Was waren die großen Entwicklungen der letzten Jahre?
A-MS: Mich hat besonders die junge Szene sehr beeindruckt. Ich hatte das Glück in der Unterfahrt viele Studierende des Jazz-Instituts der Hochschule für Musik und Theater München erleben zu dürfen. Und ich bin sehr glücklich darüber jetzt beobachten zu können, wie diese großen Talente erfolgreich ihren Weg gehen. Shuteen Erdenebaatar zum Beispiel, Nils Kugelmann, Alma Naidu, Enji Erkhem… und viele andere.
Ich würde mir wünschen, dass die Münchner Szene insgesamt mehr Aufmerksamkeit erhält. Aber vielleicht können wir da ja mit dem Bergson einen Beitrag leisten.
SC: Menschen in deiner Position entwickeln einen "sechsten Sinn" für das, was schiefgehen könnte, und sorgen dafür, dass die Dinge richtig laufen... gibt es ein Beispiel, auf das du stolz bist?
A-MS: Ha, ja, das ist sicher richtig! Wenn man sehr regelmäßig Live-Konzerte mit international tourenden Musiker*innen organisiert, dann passiert so einiges. Man kann nur vorbauen und die guten Rahmenbedingungen schaffen, was spontan passiert, damit kann man nicht kalkulieren. Das weiß jede Veranstalter*in. Wichtig ist, einen kühlen Kopf zu bewahren und Lösungen zu finden, auch mal um die Ecke zu denken. Und vor allem im Vorfeld auch auf alle Kleinigkeiten zu achten, damit die Künstler*innen es möglichst leicht haben, sich wohlfühlen und einen erfolgreichen Gig spielen können. Ich denke das macht den Unterschied. Das kann ich sehr gut und darauf bin ich stolz.
SC: Was ist Bergson? Und beschreibe Deine Rolle und warum Du gerne dort bist.
A-MS: Das Bergson Kunstkraftwerk ist eine spektakuläre, ganz neue Venue in München und dabei ein privat initiiertes Projekt. Unsere Basis ist ein altes Heizwerk aus den 1920er-Jahren. Ein beeindruckendes, wunderschönes Gebäude, das die Eigentümer umbauen und es der Kultur gewidmet haben. Das Ziel ist ein kulturelles Gravitationszentrum zu schaffen, einen Ort, an dem Kultur anders dargeboten und erlebt werden kann. Alles, was dort an Musik passiert, machen wir selbst oder veranstalten wir selbst. Wir haben zum Einen die Jazzrausch Bigband als resident band. Darüber hinaus haben wir einen Stamm an 100 lokalen Musiker:innen aus dem Jazz und der Klassik aufgebaut, die Bergson Artists, die in unseren Eigenproduktionen zu erleben sein werden. Und wir bieten Bands eine Bühne, die wir richtig gut finden. Für das Booking bin ich verantwortlich und ich leite das Künstlerische Betriebsbüro, bin also auch für die Organisation und die reibungslosen Abläufe zuständig.
Das Bergson bringt Kunst, Kultur, Events und Gastronomie zusammen und das in einem architektonisch aufregenden Gebäude, das sehr ästhetisch und geschmackvoll ausgestattet ist. Wir haben neben den unterschiedlichsten Veranstaltungsräumen auch 2.000 Quadratmeter Galeriefläche im Haus, dazu ein eigenes Restaurant mit Tagesbar und Biergarten. Es vereint ganz viel von dem, was mir persönlich viel bedeutet. Und das Team ist unglaublich!
SC: Erzähl uns von den Spielräumen und Deiner Rolle. Hoffnungen, Träume.
A-MS: Ich wünsche mir, dass das Projekt in seiner Einzigartigkeit die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient und viele Menschen zu uns kommen. Damit die Vision Wirklichkeit wird und die viele Arbeit und der Mut belohnt werden.
SC: Stimmt es, dass die beiden Leute, Leo Betzl und Roman Sladek, die vor allem durch ihre Arbeit mit der Jazzrausch Big Band bekannt sind, jetzt deine Kollegen bei Bergson sind? Wie wird das funktionieren?
A-MS: Leo Betzl gehört zu unseren Bergson Artists, er wird also viel auf unseren Bühnen zu erleben sein. Und Roman Sladek ist mein Chef. Er ist unser Artistic Director und leitet die Geschäfte der Bergson Kultur GmbH, die für alles Kulturelle im Haus verantwortlich zeichnet. Das ganze Projekt ist ja ein Privatunternehmen, wir erhalten keine öffentlichen Fördergelder. Gleichzeitig ist das Bergson das neue Zuhause seiner Jazzrausch Bigband. Bei Roman laufen die Fäden zusammen, sein Pensum ist unglaublich. Denn die Bigband existiert ja auch noch außerhalb des Bergsons und tourt regelmäßig. Aber wenn das jemand kann, dann Roman!
SC: Was ist Deine Meinung zum Frauentag?
A-MS: Ich finde den Aktionstag wichtig, hatte aber ehrlicherweise bislang keinen großen persönlichen Bezug dazu. Das wird sich nach diesem Interview für mich sicher ändern – und ich hoffe, dass der Weltfrauentag viele solcher Änderungen bewirken kann.
Wie man in meinem konkreten Fall nun sieht, ist es eine tolle Möglichkeit, Aufmerksamkeit und Plattformen zu schaffen bzw. zu geben. Man muss sie nur nutzen. Danke, dass Du das Thema aufgreifst und den Tag zum Anlass für Deine Interviewreihe nimmst.
(Interview aus http://londonjazznews.com/)
Homepage Bergson: https://bergson.com/