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31. Johann Johannsson „A Prayer To The Dynamo“
32. New Old Luten Trio „Trident Juncture“
33. Renaud Garcia-Fons „Cinematic Double Bass“
34. Anke Helfrich „We'll Rise“
35. Pure Desmond „100“
36. Tobias Hoffmann „Italy“
Mittwoch 17.01.2024
Johann Johannsson „A Prayer To The Dynamo“
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Wer den Film „Sicario“ von Denis Villeneuve kennt, kennt auch die Musik Johann Johannssons. Der Isländer war aber schon vor diesem außergewöhnlichen, osacarnominierten Soundtrack ein Unikat, ein Juwel in der Musikwelt, der mit seinen Arbeiten, meist Synthesen aus klassischen und elektronischen Elementen, immer wieder neu erstaunte und begeisterte. Um so größer die Trauer und Anteilnahme auch aufgrund seines mysteriösen Todes. Mit gerade einmal 48 Jahren war er 2018 in einer Kreuzberger Hinterhof-Wohnung leblos aufgefunden worden.
Neben „Sicario“ hat Johannsson unter anderem auch die Filmmusik zu „Prisoners“, „Arrival“ und „Die Entdeckung der Unendlichkeit (The Theory of Everything)“, für den er den Golden Globe erhielt, geschrieben.
Seine erste Veröffentlichung, „Englabörn“ von 2002, gehört zu den stilprägensten Arbeiten des Autodidakten. 2006 erschien „IBM 1401, A User’s Manual“, eines seiner persönlichsten Werke, da er hier zugleich einen Teil der eigenen Familiengeschichte musikalisch verarbeitete. Johannssons Vater arbeitete für IBM und war für die Installation, Betreuung und Programmierung des ersten Computers auf Island verantwortlich – einem IBM 1401. Johann Johannsson sen. stellte eine Art gesprochenes Handbuch zusammen, in dem die Probleme des Rechners samt Wartungs-Anweisungen enthalten waren. Diese Sprach-Samples verband der Komponist mit berührenden Orchester-Arrangements und schuf so eine einzigartige Atmosphäre, die unterschiedliche akustische Welten und Techniken zusammenbringt. Hier zeigt sich schon früh, dass der Komponist den Klang der Stille, des Schreckens und der Melancholie wie kein anderer beherrscht.
Im letzten Jahr ist ein bisher unveröffentlichtes Orchesterwerk, eine verschollene Symphonie, des Isländers entdeckt und eingespielt worden. „A Prayer To The Dynamo“ lebt von Johannssons stilistischer Variationsbreite, seinem Gespür für Klangwelten, die ebenso leicht und beschwingt daherkommen, wie sie auch Bedrohliches, Aufwühlendes und Tiefgründiges miteinander verbinden. Die titelgebende Komposition ist gleichermaßen von PC-Technologien, Klassikadaptionen und den Soundschattierungen des Kraftwerk Elliðaár, wenige Kilometer von Reykjavík entfernt, beeinflusst. Johannsson verglich das Kraftwerk mit einer Art Kathedrale, die Segen, Mysterium und maschinellen Fortschritt zum Ausdruck bringt. Johannsson hat dieses Stück 2011 im Auftrag des Winnipeg Symphony Orchestra geschrieben, das „A Prayer to the Dynamo“ einmal öffentlich aufführte.
Zudem befinden sich auf diesem Album noch zwei Auszüge aus dem Soundtrack „The Theory of Everything“ und aus der „Sicario – Suite“. Alle Titel sind vom Iceland Symphony Orchestra unter Daníel Bjarnason neu eingespielt und erinnern damit an den schmerzvollen Verlust an einen der größten Komponisten moderner Film- und Bühnenmusik.
Jörg Konrad

Johann Johannsson
„A Prayer To The Dynamo“
Deutsche Grammophon
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Dienstag 16.01.2024
New Old Luten Trio „Trident Juncture“
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Er wurde neunzig – konnte aber die letzten Jahre nicht mehr spielen. Ernst-Ludwig Petrowsky, geboren in Güstrow in Mecklenburg „ …. in der Nähe von Ernst Barlach und Uwe Johnson, der zwischen Nazi-Märschen, Stalin-Panzern und FDJ-Liedern aufbrach, Jazzmusik zu machen“, wie er selbst von sich einmal sagte.
Nun, ein halbes Jahr nach seinem Tod, ist sein letzter Auftritt vom 15. Dezember 2016 im Leipziger Club naTo veröffentlicht worden. Hier zeigt der Saxophonist und Klarinettist noch einmal all sein Temperament, seine Energie, seine Empfindsamkeit, seine musikalische Ganzheitlichkeit und seinen einzigartigen Humor. Im Trio, mit Elan Pauer und Christian Lillinger, wird hier die Größe dieses Freigeistes lebendig, seine Selbstbehauptung, entgegen aller Konventionen und immer im Sinne künstlerischer Offenheit und stets respektvoll und generationsübergreifend.
Auf „Trident Juncture“ brennen alle drei ein Improvisationsfeuerwerk ab, wechseln zwischen Kontraktion und Entspannung, sind ganz nah und sich ergänzend beieinander, um sich im nächsten Moment wieder voneinander zu entfernen - ohne den Hörkontakt gänzlich zu verlieren.
Lillinger ist am Schlagzeug der Mittler, ein Vermittler – trommelnd, kratzend, scharrend – und er findet dabei immer wieder auch Möglichkeiten, seine eigenen rhythmischen Fantasien auszuleben. Wie ein tanzendes Perkussionsorchester auf gruppendynamischer Pirsch. Ständig in Bewegung, geistig wie instrumental. Hier gehen Sensibilität, Individualität und Willensstärke Hand in Hand.
Elan Pauer drückt am Klavier die schwarz-weiße Tastatur, als ginge es um sein Leben. Im nächsten Moment klingt sein Spiel lyrisch, beinahe schlicht, einfach schön. Er schwelgt und provoziert zugleich und vor allem: Er begleitet.
Petrowsky hat mit diesem Album eine Quintessence seines Schaffens hinterlassen, ausdrucksstark, fordernd, auch orgiastisch - einfach genial.
Jörg Konrad

New Old Luten Trio
„Trident Juncture“
Euphorium
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Montag 15.01.2024
Renaud Garcia-Fons „Cinematic Double Bass“
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Renaud Garcia-Fons ist Solist, Bandleader, Komponist. Eine Art Himmelsstürmer am Instrument, dem „scharzen Schaf auf einem Bein“, wie Helga Leiprecht den Bass einmal nannte. Aber das hat sich geändert, der Bass wurde emanzipiert, bis in unsere Tage. Zum Beispiel von dem Franzosen Renaud Garcia-Fons. Seit Jahren stellt er das sperrige Instrument in den Mittelpunkt seiner Musik und das klingt oft so zärtlich, so virtuos, so luftig – aber natürlich auch tief brummend, grundierend, Richtung gebend.
Um beide, Garcia-Fons samt Bass, wirklich kennen- und schätzen zu lernen, liegt mit „Cinematic Double Bass“ vielleicht jetzt eine seiner schönsten und beeindruckendsten Produktionen vor. Dabei hat er unter eigenem Namen schon ein gutes Dutzend Alben veröffentlicht. Aber „Cinematic Double Bass“ ist wirklich etwas ganz besonderes. Entstanden während der Pandemie, als keine Konzerte möglich waren, das Reisen nur mit Schwierigkeiten vollzogen werden konnte und selbst das persönliche Miteinander stark eingeschränkt wurde. Garcia-Fons begann Filmmusik zu schreiben, ohne dass es Filme hierfür gab. Für ihn stand das Suggestive seiner Musik schon immer im Vordergrund. Er rief mit seinen Alben Bilder und Assoziationen hervor, die stark an (besonders mediterrane) Landschaften erinnerten.
Und diese Form von Soundscapes erweitert er nun mit insgesamt vierundzwanzig neuen, oft nur kurzen Songs, die der Bassist mit dem Schlagzeuger und Vibraphonisten Stephan Caracci und seiner singenden Tochter Solea Garcia-Fonds einspielte. Jüdisches steht hier neben Swingendem, es groovt und rockt, Folklore wechselt mit Blues, andalusisches Temperament folgt östlicher Ornamentik. Es ist ein Potpourri der Stile und Befindlichkeiten – zusammengehalten von Garcia-Fons und seinem Kontrabass.
Jörg Konrad

Renaud Garcia-Fons
„Cinematic Double Bass“
e-Motive
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Freitag 05.01.2024
Anke Helfrich „We'll Rise“
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Anke Helfrich erzählt auf „We'll Rise“ Geschichten. Musikalische Geschichten, mit personifizierten gesellschaftlichen Bezügen. „Bei meiner Recherche für eine Radiosendung über Jazzpianistinnen des frühen 20. Jahrhunderts fiel mir auf“, schreibt sie im Booklet, „wie viele talentierte Frauen von der Geschichte übersehen worden waren.“ Und hier sprengt Anke Helfrich den musikalischen Rahmen des Albums, denn sie erinnert und bezieht sich in den zehn Songs auf Künstlerinnen und Aktivistinnen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen. Wie zum Beispiel auf die mexikanische Malerin Frida Karlo, die australische Leichtathletin Cathy Freeman, die italienische Schauspielerin Giulietta Masina oder die britische Biochemikerin Rosalind Elsie Franklin. Natürlich kommen auch Musikerinnen zu Wort, wie die einzigartige und schon so früh verstorbene Pianistin Geri Allen, oder die Ehefrau des alles überragenden Thelonious Monk, der eindeutig zu Anke Helfrichs Favoriten zählt.
Musikalisch bewegt sich die Pianistin mit ihrer Band, zu der Bassist Dietmar Fuhr, Schlagzeuger Jens Düppe und als Gast Adrian Mears an Posaune und Didgeridoo gehören, in einem weiten Feld swingender Jazzharmonik. Die Inspirationen reichen hörbar von Thelonious Monk und seiner sperrigen Musikalität bis hin zu einer europäischen Improvisationskunst mit Tempomodifikationen und herbstlichen Stimmungen des späten Brahms. Die kollektive Verinnerlichung der Formation lässt die anmutigsten Balladen entstehen, die Neugierde und Experimentierfreude sabotiert dabei jede Routine. Und das titelgebende Stück „We'll Rise“ wird getragen von dem Gedicht „Still I Rise“, das die Dichterin und Bürgerrechtsaktivistin Dr. Maya Angelou geschrieben hat und das Anke Helfrich mit leichtem Gospel-Touch singt. Zum Abschluss gibt es dann noch Duke Ellingtons wunderbares „Sophisticated Lady“, von Anke Helfrich Solo gespielt, behutsam wie bestimmt interpretiert.
Jörg Konrad

Anke Helfrich
„We'll Rise“
Enja
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Mittwoch 03.01.2024
Pure Desmond „100“
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Dass sich eine Band seit mittlerweile 20 Jahren Ihrem Idol verpflichtet fühlt, mag nichts außergewöhnliches sein. Doch wenn Lorenz Hargassner und sein Quartett Pure Desmond das Bekenntnis zu ihrem Favoriten auch nach zwei Jahrzehnten über den Bandnamen zum Ausdruck bringen, kann man schon von einer besonders leidenschaftlichen Beziehung ausgehen. Denn Namen verpflichten, wobei gerade im Jazz Ideen flüchtig und Zwischentöne überschaubar sind.
Die Person, um die es sich handelt, heißt Paul Emil Breitenfeld, besser bekannt unter Paul Desmond. Den Namen entdeckte der Sohn eines deutschstämmigen jüdischen Stummfilm-Organisten und einer irischen Mutter angeblich beim Durchblättern des Telefonbuches. In diesem Jahr wäre Paul Desmond einhundert Jahre alt.
Einst gehörte der in San Francisco geborene Altsaxophonist zum legendären Quartett des Pianisten Dave Brubeck. Und in dieser überaus erfolgreichen Formation war Desmond jener Musiker, der das Publikum polarisierte. Die einen mochten seinen Sound, sein unglaublich weiches, ästhetisch ausgefeiltes Spiel. Ein Magier, der mit seiner Eleganz am Instrument (besonders Frauen) verzauberte.
Den anderen war Desmond nicht radikal genug, sie wollten einen brodelnden Vulkan à la Charlie Parker. Doch Desmond selbst, humorvoll wie er war, sprach einmal davon, er wolle klingen „wie ein trockener Martini“.
Desmond schaffte mit Hilfe des Quartetts und hier vor allem dank der überaus guten Beziehung zwischen ihm und Brubeck das Kunststück, auch seine Gegner mit ausgereiften, komplizierten Kompositionen zu überzeugen. Sein Meisterstück: „Take Five“, eine swingende Nummer im 5/4 Takt und bis heute vielleicht einer der bekanntesten Jazzhits überhaupt.
Der heute in Hamburg lebende Lorenz Hargassner hat diesen Sound des Westcoast Jazz mit seinem Quartett verinnerlicht. Sein neues Album „100“ ist inhaltlich weit mehr als eine Reminessenz an den Großmeister Desmond. Hargassners Quartett covert nicht nur ein Großteil Brubecks Repertoire, er taucht auch ein in eine Zeit, als die Grenzen zwischen melodisch coolem Jazz und Pop und Chanson noch fließend waren. Viele der Stücke auf „100“ atmen diese unvergleich melancholische Kühle. Das gilt für „Moon River“ ebenso, wie für die durch Simon & Garfunkle bekannt gewordenen Hits „Scarborough Fair“, als Solostück, und „Mrs. Robinson“ und erst recht natürlich für das legendäre „Take Five“ und Brubecks „Blue Rondo À La Turk“.
Mit „100“ ist Lorenz Hargassner das Kunststück gelungen, ein Album für jede Lebenslage einzuspielen und damit einen der fasznierendsten Altsaxophonisten mit Respekt und Charme zu ehren.
Jörg Konrad

Pure Desmond
„100“
Major
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Dienstag 02.01.2024
Tobias Hoffmann „Italy“
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Italy“ - ein Album wie aus einem Guss, das mit seiner Archaik und seinem Freimut direkt unter die Haut zielt; mit seinen Blues- und Folkrudimenten, seinem Soul, seinen übersprungenen Hindernissen, seinen Effekten und ätzendem Sound. Gitarrist Tobias Hoffmann hat in Zusammenarbeit mit Schlagzeuger Jan Philipp eine Art musikalisches Kaleidoskop entworfen. Elf Titel, die wie eine Reise durch Zeit und Raum anmuten, die mindestens aus einem Viertel Blues, einem Viertel Jazz und zwei Siebtel Pop bestehen. Der Rest ist pure Individualität. Und vieles von dieser Individualität erinnert entfernt an Marc Ribot, an Bill Frisell, in manchen Teilstrecken auch an einen intrumentalen Captain Beefhaert. Sie alle könnten Inspirationsquelle sein.
Hoffmann und Philipp haben über Monate hinweg in Studios geprobt, experimentiert, haben am Eingespielten gefeilt, Ideen verworfen und Neues entwickelt, haben Erkenntnisse gesammelt und Formate entwickelt – vor allem Klischees und überbordene Virtuosität ausgespart. Konsequente musikalische Abenteuer sind so entstanden, weitab von Szenestammtischen und berechnenden Zeitgeistverweigerern.
So klingt „Italy“ ebenso sperrig, wie eingängig, tonnenschwer und auch wieder federleicht, kein Perfektionismus und ohne Pathos, von der Vergangenheit inspiriert und in die Zukunft gerichtet und vor allem mit diesem schrägen wie gefühlvollen Gänsehaut-Groove. Bitte mehr davon!
Jörg Konrad

Tobias Hoffmann
„Italy“
Klaeng
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Autor: Siehe Artikel
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