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1. Benja Schlez „Grenzhof“
2. Johannes Bigge Trio „Clay“
3. Kjetil Mulelid „Agoja“
4. Liv Andrea Hauge Trio „Ville Blomster“
5. John Surman „Words Unspoken“
6. Henning Fuchs „Cocoon“
Dienstag 19.03.2024
Benja Schlez „Grenzhof“
Bilder
Authentische Musik ist die Summe gelebter Erfahrungen. Schmerz und Analgesie, Erfolg und Frustration, Entwicklung und Stillstand, Liebe und Verlust – ein weites Feld an emotionalen Befindlichkeiten, als sinnliche Gefolgschaft von Lebensumständen, die wiederum das Jetzt und das Zukünftige gestalten.
Benja Schlez hat einen Großteil dieser Gemütszustände erfahren, die dann letztendlich in sein Album „Grenzhof“ eingeflossen sind. „Grenzhof“ - ein Ort vor den Toren von Heidelberg, der ganz eng mit der Biographie des Gitarristen verbunden ist. Von dort einst unfreiwillig aufgebrochen, ist er nun symbolisch an diesen Ort wieder zurückgekehrt. Gereift, erfahren, orientiert und qualifiziert. Insofern ist „Grenzhof“ auch der Ausdruck einer Art Therapie, die überdeutlich aufzeigt, wie man selbst, bei dementsprechender Auseinandersetzung, wieder in Balance gerät. Denn „Grenzhof“ klingt nach Ausgeglichenheit, nach friedfertiger Identität und Konsens.
Musikalisch bewegt sich Schlez in einem ästhetischen Bereich nahe der Stille. Spartanische Monologe, voller Anmut und Hingabe, wie sie nur große Erzähler zu vermitteln verstehen. Der Gitarrist bewegt sich in einer breiten Enklave von Kammermusik und Improvisation, von Minimal und Landscapes. Hier hat eine Persönlichkeit in der Zurückhaltung seine (zumindest musikalische) Mitte gefunden. Und trotz dieser manchmal süffisanten Harmonien verströmt das Album insgesamt etwas Radikales, in seiner Geschlossenheit und Komplexität etwas Extremes. Vielleicht ist es die Leidenschaft, die Unbedingtheit, mit der hier jemand eine Lebensformel sucht, sie tatsächlich findet und mit spürbarer Empathie vermittelt.
Jörg Konrad

Benja Schlez
„Grenzhof“
Poly Unique
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Freitag 15.03.2024
Johannes Bigge Trio „Clay“
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Johannes Bigge ist Jahrgang '89 und wurde somit in ein Jahrzehnt hineingeboren, in dem stilistische Grenzen und Zeitgeistphänomene in der Musik nicht mehr die alles dominierende Rolle spielten. Denn die 1990er und folgenden Jahre waren offen für Altes wie auch Neues, für streng Reglementiertes (Techno), klassisch dominierten Crossover und für weltmusikalische Wirkungsfelder. So kam es, dass sich Johannes Bigge schon als Jugendlicher intensiv mit den Beatles und der Band Genesis beschäftigte und mit seiner ersten Berliner Schülerband Songs von Radiohead coverte. Als das Klavierspiel immer stärker seinen Alltag bestimmte, erweiterte sich auch fast automatisch sein Favoritenkreis - um Keith Jarrett, Brad Mehldau und Alexander Nikolajewitsch Skrjabin.
Mit nur einundzwanzig gründete er sein erstes Trio, mit dem er schon zwei Jahre später den Jazznachwuchspreis der Marion Ermer Stiftung gewann. Brigge studierte an der HMT Leipzig unter anderem bei Richie Beirach und wurde später Meisterschüler von Michael Wollny.
Clay“ ist Bigges drittes Trio-Album. Am Bass die Plaueb gevoerene Robert Lucaciu, am Schlagzeug der allseits verehrte und umtriebige Moritz Baumgärtner. Diese schlagkräftige Truppe widmet sich eigenen Kompositionen und findet in deren Umsetzung tatsächlich auch eine individuelle, breitgefächerte Musiksprache. Es sind atmende, manchmal gar vibrierende Klangräume, die mit einfachen, fast schlichten Themen korrespondieren. Es ist die (schwierige) Kunst der Einfachheit, die diese Aufnahmen bestimmt und eine melodische Verspieltheit, die gelegentlich durch ein gewisses Understatement der Musiker einzelnen Musiker besticht. Zudem beeindruckt sowohl die nachdenkliche, aber auch heiter gestimmte Gelassenheit, die dieses Kollektiv wie beiläufig kreiert.
Jörg Konrad

Johannes Bigge Trio
„Clay“
Nwog
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Mittwoch 13.03.2024
Kjetil Mulelid „Agoja“
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Es gab Zweiten, da sprach man von der Schweiz als jenem Land, das Prozentual zur Bevölkerung die meisten Jazzmusiker weltweit auf Tourneen hatte. Mittlerweile scheint diese Trophäe, wenn sie denn eine ist, in Norwegen zu stehen. Denn von diesem Königreich mit gerade einmal 5,5 Millionen Einwohnern erreichen uns Monat für Monat entweder gänzlich unbekannte Musikernamen, oder eine außerordentliche Anzahl von neuen Alben flutet den Markt.
Pianist Kjetil Mulelid gehört eindeutig zu letzteren. Bekannt geworden ist er durch sein Trio, mit dem er seit Jahren aufnimmt und über die Grenzen Europas hinaus unterwegs ist. Es gibt Solo-Aufnahmen des 33jährigen und Duo-Einspielungen mit der Sängerin Siril Malmedal Hauge. Gerade erschienen ist jetzt das Album „Agoja“, auf dem Mulelid erstmals für ein größeres Ensemble komponiert und arrangiert hat. Mit dabei sind unter anderen der Saxophonist Trygve Seim und die beiden Trompeter Mathias Eick und Arve Henriksen. Mulelid gelingt es, sein eher eingängiges Trio-Konzept auf diese Besetzung zu übertragen. Was den melodischen Einfallsreichtum betrifft, kann man in diesem Fall getrost von einem expressiven Minimalismus sprechen. Beinahe sakrale Themen, die sich im Kontinuum von Stille und Kontemplation entwickeln, ja hier regelrecht aufblühen. Das erinnert manchmal an den schon seit zweieinhalb Jahrzehnten nicht mehr unter uns weilenden Finnen Edvard Vesala. Und Helsinki, wo Vesala einst lebte, liegt, so könnte man auch sagen, gleich um die Ecke von Norwegen.
Auch Kjetil Mulelid kleines Orchester klingt raffiniert und trivial, es beschwört einen emotionalen Charakter und geriert sich dann wieder abstrakt. Mulelid verlässt dabei nur selten die Ebene der Balance, spielt neben dem guten und eleganten Börsendorfer das Wurlitzer Piano, das verlässliche Fender Rhodes Piano und den für jede musikalische Besonderheit zu habenden Synthesizer.
Alles in allem entsteht so ein weites Feld an Klangfarben und -möglichkeiten, wodurch „Agoja“ (zu deutsch: Qual) sehr abwechslungsreich und stimulierend gerät.
Jörg Konrad

Kjetil Mulelid
„Agoja“
Odin
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Dienstag 12.03.2024
Liv Andrea Hauge Trio „Ville Blomster“
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„Ville Blomster“ - Wilde Blumen. Ein wunderbarer Titel für dieses Album. Denn Liv Andrea Hauge schätzt Schönheit und Würde in der Natur, wie sie Spontanität und Einfallsreichtum in der Kunst liebt. Oder, in Bezug auf ihre Musik: Die in Oslo beheimatete Pianistin arbeitet ebenso überzeugend mit melodischen Elementen, wie sie mit Freuden und hingebungsvoll improvisiert. Beide Facetten sind Bestandteil ihrer Musik, die sie mit Georgia Wartel Collins am Bass und Schlagzeuger August Glännestrand umsetzt.
Inspiriert fühlt sich die 28jährige von Keith Jarrett and Brad Mehldau, was jedoch nicht heißt, dass ihre Kompositionen durchgehend nach den beiden Amerikanern klingen. Liv Andrea Hauge besticht mit einer ganz persönlichen Art des Musizierens, etwas weniger virtuos und thematisch verschlungen, als vielmehr offenbar und von einer geradezu magischen Intimität getragen. In ihrer hinreißenden Musik paaren sich unverkennbar romantische Klaviertraditionen und kühne Schärfe. Ihre hellen Melodien gehen ins Ohr, von da direkt ins Herz und die dunkleren Texturen ihrer Balladen sind ausreichend Nahrung für die melancholischen Momente – egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit.
Jörg Konrad

Liv Andrea Hauge Trio
„Ville Blomster“
Hubro
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Freitag 08.03.2024
John Surman „Words Unspoken“
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Mit dem Saxophonisten John Surman hat ECM wohl einen der facettenreichsten Erzähler in seinen Reihen. Schon auf „Upon Reflection“, einem Soloalbum aus dem Jahr 1979, bestimmen seine weitgespannten, übergreifenden und kurzweiligen Erzählstränge das Geschehen. Nun, fünfunddreißig Jahre und knapp zwei Dutzend Alben später erscheint mit „Words Unspoken“ ein Quartett-Album des britischen Holzbläsers. Mittlerweile fast achtzig Jahre alt hat er für die zehn Kompositionen Instrumentalisten um sich versammelt, die seine Ideen und Anregungen mit Leben füllen. Da wären der wie Surman ebenfalls in Oslo lebende Vibraphonist Rob Waring, ein Wanderer zwischen der Welt der Klassik und der des Jazz, der fantasievoll und subtil trommelnde norwegische Schlagzeuger Thomas Strønen und der junge Engländer Rob Luft an der Gitarre. An allen schätzt Surman sowohl deren Teamgeist, als auch ihre Kreativität und Individualität. Denn genau in diesem Grenzbereich, zwischen kompositorischer Vorgabe und freien Räumen zur improvisatorischen Entfaltung, hat er die Musik angelegt. „Ich habe ihnen einfach ein paar Ideen unterbreitet,“ beschreibt Surman den Aufnahmeprozess, „und dann versuchten wir, ohne vorher zu besprechen, wer welches Element spielen würde und welche Gestalt die Stücke annehmen sollten, die Elemente zusammenzufügen, in dem wir uns einfach nur gegenseitig zuhörten und entsprechend reagierten.”
Es sind wunderbar verspielte Themen, voller Poesie, die von den einzelnen Musikern vorgetragen, ausgeschmückt, variiert, untereinander „weitergereicht“ werden. So entsteht ein angeregtes Gespräch auf Augenhöhe, dem man als Hörer fasziniert folgt und das in seiner Emotionalität nachdenklich berührt. Es gibt herausfordernd intensive, wie unbeschwert heitere Momente auf diesem Album. Angeführt von John Surman, der hier in vocaler Manier auf Sopran Saxophon, Bariton Saxophon und Bass Klarinette brilliert, streift die Musik ethnische Kulturen und europäische Moderne. Insgesamt eine gute Stunde Musik, die das Leben in Balance bringt und die Bewusstseinsebene um ein Quantum Poesie bereichert.
Jörg Konrad

John Surman
„Words Unspoken“
ECM
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Mittwoch 06.03.2024
Henning Fuchs „Cocoon“
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Die Menschheit scheint im Wandel, scheint sich in ständiger Bewegung, sich auf ununterbrochener Suche zu befinden. Anfänglich dreht sich alles um den Werdegang der eigenen Individualität. Später dann um den äußeren Rahmen, in dem diese Individualität Platz und Möglichkeiten findet, persönliche Vorstellungen umzusetzen – oder ganz einfach in Frieden zu Leben. Henning Fuchs nennt diesen Raum, in dem er die Umsetzung seiner Kreativität angeht, „Cocoon“. Ein wenig distanziert vom „Draußen“ versucht er hier all die Gedanken, Erfahrungen, Visionen die ihn die letzten Jahrzehnte formten, zu ordnen und musikalisch umzusetzen. Dazu gehören für den Vater von vier Kindern familiäre Konstellationen und gesellschaftliche Strömungen, konkret seine beruflich lange Zugehörigkeit zum Umfeld des Komponisten Max Richter, seine Arbeit am Sir Paul McCartneys Liverpool Institute For Performing Arts in London und an der Berliner Filmuniversität „Konrad Wolf“, bis hin zu seiner Übersiedlung nach Irland im Herbst 2021 samt Familie. „Große Veränderungen sind ein Prozess des Leidens und der Freude“, erläutert der Komponist seine Arbeit. „Eine Phase des Schmerzes und der Heilung, des Scheiterns und des Lernens, Vertrautes loszulassen, neue Perspektiven und Hoffnung zu finden.“
Natürlich spiegeln sich diese Neuorientierungen, Veränderungen und Auseinandersetzungen in seinem Schaffen als Komponist wieder. So ist das Album „Cocoon“ eine Kombination aus klassischen und folkloristischen Themen, aus Weltmusik und popmusikalischen Einflüssen.
Umgesetzt haben diese Kompositionen und Arrangements eine internationale Crew an Musikanten, wie das Castle String Quartet aus Dublin, der Schweizer Perkussionst Martin Schärer, die Harfenistin Aisling Ennis und die Sänger Uzo Ubaka und Lisa Lambe. Sie alle sind beteiligt an einer Musik, die Grenzen meidet und sich außerhalb von stilistischen Enklaven bewegt.
Jörg Konrad

Henning Fuchs
„Cocoon“
Neue Meister
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Autor: Siehe Artikel
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