Silke Eberhard ist DIE Altsaxophonistin in Europa - vielleicht auch darüber hinaus. „I Am Three“ ist eines von derzeit ca. fünfzehn Projekten, die sie entweder selbst leitet, oder Teil der Formation ist. Ob mit Günter „Baby“ Sommer, Gery Hemingway, Ulrich Gumpert oder Joe Fonda - im Mittelpunkt steht immer die Improvisation, in den unterschiedlichsten Facetten. „Dabei schaufelt sie unablässig, wie ein Heizer, Traditionen in den Kessel ihres kreativen Katalysators und heraus kommt am anderen Ende ein sehr individuelles, bewegliches, flüssiges Konstrukt, das dramaturgisch klug aufgebaut ist und ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Intellekt und Leidenschaft, zwischen berührender Ballade und mutiger Attacke schafft“, war an dieser Stelle anlässlich eines Konzertes im März 2015 in Germering mit Jan Roder am Bass und Kay Lübke am Schlagzeug zu lesen. Damals beschäftigte sich Silke Eberhard intensiv mit Eric Dolphy. Zu ihrem jetzt beim englischen Label Leo Records erschienenen Album „In Other Words“ mit dem I Am Three Trio, stehen und sitzen ihr Trompeter Nikolaus Neuser und Schlagzeuger Christian Marien zur Seite. Charles Mingus, der exzentrische wie geniale Bassist, steht bei den elf Kompositionen Pate. „Mingus' Geist schwebt noch über allem und das erspielte Bandidiom bleibt ungetrübt wild und experimentierfreudig, voller Groove und engverzahnter Interaktion, aber die Kompositionen stammen nun aus den Federn der drei auf allen Ebenen des Projekts gleichberechtigten Bandmitglieder“, geben die Musiker dem Hörer mit auf den Weg. Eine musikalische Exkursion zwischen Tradition und Moderne, und, wie das Trio selbst sagt: „Es wird aufregend!“
KultKomplott: Welche Faktoren waren ausschlaggebend, dass Sie wurden, was Sie heute sind?
Silke Eberhard: Mein Elternhaus und die (dörfliche) Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, der Mut und das Vertrauen den Musikweg einzuschlagen, viele wichtige inspirierende Begegnungen und Lehrer*innen, Reisen, Freunde, Naivität, Fleiß, Glück, Freude und Begeisterung - und vor allem viel Durchhaltevermögen.
KK: Wen bzw. was möchten Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?
SE: Die Afficionados, die Jazzverrückten, die Kunstaffinen, die improvisierenden Zuhörenden, einfach alle Leute mit offenen Ohren und Neugier.
KK: Mit welchen Widrigkeiten müssen Sie sich bei Ihrer Arbeit am häufigsten auseinandersetzen?
SE: Finanzielle Unsicherheiten und Rahmenbedingungen. Zuviel Bürokratie, insbesondere bei Beantragung von Fördermitteln, die wir als Künstler*innen der freien Szene oft selbst beschaffen müssen, um Projekte zu verwirklichen.
KK: Welche Erlebnisse haben Sie zuletzt stark beeindruckt?
SE: Ein neues Café hat gerade in meiner Straße aufgemacht, fast neben der Haustür, und vom ersten Tag an stehen die Leute hier Schlange, motiviert sind sie durch Tik-Tok, wie ich auf Nachfrage erfahren konnte - ich bin beeindruckt, das die Leute hier so lange anstehen. Ich weiß aber bis jetzt nicht wofür ;-) Beeindruckt bin ich von dem Cafe daneben, die wirklich guten Kaffee machen, auf den man nicht lange wartet.
KK: Welches sind die schönsten Momente in Ihrer Arbeit?
SE: Das Gefühl von Flow, wenn die Musik von ganz alleine fließt, dann ist man total im Hier und Jetzt. Dann beginnt der Raum sich auszudehnen und es ist wie Fliegen.
KK: Hören Sie Musik und wenn ja, welche Art von Musik mögen Sie besonders?
SE: Am liebsten Jazz, vor allem aus den 60er Jahren, Charles Mingus, Thelonius Monk, Cecil Taylor, Eric Dolphy, Ornette Coleman und Sun Ra.
KK: Hören Sie eher CD oder Vinyl?
SE: Ich höre beides, aber eigentlich lieber Schallplatten, ich mag es wenn man nach 20 Minuten sich überlegen muss ob man die Seite nochmals hört, oder die Platte umdreht.
KK: Was lesen Sie momentan?
SE: Edgar Selge „Hast Du uns endlich gefunden“; Satchin Panda „Der Zirkadian Code“
KK: Was ärgert Sie maßlos?
SE: Soziale Ungleichheiten. Rechtsextremismus. Autos in der Stadt. Umweltverschmutzung.
KK: Was freut Sie ungemein?
SE: Freundlichkeit im Alltag. Schönes soziales Miteinander. Fahrradstraßen.
KK: Haben Sie jemals ein Kleidungs- bzw. Möbelstück selbst gemacht?
SE: Als Jugendliche habe ich stricken, häkeln und nähen gelernt. Von Pullover über Kleid bis Hose habe ich ein paar eigene Stücke zustande gebracht. Ein Möbelstück habe ich nie gemacht, aber einen kleinen Werkzeugkasten aus Holz, in dem ich heute Krimskrams aufbewahre.
KK: Von welchem Schauspieler / welcher Schauspielerin sind sie in welchem Film beeindruckt?
SE: K?ji Yakusho in „Perfect Days“, dem neuen Film von Wim Wenders.
KK: Was würden Sie gern erfinden, was es Ihrer Meinung bisher noch nicht gibt?
SE: Gibt es vielleicht, aber noch nicht in Perfektion: ein wirklich funktionierendes Noten-Transkriptionsprogramm, das z. B. Eingesungenes, oder mit dem Saxophon eingespielte Musik als Noten ausspuckt und die ich dann direkt in mein Notationsprogramm einpflegen kann.
KK: Fühlen Sie sich eher als Einzelkämpfer, oder Teamplayer?
SE: Teamplayerin. Wenn ich Bandleaderin bin habe ich zwar meist automatisch den Hut auf. Aber ich liebe es in Kollektiven zu arbeiten, wie in der Band „I Am Three“ mit Christian Marien und Nikolaus Neuser. Wir haben eben unser drittes Album herausgebracht und sind seit vielen Jahren ein eingeschworenes Team.
KK: In welcher Situation haben Sie die besten Einfälle?
SE: Leider oft unter Zeitdruck, z. B. wenn eine Deadline oder eine Projektphase mit Proben ansteht. Dann mache ich auch gerne mal Nachtschichten.
KK: Welche Websites oder Blogs lesen Sie?
SE: Kultur- und Jazzseiten wie Themarginalian.org, artmusiclounge.wordpress.com, Jazzword, Freejazzblog.org. Für Nachrichten gerne die TAZ und natürlich auch sehr viel querbeet.
KK: Was würden Sie ändern, wenn Sie für einen Tag Staatsminister für Kultur wären?
SE: In einem Tag kann man nichts erreichen, das müssten schon ein paar Jahre sein. Dann würde ich Fördermittel für Jazz und improvisierte Musik auf das Niveau der Opernhäuser anheben. Clubs und Festivals so ausstatten, daß sie den Künstler*innen angemessene Honorare bezahlen können. Den Radio- (und TV-) Sendern ihre Jazzredaktionen mit ordentlich Sendezeit zurückgeben, auch dafür das Geld gerechter verteilen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen ernsthaft diskutieren.
KK: Wenn Sie eine Autobiographie schreiben würden, wie wäre der Titel?
SE: Knowing ist not knowing, but doing is doing.
KK: Wie stellen sie sich die Zukunft vor?
SE: Eigentlich mache ich mir darüber gar nicht so viele Gedanken. Aber ich habe sie mir immer ein bißchen wie in „Futurama“ vorgestellt, und dann habe ich die Eingangssequenz der Comic-Serie tatsächlich in echt, also irgendwie ganz ähnlich in Tokio gesehen. Die Zukunft ist also bereits da. Obwohl, das war ja 2008, als ich dort war. Also ist die Zukunft jetzt in der Vergangenheit? Wann genau beginnt die Zukunft denn nun eigentlich?