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19. PERFECT DAYS
20. MUNCH
21. WIE WILDE TIERE
22. AUF DEM WEG
23. THE OLD OAK
24. KRÄHEN – DIE NATUR BEOBACHTET UNS
Donnerstag 21.12.2023
PERFECT DAYS
Ab 21. Dezember 2023 im Kino
Bilder
Hirayama reinigt öffentliche Toiletten in Tokio. Er scheint mit seinem einfachen, zurückgezogenen Leben vollauf zufrieden zu sein und widmet sich abseits seines äußerst strukturierten Alltags seiner Leidenschaft für Musik, die er von Audiokassetten hört, und für Literatur, die er allabendlich in gebrauchten Taschenbüchern liest. Durch eine Reihe unerwarteter Begegnungen kommt nach und nach eine Vergangenheit ans Licht, die er längst hinter sich gelassen hat.
PERFECT DAYS ist eine tief berührende und poetische Betrachtung über die Schönheit der alltäglichen Welt und die Einzigartigkeit eines jeden Menschen.

Ein Film von Wim Wenders
Mit Koji Yakusho, Tokio Emoto, Arisa Nakano, Aoi Yamada u.a.



INTERVIEW MIT WIM WENDERS

Mit PERFECT DAYS kehren Sie nach vielen Jahren nach Japan zurück. Wie kam das Projekt zustande und wovon handelt es im Kern?
Anfang 2022 erhielt ich einen Brief aus Tokio: „Hätten Sie Interesse, nach Tokio zu kommen und sich ein höchst interessantes soziales Projekt anzuschauen? Es handelt sich um ein gutes Dutzend öffentlicher Toiletten, die allesamt von großen Architekten gebaut wurden. Wir könnten uns
vorstellen, dass Sie das inspirieren könnte, vielleicht zu einem Fotobuch, vielleicht zu einer Reihe von Kurzfilmen, was auch immer. Sie hätten jede künstlerische Freiheit und wenn Sie sich darauf einlassen würden, würden wir Ihnen bestmögliche Bedingungen garantieren.“ So ungefähr. Klang höchst verlockend. Gerade noch hatte ich meiner Frau erzählt, was für ein Heimweh ich nach Tokio hätte, und wie schade es sei, dass man wegen der Pandemie noch immer nicht einreisen könne. Diese offene Einladung war mit einem Arbeitsvisum verbunden!
Der Brief enthielt Fotos von diesen Toiletten, die wirklich erstaunlich aussahen und alle in Parks eingebettet waren. Es gehe im Prinzip um das Wesen der japanischen Willkommenskultur, hieß es weiter, in der Toiletten einen völlig anderen Stellenwert hätten als im Westen. Da sind in der
Tat die „stillen Örtchen“ nicht Teil unserer Kultur, sondern verkörpern eher deren Abwesenheit. Mir gefielen diese architektonischen Meisterwerke in Miniatur, die eher Tempeln glichen als Toiletten, und der künstlerische Aspekt, der das Projekt umgab.
Ich antwortete also: „Ihr Vorschlag interessiert mich. Aber zunächst müsste ich mir ein Bild vor Ort machen. Ich kann mir weder ein Buchprojekt noch Geschichten ausdenken, ohne die Schauplätze zu kennen. Außerdem stecke ich mitten in einem anderen Film. Ich kann Ihnen lediglich eine Woche im Mai anbieten, um mir ein Bild zu machen, und das Projekt dann erst im Oktober realisieren, wenn mein jetziger Film mir ein Zeitfenster während der Postproduktionsphase gibt.“ (Es ging um ANSELM, der sich im zweiten Produktionsjahr und seit über einem Jahr im Schnitt befand.)
Im Mai flog ich nach Tokio. Das war eine wunderbare Jahreszeit, um nach langer Zeit endlich wieder dorthin zu kommen. Meine Erkundungsreise fiel außerdem genau in die Zeit, in der die Tokioter nach einer gefühlten Ewigkeit im Lockdown wieder in die Stadt, in die Straßen und Parks
konnten. Es war einfach glorreich, zu sehen, mit welcher Begeisterung und Freude dies geschah, umso mehr, als diese Wiederinbesitznahme mit einer unfassbaren Vorsicht, fast mit Ehrfurcht geschah. Wenn in Berlin, wo ich lebe, öffentliche Plätze unter der Rückkehr zur Normalität enorm
gelitten hatten, manche Parks davon nahezu verwüstet worden waren, war es in Tokio umgekehrt der Fall. Die Menschen feierten auch hier, aber im Anschluss daran wurden alle Flaschen, Tüten, Essensüberreste usw. säuberlich eingesammelt (öffentliche Mülleimer gibt es praktisch nicht) und von allen dann zuhause entsorgt. In europäischen Städten konnte man als Hauptopfer der Pandemie durchaus den Sinn für das Allgemeinwohl ausmachen. In vieler Hinsicht ließ man danach jedenfalls alles, was Allgemeinbesitz war, deutlich mehr verkommen als vorher. Hier in Tokio war es umgekehrt.
Und die kleinen Toilettentempel gefielen mir ungemein, aber gleich vom ersten Eindruck her nicht als Mittelpunkte kurzer Dokumentarfilme. Ich hatte vielmehr große Lust, sie in einen fiktionalen Kontext zu setzen. Ich finde, ‚Orte‘ sind in einer Geschichte, in Spielfilmen, immer besser aufgehoben als in dokumentarischen Formaten. DER HIMMEL ÜBER BERLIN fing ja auch mit der Lust an, diese Stadt mit all ihren Facetten zu zeigen. Aber wenn ich damals einen Dokumentarfilm über Berlin gemacht hätte, wären die Orte des Films nicht so ‚erhalten‘ geblieben, wie es durch die Erzählung der Engelsgeschichte geschehen ist.
Aus dem ursprünglichen Vorschlag standen 4 Kurzfilme mit jeweils 4 Drehtagen im Raum. In diesen 16 Tagen könnte man stattdessen auch einen richtigen Film drehen! In dem würden diese schönen architektonischen Juwelen natürlich vorkommen, aber sie müssten eben nicht die ganze
Sache tragen. Das könnte eine Geschichte viel besser. Zu Beispiel mit einer Hauptfigur, die etwas von dem japanischen Sinn für das Gemeinwohl verkörpern würde. Ich hatte am ersten Tag schon die Männer kennengelernt, die sich um die Hygiene der Toiletten kümmerten. So einen könnte
ich mir gut vorstellen, einer, der sich verantwortlich dafür fühlen würde, dass diese Orte schön, einladend und sauber blieben...
Meine Idee fand sofort Anklang. Aber war sie umsetzbar? Ich war der festen Überzeugung, dass dies möglich war, wenn wir die übrigen Handlungsorte reduzieren und uns auf eine Hauptfigur beschränken würden. Den Schauspieler dafür galt es zu finden und ein Drehbuch zu schreiben.
Den Autor gab es schon. Seine Augen leuchteten, als ich meinen Plan vorschlug. Es war der Mann, der die Idee ausgeheckt hatte, mich nach Tokio einzuladen. In dem Schriftsteller und kreativen Kopf Takuma Takasaki hatte ich einen großartigen Sparring-Partner und Co-Autoren.
Bevor ich mich versah, gab es auch den Schauspieler. Was hielte ich von Koji Yakusho? Was? DER Koji Yakusho, den ich mehrfach in SHALL WE DANCE oder in BABEL gesehen und bewundert hatte? Ja, genau der. Der würde mitmachen, wenn es zu so einem Film mit mir käme. Das schien zu schön, um wahr zu sein. Am nächsten Tag standen wir uns schon gegenüber, etwas schüchtern noch, und sahen uns in die Augen; einen besseren für diese Rolle gäbe es nicht!
Nach einer Woche war ich zurück in Berlin. Bald darauf kam Takuma nach Berlin. Zwei Wochen später hatten wir die Grundzüge einer Geschichte mit einem Mann namens Hirayama. Der Rest der Arbeit am Drehbuch, an den Drehvorbereitungen und dem Casting ging über die nächsten Wochen und Monate per Mails und Zooms. Und den ganzen Oktober lang war ich dann in Tokio, nach einer Woche intensiver Vorbereitung mit meinem Kameramann Franz Lustig haben wir angefangen, zu drehen. Genau 16 Tage lang. Mehr Zeit hatte Kojo Yakusho auch nicht. Der fing
direkt im Anschluss an PERFECT DAYS einen großen Samurai-Film an.

Der Film beschreibt auf beinah poetische Weise die Schönheit des Alltags anhand der Geschichte eines Mannes, der ein bescheidenes, aber sehr zufriedenes Leben in Tokio führt.
Das ist alles aus der Figur Hirayama entstanden, und aus meinem nahezu utopischen ersten Eindruck von Tokio nach der Pandemie. Takuma und ich, wir haben uns jemanden vorgestellt, der einmal privilegiert und wohlhabend war, dann aber von diesem Leben immer weniger erfüllt ist und schließlich voll abstürzt. Eines Tages, am Tiefpunkt seines Lebens, an dem er schon bereit ist, diesem ein Ende zu bereiten, hat er eine Erleuchtung. Als er morgens in einem schäbigen Hotelzimmer aufwacht, ohne sich zu erinnern, wie er da gelandet ist, starrt er auf die kahle Wand ihm gegenüber. Er empfindet nichts mehr, weder für sich noch für die Welt. Und auf einmal erscheint auf dieser leeren Fläche vor ihm ein Schattenspiel, das von den Sonnenstrahlen hervorgezaubert wird, die irgendwie durch einen Baum bis in sein düsteres Zimmer fallen. Und wie er ungläubig auf diese Erscheinung schaut, diesen Tanz der Blätter im Wind oder besser, die Reflektion dieses flüchtigen Vorgangs, da wird ihm bewusst, dass dies nur für ihn sichtbar ist, für ihn allein, erschaffen von nichts als Blättern, Wind und einer Lichtquelle aus weiter Ferne, aus dem All, von der Sonne. Er hält den Atem an, wie er in sich eine große Wärme aufsteigen fühlt, weil ihm plötzlich bewusst wird, wie einzigartig er selbst und sein Leben ist. Und er murmelt das Wort vor sich hin, dass es in der japanischen Sprache für dieses Lichtspiel der Blätter im Wind
gibt: „Komorebi.“
Die Erscheinung rettet Hirayama und er beschließt, von jetzt an ein von Einfachheit und Bescheidenheit geprägtes Leben zu führen. Er wird zu einem Gärtner und schließlich zu dem ,Toilettenputzer‘, von dem unsere Geschichte erzählt: hingebungsvoll und zufrieden mit den Dingen, die er besitzt, darunter eine Pocket-Kamera (mit der er nur Bilder von Bäumen und Komorebis macht), die Taschenbücher, die er sich einmal in der Woche gebraucht kauft und sein alter Kassettenrecorder mit der Kassettensammlung, die er aus seiner Jugendzeit hinübergerettet hat. Sein Musikgeschmack inspirierte uns auch zu dem Titel des Films, als nämlich Hirayama eines Tages Lou Reeds Song Perfect Days anhört.
Hirayamas Alltag dient unserer Erzählung als Rückgrat. Das Schöne an diesem monotonen Rhythmus des ‚ewig Gleichen‘ ist, dass man plötzlich beginnt, auf all die kleinen Dinge zu achten, die eben nicht gleichbleiben, sondern sich jedes Mal verändern. Wenn man wie Hirayama tatsächlich lernt, vollkommen im HIER UND JETZT zu leben, gibt es keine Routine mehr. An ihre Stelle tritt die kontinuierliche Aufeinanderfolge einmaliger Ereignisse, einmaliger Begegnungen und einmaliger Momente. Hirayama nimmt uns mit in dieses Reich zufriedener Gegenwart. Und da wir die Welt durch seine Augen sehen, nehmen auch wir die Menschen, denen er begegnet, mit Offenheit wahr: seinen faulen Mitarbeiter Takashi und dessen Freundin Aya, den Obdachlosen, der in dem Park lebt, in dem Hirayama täglich arbeitet, seine Nichte Niko, die bei ihrem Onkel unterschlüpft, seine Schwester Keiko, die dann doch erscheint, um ihre Tochter wieder nach Hause zu holen, ‚Mama‘, die Besitzerin eines klitzekleinen einfachen Restaurants, das Hirayama an seinen freien Tagen aufsucht, deren Ex-Mann und viele mehr.

Wie kommt es, dass Japan und seine Kultur eine solche Faszination auf Sie ausüben, und welche Aspekte der japanischen Kultur spielten im Rahmen dieses Films eine besondere Rolle?
Der Begriff der ‚Dienstleistung‘ hat in Japan eine völlig andere Bedeutung als bei uns. Am Ende der Dreharbeiten traf ich zufällig einen berühmten amerikanischen Fotografen, der es nicht fassen konnte, dass ich gerade einen Film über einen Mann gedreht hatte, der Toiletten putzt.
„Das ist meine Lebensgeschichte! Als ich als junger Mann nach Japan kam, auf der einen Seite, um der Einziehung nach Vietnam zu entgehen, auf der anderen, um asiatischen Kampfsport zu lernen, sagte der Meister zu mir: ‚Wenn du ein Jahr lang täglich öffentliche Toiletten reinigst, kannst du wiederkommen.’ Das habe ich gemacht, bin jeden Tag um sechs Uhr aufgestanden, um in einem der ärmsten Viertel Tokios die öffentlichen Toiletten zu reinigen. Der Meister hat dies aus der Ferne beobachtet und mich dann als Schüler aufgenommen. Aber ich putze bis heute noch einmal im Jahr eine ganze Woche lang Toiletten.“ (Der Mann ist mittlerweile weit über 60 und ist übrigens nie nach Amerika zurückgekehrt.) Aber das ist nur ein Beispiel von vielen. Es gibt andere Berichte über Führungskräfte großer Unternehmen, die den Respekt ihrer Mitarbeiter erst dadurch erwarben, dass sie vor allen anderen zur Arbeit kamen und die Toiletten putzten. Das ist keine ‚minderwertige‘ Arbeit, sondern vielmehr eine spirituelle Haltung, eine Geste der Gleichheit und Bescheidenheit.
Einmal, während eines langen Aufenthalts in Japan, als ich an den Traumsequenzen von BIS ANS ENDE DER WELT arbeitete, besuchte mich ein amerikanischer Freund, der nie zuvor in Japan gewesen war. Es war Winter, und viele Menschen trugen Masken (Das war 30 Jahre vor der
Pandemie). Mein Freund meinte kopfschüttelnd: „Fürchten die sich denn alle so vor Keimen?”
Ich erklärte ihm: „Im Gegenteil, sie sind alle schon erkältet und wollen ihre Mitmenschen nicht anstecken.” Er sah mich ungläubig an: „Du machst Witze.” Für ihn als Amerikaner war diese hohe Achtung des Allgemeinwohls geradezu unvorstellbar. In Japan ist das selbstverständlich.


Sie sind Tokio und Japan seit vielen Jahren verbunden. Tokio selbst spielt eine große Rolle in PERFECT DAYS, da Ihnen die außerordentliche Chance gewährt wurde, an Orten zu drehen, die normalerweise für Filmarbeiten nicht zugänglich sind. Wie war Ihre Dreherfahrung in Tokio? Und wie hat sich die Stadt seit TOKYO-GA verändert?
Ich liebe Tokio, seit ich mich dort das erste Mal tagelang verlaufen habe. Das war bereits in den späten Siebzigern. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie ich stundenlang in dieser gigantischen Stadt herumgeirrt bin, ohne zu wissen, wo ich mich jeweils befand. Abends bin ich
dann immer in die nächstbeste U-Bahn und hab zu meinem Hotel zurückgefunden. Jeden Tag war ich in einer anderen Gegend. Ich war verblüfft, wie chaotisch die Stadt aufgebaut zu sein schien: Viertel mit uralten Holzhäusern inmitten von Wolkenkratzern und stark befahrenden Stadtautobahnen, zwei oder drei Etagen übereinander. Futuristische Gegenden gleich neben beschaulichen Wohnsiedlungen mit Labyrinthen aus winzigen Gassen. Ich war fasziniert von dem friedlichen Miteinander von Zukunft und Vergangenheit, das sich vor mir auftat. Damals kannte ich nur die USA als Ort, an dem man der Zukunft begegnen kann. Hier in Japan bot sich mir eine andere Version, die mir überaus gefiel.
Und dann war ich in meiner Sicht auf Japan sehr durch die Filme von Yasujiro Ozu beeinflusst. Er war (und ist noch immer) mein erklärter Meister, auch wenn ich ihn erst entdeckt habe, als ich bereits selber mehrere Filme gedreht hatte. Er hat uns ein nahezu seismografisches Bild des
kulturellen Wandels in Japan übermittelt, von den Zwanzigern bis zu seinem Tod in den frühen sechziger Jahren. Mit TOKYO-GA habe ich 1982 sozusagen versucht herauszufinden, wie weit Tokio sich seit seinem letzten Film 20 Jahre zuvor verändert hatte.

Sie sind für Ihre Art, Musik in Ihre Filme zu integrieren, bekannt. Für PERFECT DAYS haben Sie sich ein ganz besonderes Musikkonzept überlegt.
Eine eigens komponierte Filmmusik schien mir nicht zu unserer Darstellung des Alltags zu passen. Doch weil Hirayama sich immer wieder seine Kassetten mit Musik aus den Sechzigern bis in die Achtziger anhört, liefert sein Musikgeschmack quasi den Soundtrack zu seinem Leben: von Velvet Underground, Otis Redding, Patti Smith, The Kinks, Lou Reed und anderen bis hin zu japanischer Musik aus derselben Zeit.

Der Film ist Ozu gewidmet. Welche Aspekte seiner Arbeit haben Sie am nachhaltigsten beeinflusst?
Vor allem das Gefühl, das alle seine Filme durchdringt: dass jedes Ding und jeder Mensch einmalig ist, dass jeder Moment nur einmal geschieht und dass die alltäglichen Geschichten die einzigen Geschichten von Dauer sind.
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Donnerstag 14.12.2023
MUNCH
Ab 14. Dezember 2023 im Kino
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Maler, Exzentriker, Genie: Edvard Munch, Begründer des Expressionismus, ist einer der bedeutendsten Künstler der Moderne. Sein „Der Schrei“ gehört zu den wichtigsten (und teuersten!) Gemälden des 20. Jahrhunderts. Aber wer war Edvard Munch? In vier Episoden entfaltet MUNCH die einzigartige Biografie eines getriebenen Geistes. Vom aufstrebenden Künstler im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zum eigenwilligen Greis, der sein Lebenswerk im besetzten Norwegen vor den Nazis schützt. Munchs Leben ist verwoben mit der europäischen Geschichte, geprägt von riesigem Erfolg und katastrophalem Scheitern, euphorischer Ekstase und selbstzerstörerischem Exzess.
MUNCH ist das vielschichtige Porträt eines unergründlichen Künstlers. Zwischen Schwarz-Weiß-Ästhetik und Gegenwartsvisionen entfaltet Regisseur Henrik Martin Dahlsbakken ein intensives Jahrhundert-Porträt, ein Leben als Tour de Force durch die Zeitebenen und Stilwelten und auf der Jagd nach jenem Echo, das dem weltberühmten „Schrei“ bis heute nachhallt.

Ein Film von Henrik M. Dahlsbakken


Henrik M. Dahlsbakken

Henrik M. Dahlsbakken (*1989) gehört zu den produktivsten und angesagtesten Regisseuren Norwegens. Zahlreiche Filmkritiker sagen dem jungen Filmemacher eine große Zukunft voraus. Seit 2015 führte Henrik M. Dahlsbakken Regie und schrieb das Drehbuch für zahlreiche Filme, unter anderem für den Actionthriller CAVE (2016) und die Tragikomödie GOING WEST (2017). Sein Thriller AN AFFAIR (2018) mit Andrea Bræin Hovig und Tarjei Sandvik Moe wurde in Norwegen zum großen Kassenerfolg. Seine Komödie ANOTHER HAPPY CHRISTMAS (2020) lockte über 100.000 Besucher ins Kino.
Für seine Kurzfilme THANKS FOR DANCING und THE DEVIL’S BALLROOM gewann Henrik M. Dahlsbakken zahlreiche Preise auf internationalen Film Festivals. Beiden gelang auch die Aufnahme in die Shortlist für einen Oscar. Ebenso wie sein Langfilmdebüt RETURNING HOME (2015), das auf den Nordischen Filmtagen in Lübeck als Bester Film ausgezeichnet wurde. Sein Krimidrama LATE SUMMER (2017) gewann den norwegischen Film Critique Award.



Statement des Regisseurs

Ich habe an diesem Film seit Juli 2018 gearbeitet. Nach langer und intensiver Recherche wählte ich vier sehr spezifische Abschnitte aus Edvard Munchs Leben, auf die ich meinen Fokus legte. Danach suchte ich nach passenden Schauspielern für jede der Zeitebenen und arbeitete fast zwei Jahre mit ihnen, bevor wir mit dem Dreh anfingen. Für mich liefern diese vier Lebensabschnitte in ihrem Zusammenwirken einen tiefen und vielschichtigen Einblick in den Menschen Edvard Munch, in seine Entscheidungen, seine Beziehungen und sein künstlerisches Vermächtnis. Außerdem zeigen die Episoden wie sehr er sich im Laufe seines Lebens verändert hat und wie jede Epoche die darauffolgenden beeinflusste. Ich machte mir viele Gedanken darüber, wie ich die doch sehr unterschiedlichen Geschichten auf möglichst subtile Art und Weise miteinander verweben konnte, ohne das Interesse der Zuschauer zu verlieren. Die Lebensabschnitte sind einander Spiegel und Kontrast zugleich. Die audiovisuelle Ebene orientiert sich dabei an Munchs künstlerischer Wandlung während seiner Schaffensphasen. Ich sehe die Struktur des Films wie eine Ausstellung, die mehr und mehr über den Künstler preisgibt, je länger man sie betrachtet.



Die Darsteller

Alfred Ekker Strande – Edvard Munch (20) Alfred Ekker Strande (*1999) studiert Schauspiel an der Norwegian Academy of Theatre. Er stand bereits für mehrere norwegische Filme und Serien vor der Kamera. In MUNCH spielt er den 20-jährigen Edvard, der sich unglücklich in eine verheiratete Frau verliebt. Strande, der wegen seiner unverkennbaren Ähnlichkeit zum jungen Edvard Munch ausgewählt wurde, beschreibt die Rolle als die bisher Herausforderndste seiner Karriere.

Mattis Herman Nyquist – Edvard Munch (29)
Mattis Herman Nyquist (1982) machte 2008 seinen Abschluss an der Norwegian Academy of Theatre. Seitdem spielte er in einer Reihe von Filmen, Serien und Theaterstücken und veröffentlichte 2015 seinen ersten Roman „ Det er jeg som er Torvald“ als Autor. In MUNCH verkörpert er den Maler in seinen späten 20ern zu der Zeit, in der seine avantgardistischen Ideen auf Ablehnung stoßen und seine Ausstellung in Berlin von der alteingesessenen Kunstwelt boykottiert wird. Matti Herman Nyquist schrieb das Drehbuch für diesen Abschnitt des Films selbst.

Ola G. Furuseth – Edvard Munch (45)
Ola G. Furuseth (*1975) studierte Schauspiel in Norwegen und England, wo er seinen Abschluss an der Arts Educational School in London machte. Seitdem spielte er an zahlreichen renommierten norwegischen Theatern und war in vielen Filmen und Serien zu sehen. Ola G. Furuseth übernimmt die Rolle des 45-jährigen Edvard Munch, in seinen dunkelsten Tagen, die er nach einem Zusammenbruch in einer psychiatrischen Klinik in Kopenhagen verbrachte.

Anne Krigsvoll – Edvard Munch (80)
Im Alter von 25 Jahren schloss Anne Krigsvoll (*1957) ihre Schauspielausbildung an der Norwegian Academy of Theatre in Oslo ab. Seit den frühen 1980er-Jahren hat sie sich als eine der bekanntesten norwegischen Theaterdarstellerinnen einen Namen gemacht. Bis heute arbeitet sie
am Nationaltheatret in Norwegen. Unter anderem war sie als „Shui Ta“ in Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“, als „Dorine“ in Molières „Tartuffe“ und als „Martha“ in Edward Albees „Who’s Afraid of Virginia Woolf“ zu sehen. Auch im Kino und TV war sie in ihrer langen Karriere bereits
häufig zu sehen. In MUNCH übernimmt sie die Rolle des greisen Edvard Munch, der kurz vor seinem Lebensende um sein künstlerisches Vermächtnis kämpft: Im von den Nazis besetzten Norwegen versucht er mit letzter Kraft, seine Bilder vor den Invasoren zu schützen.



Munch, Meister der Naturmalerei

Die Kunst Edvard Munchs ist für ihre eindringlichen Darstellungen existenzieller Empfindungen bekannt. Eine ebenso wichtige Rolle spielt in seinen Werken jedoch die Faszination für die Natur. Einerseits verstand Edvard Munch die Natur als sich zyklisch erneuernde Kraft, andererseits sah er sie als Spiegel seiner seelischen Zerrissenheit. Munch entwickelte ein pantheistisches Naturverständnis, das er auf die norwegischen Küsten und Wälder projizierte.
In Edvard Munchs Zeit wandelte sich das Naturverständnis radikal. Unter dem Eindruck neuer Entdeckungen in Biologie, Physik, Medizin und Geologie wurde die Natur nicht mehr als etwas Statisches und Greifbares wahrgenommen, sondern als etwas Dynamisches, das ständig in Bewegung ist. Die Menschen entwickelten ein Bewusstsein für Prozesse, die für das bloße Auge unsichtbar sind – seien es langsame Veränderungen von großer Tragweite wie die Kontinentalverschiebungen und die Entwicklung der Arten oder das nur unter dem Mikroskop sichtbare Gewimmel der Bakterien. Die Grenzen zwischen Mensch und Tier, zwischen Pflanzen und Mineralischem verschoben sich, verschwammen und wurden zum Teil aufgehoben.
In vielen Werken setzte Edvard Munch diese lebendige, dynamische und sich wandelnde Natur ins Bild. Unwetter, Eingriffe des Menschen in die Natur sind ebenso Bildthemen wie sich bewegende Erdmassen mit vermenschlichten Zügen. Ineinander verschlungene Körper vereinigen sich mit der Erde. In einigen Bildern ließ Munch Mann und Frau schwerelos durch den Raum schweben. In einem Text beschrieb er dieses Sujet so: „Die Schicksale der Menschen sind wie die Planeten; sie begegnen sich im Raum, um sogleich wieder zu verschwinden.“ Auf diese Weise brachte der
Künstler die Triebkräfte und Sehnsüchte des Menschen mit zyklischen, universalen Kräften in Zusammenhang.
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Donnerstag 07.12.2023
WIE WILDE TIERE
Ab 07. Dezember 2023 im Kino
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Antoine (DENIS MÉNOCHET) und Olga (MARINA FOÏS) haben den Neuanfang gewagt. Das Ehepaar kehrte Frankreich den Rücken zu und fand in einer kleinen Gemeinde im Landesinneren Galiziens eine neue Heimat. Dort arbeiten sie hart, bestellen ihr Fleckchen Land und leben von dem, was sie erwirtschaften. Doch so sehr sich Antoine und Olga auch bemühen, die Einheimischen begegnen ihnen meist mit Argwohn und Ablehnung: Zu tief ist der Graben zwischen den ortsansässigen Bauern, die dem Kreislauf von schwerer Arbeit und Perspektivlosigkeit entkommen wollen, und den beiden Aussteigern, die sich für ein Leben im Einklang mit der Natur einsetzen.
Als Antoine das Vorhaben ihrer Nachbarn, den Anta-Brüdern (LUIS ZAHERA & DIEGO ANIDO), unterwandert, Land für den Bau von Windrädern zu verkaufen, verwandelt sich der schwelende Konflikt in unverhohlene Feindseligkeit. Während sich die Männer in einer zunehmend eskalierenden Spirale der Angst und Gewalt verlieren, ist es schließlich Olga, die mit tiefer Entschlossenheit einsam und stoisch ihren schweren Weg geht, um für Gerechtigkeit zu sorgen.


Inspiriert von einer wahren Geschichte, schickt der spanische Regisseur Rodrigo Sorogoyen („Macht des Geldes“, „Madre“) mit seiner sechsten Regiearbeit seine Charaktere wieder in eine Extremsituation und erzeugt eine daraus resultierende eindringliche psychische Spannung. Durch die intensive Darstellung von Denis Ménochet („Nach dem Urteil“, „Beau is Afraid“) und Marina Foïs („Poliezei“, „In den besten Händen“) wird diese Spannung, eingebettet in der rauen, ursprünglichen Landschaft, geradezu körperlich spürbar.

Seit der Weltpremiere in Cannes 2022, wo WIE WILDE TIERE als Sensation gefeiert wurde, ist der Erfolg des Films ungebrochen. Bei der Verleihung der Goyas 2023 räumte er neun Preise ab, unter anderem für Bester Film, Beste Regie sowie Bester Hauptdarsteller. Weiterhin wurde er mit dem César als Bester Ausländischer Film ausgezeichnet und konnte u.a. das Dublin International Film Festival, das Miami Film Festival sowie das Tokyo International Film Festival gewinnen. Beim letztjährigen San Sebastián International Film Festival erhielt WIE WILDE TIERE zudem den Publikumspreis für den Besten Europäischen Film. In Spanien zog der existentielle Thriller über den Clash zweier Welten bereits über 1 Mio. Besucher in die Kinos.


Ein Film von Rodrigo Sorogoyen
Mit Marina Foïs, Dénis Menochet, Luis Zahera u. a.


Seit Jahrhunderten wird in Galicien die „Rapa das Bestas“ zelebriert, ein atavistisch und gewaltsam erscheinendes Ritual. Männer aus den Gemeinden, so genannte Aloitadores, treiben verwildert in den Bergen lebende Pferde ins Tal, um sie dort zu scheren und zu markieren. Ein intensives Spektakel, ein Kräftemessen von Menschen und Tier, Zivilisation und Ursprünglichkeit – ein Männlichkeitsritus ebenso wie ein Initiationsritus, der Versuch, dem Gegner seinen Willen aufzuzwingen, ihn zu brechen…

Der Brauch der „Rapa das Bestas“ ist, als würde man die Lebenssicht der einfachen Menschen dieser ebenso prachtvollen wie armen Gegend unter ein Brennglas legen: So sehen sie das Leben, ein ewiger Kampf, ein ewiges Ringen darum, notfalls auch mit Gewalt die Oberhand zu behalten, sich nicht unterkriegen zu lassen. So führen sie ihr Leben in ihren kleinen Gemeinden, die von Gegenwart und Fortschritt vergessen wurden. Die Alten müssen tatenlos miterleben, wie die Jungen in die Metropolen ziehen, weil sie nur dort eine Perspektive haben, während sich die Dörfer leeren und zusehends verfallen. Die noch da sind, treffen sich in den Dorfkneipen und beklagen ihr Schicksal als Opfer eines Europa, in dem für sie kein Platz mehr ist.

Fünf Jahre sind vergangen, seitdem Antoine (DENIS MENOCHÉT) und Olga (MARINA FOÏS) sich in einem dieser kleinen Dörfchen in Galicien angesiedelt haben, mit dem erklärten Plan, baufällige oder verfallene Hütten und Häuser wieder Instand zu setzen und die Gemeinde zu neuem Leben zu erwecken, ihr eine Zukunft zu geben. Das idealistische Paar aus Frankreich hat sich mit dem Projekt einen lang gehegten Traum erfüllt. Der Hektik und dem Stress der Großstadt endlich entfliehen, wieder ankommen bei sich und dem eigenen Leben, in Einklang leben mit der unberührten, ursprünglichen Natur. Zufrieden sein, ehrlich sein, glücklich sein.

Das bedeutet harte Arbeit, lange Stunden, wenig Freizeit. Ihr Projekt ist ihnen die Mühsal wert. Ihr Herz schlägt für die prachtvolle Gegend. Wenn Antoine durch den Wald zieht und Wildpferde nur wenige Meter entfernt an ihm vorbeilaufen, weiß er, dass er dieses neue Leben für nichts auf der Welt aufgeben würde. Das Paar ernährt sich von dem, was es anbaut, verkauft sein Gemüse auf dem Markt, sucht Anschluss bei den Menschen. Hin und wieder sprechen sie online mit ihrer Tochter, die weiterhin in Frankreich wohnt, und freuen sich, ihren Enkel zu Gesicht zu bekommen.

Antoine und Olga haben aber nur wenige Freunde gefunden. Auch nach so langer Zeit bekommen sie unverändert Vorbehalte zu spüren, Ressentiments, Ablehnung, Misstrauen. Für die Dorfbewohner sind sie immer noch die Anderen, die Fremden, Grund für alle Probleme und nicht Teil der Lösung – wie sich die beiden selbst sehen. Manche geben sich konziliant, andere schneiden sie komplett. Aber stets schwingt mit, dass die beiden Franzosen nicht wirklich willkommen sind, dass sie nie wirklich dazugehören werden, auch wenn sie sich noch so sehr um den Erhalt der Natur und den Wiederaufbau des baufälligen Dörfchens bemühen.

Beim Treff im örtlichen Lokal sind es vor allem ihre unmittelbaren Nachbarn, die Brüder Xan und Loren Anta (LUIS ZAHERA & DIEGO ANIDO), die Bemerkungen fallen lassen, Antoine abfällig mit „der Franzose“ ansprechen. Xan, der ältere der beiden, merkt bissig an, dass Antoine und Olga den darbenden Einwohnern nicht helfen mit ihrer standhaften Weigerung, ihre Einwilligung für den Bau neuer Windräder zu geben: Sie, die Einheimischen, brauchen das Geld, wenn wie nicht untergehen wollen. Was anfangs noch unterschwellig gärte, wächst zu einem unverhohlenen Konflikt heran, als Antoine an einem Morgen leere Schnapsflaschen vor seinem Haus findet und feststellen muss, dass jemand auf die beiden Stühle vor dem Haus uriniert hat. Nachts starren die Brüder dann unverhohlen durch das Schlafzimmerfenster. Die Polizei wiegelt ab. Antoine solle das Gespräch suchen, sagen sie, unter Nachbarn gäbe es nun mal ab und zu Streitigkeiten.

Aber das ist erst der Anfang. Der Brunnen des Ehepaars wird mit Autobatterien vergiftet: Die Ernte können sie abschreiben - sie war ihr einziges Auskommen. Antoine ist außer sich. Er beschließt, sich nichts mehr gefallen zu lassen. Mit seiner Digitalkamera auf die Brüder gerichtet, konfrontiert er sie auf ihrem Grund und Boden. Es kommt zu Handgreiflichkeiten. Aggression liegt in der Luft. In der freien Natur versucht Antoine, wieder zur Ruhe zu kommen. Der Blick über die Wälder und Hügel ist atemberaubend. Wir werden uns verteidigen, sagt er nachts zu Olga. Sie seien nicht gekommen, um zu kämpfen, antwortet sie. Er versichert Olga seine Liebe: Er sei nichts ohne sie.
Antoine beginnt Beweise gegen die Anta Brüder zu sammeln und versucht nochmals eine Aussprache mit Xan.

Als ihr alter Freund und Ziegenhirte Breixa stirbt, verändert sich alles. Sein Neffe aus der Stadt ist der alleinige Erbe. Anders als sein Onkel wird er kein Veto gegen neue Windturbinen einlegen. Er will auch Antoine und Olga überzeugen: Die Menschen aus dem Dorf brauchen das Geld. Und das Ehepaar könnte mit den Einnahmen aus dem Verkauf des Landes ihr Projekt an einem anderen Ort in Galicien fortsetzen. Das Paar ist skeptisch und befürchtet, man wolle sie um ihr Land und ihr Projekt bringen. Nachts werden sie auf dem Nachhauseweg von den Anta-Brüdern gestoppt. Erst nach mehreren Minuten nackten Terrors kann das Ehepaar weiterfahren. Olga ist überzeugt, dass die Brüder Antoine ermordet hätten, wenn sie nicht im Auto gewesen wäre. Sie hat Angst, sagt sie. Um Antoine. Sie will einlenken, nachgeben. Er ist nicht bereit dazu. Und beschwört die Katastrophe damit herauf. Einige Tage später kehrt Antoine nicht nach Hause zurück.

Olga ist allein. Sie gibt nicht auf. Mehr als ein Jahr ist vergangen. Methodisch durchkämmt sie die Gegend, immer in der Hoffnung, ein Lebenszeichen von ihrem spurlos verschwundenen Mann zu finden . Weiter arbeitet sie hart, pflanzt an, erntet, verkauft das Gemüse auf dem Markt, macht die Abrechnungen, kauft Schafe für den Hof. Ihre Tochter kommt zu Besuch. Sie beschwört ihre Mutter, diesen Fleck Erde endlich zu verlassen, ihr Projekt sei gescheitert. Es sei nicht sicher für sie, ihr Leben bedroht. Aber Olga ist nicht bereit aufzugeben. Sie wird niemals einlenken, wird sich dem Druck niemals beugen. Sie will ihre Unabhängigkeit bewahren und ihren und Antoines Traum leben – komme, was da wolle…


STATEMENTS ZU DREHBUCH UND INSZENIERUNG
(von Rodrigo Sorogoyen und Isabel Peña)

Der Hintergrund

Als wir in der Zeitung von der Konfrontation in einem galizischen Dorf zwischen einem ausländischen Paar und ein paar Ansässigen lasen, die seit Jahren Nachbarn waren, wussten wir gleich, dass sich in diesen Ereignissen die nötigen Elemente befänden, um eine spannende Geschichte für das Kino zu bauen.

Wir studierten den Fall, um einerseits alles darüber zu erfahren, und uns andererseits davon zu distanzieren und ihn in Fiktion verwandeln zu können, unsere Fiktion. Wir kannten die Menschen, die involviert waren oder glaubten es zumindest. Wir kannten ihre Motivationen, ihre Träume, oder glaubten es zumindest. Und damit begannen wir, unsere eigenen Figuren zu erschaffen. Wir änderten Namen und Nationalitäten. Wir wollten nicht diese wahre Geschichte erzählen, sondern eine Geschichte, die von den wahren Ereignissen inspiriert ist.

Als erstes entstanden Antoine und Olga, ein französisches Paar um die 50, das die Nase voll hat vom Leben in der Stadt und deshalb in ein beschauliches, isoliertes Dörfchen in Ourense zieht, um noch einmal von vorn anzufangen - in direktem Kontakt mit der Natur. Dann kam der ganze Rest.

Ein Dorf, dessen Menschen nach und nach abwandern (wie das in vielen Dörfern in Spanien der Fall ist, eine Tragödie unserer Zeit) und dessen Einwohner Argwohn gegen Ausländer hegen. Ein Brüderpaar, das zornig ist auf die Welt und deshalb auch auf diese beiden Ausländer in ihrer Mitte. Der Konflikt zwischen den Einheimischen und den Außenseitern. Der Kampf des „Ich bin von hier und du nicht“.

Finanzielle Probleme, die Problematik der Identität bezüglich des Besitztums von Land. Drohungen, Stolz, Schwierigkeit der Koexistenz, Ausbrücke von Gewalt, Angst. Die beiden letzten Elemente wurden zur zentralen Achse, auf der die Geschichte ruht: Gewalt und Angst. Die Gewalt der Umgebung, die Gewalt der Brüder gegenüber dem Paar. Die Gewalt eines Dorfs, das sich des Fremden entledigen will, desjenigen, der nicht von hier ist, der gekommen ist, um sich das zu nehmen, was ihm nicht zusteht. Und die Angst des Paares, das fürchten muss um sein Projekt, um seine Zukunft. Die Angst des Mannes, jedes Mal, wenn er wieder nach Hause kommt. Die Angst der Frau, jedes Mal, wenn der Mann später als üblich nach Hause kommt. Die Angst, der Konflikt könnte in einer Tragödie enden, weil man nicht in der Lage war, ihn rechtzeitig zu entschärfen. All das lag für uns auf dem Tisch, als wir die Entscheidung trafen, dass dies unser nächster Film sein würde.

Nach und nach und auch bedingt durch die Kraft der Geschichte begannen wir, unseren Fokus auf die Frau zu legen, auf Olga. Ihre Geschichte war es, die wir erzählen wollten, die es wert war, erzählt zu werden. Die Geschichte einer Frau, die im Schatten zu stehen scheint. Die ihrem Mann auf ein Abenteuer zu folgen scheint, zuerst in ein romantisches, dann in ein gefährliches. Die um ihr Leben bangt, die zu vermitteln versucht und eine friedliche Lösung des Konflikts finden will. Und die sich unvermittelt in der schlimmsten Situation wiederfindet.

Wir verwandelten Olga in eine richtige Protagonistin und erdachten einen dualen Film. Wir nahmen uns das Drehbuch vor, als bestünde es aus zwei Teilen. Wir fanden einen Weg. Dualität in allen Belangen. Dann war die Geschichte es wert, in einem Film erzählt zu werden.

Der erste Teil soll aus Antoines Blickwinkel erzählt werde, der zweite aus Olgas Perspektive. Diese Frau, die zunächst wie eine Nebenfigur erscheint, die offenkundig im Windschatten des Protagonisten fährt, würde sich als unsere eigentliche Hauptfigur entpuppen.
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Mittwoch 29.11.2023
AUF DEM WEG
Ab 30. November 2023 im Kino
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Nach einer wilden Partynacht stürzt der Schriftsteller und Abenteurer Pierre (Jean Dujardin) betrunken von einem Balkon und verletzt sich dabei schwer. Kaum aus dem Koma erwacht, beschließt er, gegen den Rat seiner Ärzte und Familie, Frankreich zu Fuß zu durchqueren.

Pierres Reise beginnt im Süden in der Provence. Durch unberührte Natur und auf verborgenen Pfaden wandert er 1300 km bis an die Küste der Normandie. Auf dem langen Weg macht er Zufallsbekanntschaften, wandert einen Teil des Weges mit seinem besten Freund Arnaud (Jonathan Zaccaï) oder seiner jüngeren Schwester Céline (Izïa Higelin).

Schritt für Schritt findet er durch die Auseinandersetzung mit der Natur, seinem Körper und seinen Begegnungen den Weg zu sich selbst.

Ein Film von DENIS IMBERT
Nach der Erzählung „auf versunkenen wegen“ von SYLVAIN TESSON
Mit JEAN DUJARDIN


Oscar-Preisträger Jean Dujardin (THE ARTIST, INTRIGE) erfindet sich in der Rolle eines verwöhnten Schriftstellers neu. Frei nach der Lebensgeschichte und dem darauf basierenden Bestseller „Auf versunkenen Wegen“ des französischen Autors Sylvain Tesson („Der Schneeleopard“, „Weiß“), besticht er als komplexer Charakterdarsteller vor den majestätischen Landschaften Frankreichs.

AUF DEM WEG ist ein zuversichtlicher Film über das Unterwegssein, eine Ode an die Kraft und Schönheit der Natur und eine ermutigende Geschichte über das Weiterkommen. Regisseur Denis Imbert inszeniert die Landschaften so lebendig und kraftvoll, dass man nach dem Film sofort seine Wanderschuhe rausholen und losziehen möchte.

Unter dem Originaltitel SUR LES CHEMINS NOIRS ist der Film mit über einer Million Kinozuschauern in Frankreich ein Riesenerfolg.

AUF DEM WEG ist eine Produktion von Radar Films, La Production Dujardin, TF1 Studio, Apollo Films, Echo Studio, France 3 Cinema, Auvergne-Rhône-Alpes Cinéma, unter Beteiligung von France Télévisions la région Auvergne-Rhône-Alpes und dem CNC OCS, mit der Unterstützung vom Institut national de l’information géographique et forestière und der Unterstützung des Département des Alpes de Haute-Provence und Alpes-Maritimes.



INTERVIEW MIT DEM REGISSEUR DENIS IMBERT

Wie ist dieser Film entstanden?
Zwischen zwei Filmen hat man immer eine Übergangsphase, die unangenehm ist. Man fühlt sich verloren, ist voller Zweifel, denkt zu viel nach. In so einer Phase entdeckte ich „Auf versunkenen Wegen“ von Sylvain Tesson. Ich habe alle seine Bücher gelesen und als ich von seinem schrecklichen Unfall in Chamonix erfuhr, hat mich das sehr berührt. Als ich dann sein Buch „Auf versunkenen Wegen“ las, hatte ich den Eindruck, dass Sylvain bei sich angekommen war. Am Ende des Lockdowns entstand dann dieses Projekt, aus dem Gefühl heraus, dass ich genug hatte vom Stadtleben und mich wieder mehr mit der Natur verbinden wollte. Und mit dieser Wanderung, bei der Sylvain Tesson die Diagonale du Vide in Frankreich durchquert und den ländlichen Raum umarmt, gab es ein Thema für einen Film.

Was schätzen Sie am Schriftsteller Sylvain Tesson?
Für mich ist er der Reiseschriftsteller schlechthin. Allerdings wird er nur selten persönlich und so muss man als Leser wie ein Archäologe vorgehen. In jedem seiner Bücher ist man bei ihm, hat das Gefühl, ihn auf seiner Reise zu begleiten. Aber man erfährt nur wenig darüber, was er wirklich empfindet. Bei Sylvain muss man den Presslufthammer ansetzen, um den Schiefer oder den Kalkstein zu zertrümmern. Dadurch wurde mir klar, wie intim und persönlich dieses Buch wirklich ist. Es ist eine Art Auto-Fiktion.

Was war der entscheidende Grund diesen Film zu machen?
Es gibt einen Satz in „Auf versunkenen Wegen“, in dem Tesson schreibt, dass der einzige Grund, warum er Frankreich zu Fuß durchqueren wollte, auf einem zerknitterten Stück Papier zu lesen war, das er tief unten in seinem Rucksack aufbewahrte. Dieser Satz am Anfang des Buches ließ mich nicht mehr los und ich fragte mich, was dahinterstecken könnte. Ich sagte mir, dass es zwingend eine Frau sein muss. Und die Tatsache, dass es in der Erzählung diesen Kern von Intimität und Vertrautheit gibt – und damit die Chance, sich dem Innersten der Figur zu nähern – war, machte das Ganze für mich zu einem Filmstoff.

Wie sind Sie bei der Adaption vorgegangen?
Ich teilte mir die Arbeit mit Diaste?me (der Künstlername des in Frankreich bekannten Schriftstellers und Drehbuchautors Patrick Asté). Er kümmerte sich um das Literarische, also das Skelett, das ich mit Fleisch füllen musste. So brachte ich die Rückblenden und alle Szenen mit ein, die etwas über die Psyche der Hauptfigur aussagen. Beim Schreiben des Drehbuchs ließ ich mich von einer Grundidee leiten: Es geht in der Geschichte ja nicht um Leistungsfähigkeit, sondern um einen Mann, der die Zeit anhält und dabei das Land durchquert. Es ist ein Film und damit ein Buch über Wiedergutmachung. Ich liebe die Natur, aber wollte auf keinen Fall einen Film drehen, der eine Postkartenidylle bedient und der wie ein Werbefilm für das Fremdenverkehrsamt von Larzac wirkt. Die Natur ist die Grundlage, in die die Figur eintaucht. Für Sylvain ist sein Buch wie das Gespräch zwischen der Landschaft und sich selbst. Sobald wir gehen, wenn wir allein sind, befinden wir uns in einer Selbstreflexion. Es ist eine Reise in das eigene Innere. Sylvain Tesson spricht von
„l’e?nergie vagabonde“.

Was war Ihnen bei der Umsetzung wichtig?
Mir war klar, dass ich den Film nur mit einem kleinen Team von etwa zehn Personen drehen möchte. Während des ersten Lockdowns machte ich mich auf die Suche nach den Drehorten. Auf keinen Fall wollte ich einen Film drehen, ohne selbst diese Wanderwege gegangen zu sein. Mit Arnaud Humann, Sylvains Reiseführer, begab ich mich auf die Reise. Wir fuhren die Strecke hauptsächlich im Auto ab, an einigen Tagen sind wir aber tatsächlich gewandert. Mir war es wichtig, mich in die Fußstapfen Sylvains zu begeben, die Schwierigkeiten beim Wandern, aber auch die Annehmlichkeiten eines Biwaks, selbst zu spüren. Dabei trafen wir auf sehr unterschiedliche Menschen, auf Jäger und Bauern. Das floss dann mit ins Drehbuch ein. Für die Szene mit dem Bauern zum Beispiel habe ich die Dialoge nach meinem Treffen mit ihm komplett neu geschrieben. Und am Ende habe ich ihn engagiert, um seine eigene Rolle zu spielen.

Wie wichtig waren für Sie die Rückblenden, die Zufallsbekanntschaften, Freunde und Familienmitglieder von Pierre?
Als Sylvain uns bei den Dreharbeiten besuchte, beobachtete ich, wie er mit den Bauern umging, sich mit ihnen unterhielt. Er agiert dabei sehr natürlich, solche Begegnungen sind ihm vertraut. Man erfährt viel über ihn durch die Menschen, denen er begegnet. Das mitzuerleben war hochinteressant. In der Szene mit der jungen Frau, der er ein Stück Käse abkauft, spürt man, dass es auch um Verführung geht. Aber man merkt, wie sehr sich Pierre im Griff hat, wie defensiv er agiert. Er geht seinen Weg, lässt sich nicht ablenken. Später erfahren wir, dass Pierre durchaus ein Lebemann sein kann, wenn er sich in Gesellschaft befindet. Dann ist er für weibliche Reize durchaus empfänglich. Ich wollte solche subtilen Dinge herausfiltern, sie aber nicht überbetonen.

Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie Regie führen?
Für mich ist es notwendig, selbst hinter der Kamera zu stehen, zu schwenken und den Bildausschnitt auszuwählen. Wenn man bei einem Film wie AUF DEM WEG nicht sehr nah an den Schauspielern ist, kann man ihnen bestimmte Dinge nicht sagen oder mitgeben. Die Kamera dreht sich ständig um 360 Grad, wir filmen die Hauptfigur entlang eines Tals, bis sie von dort aus dem Bild verschwindet. Man muss darauf achten, dass im Schnitt keine Probleme entstehen. Daher musste ich hinter der Kamera stehen und teilte mir die Arbeit mit meiner Kamerafrau Magali Silvestre de Sacy. Wir beschlossen auch, nur mit einer einzigen Kamera zu drehen. Das zwingt einen dazu, wenig aufzulösen, die Einstellungen so lange wie möglich stehen zu lassen und immer in Bewegung zu bleiben. Wir filmen einen Protagonisten, der durch ein Tal geht, nicht umgekehrt. Und diese Arbeitsweise macht den Film aus: Zunächst findet man die optimale Kameraposition, bleibt dann bei der Figur, die am Feuer sitzt, ein Buch herausnimmt, liest, es wieder hinlegt, eine Zigarre raucht, Holz nachlegt ... Und es war wirklich diese Länge, die ich suchte. So umgeht man Schauspielerreflexe und setzt verstärkt auf das Unterbewusstsein.

Wie waren die Drehbedingungen?
Wir konnten den Film in der gleichen Zeitspanne drehen wie bei Sylvains Reise: zwischen Anfang September und Ende November. Pierre ist kein Wanderer. Er ist zu Fuß unterwegs, schaut auf seine Karte und legt jeden Tag eine bestimmte Strecke zurück. Er weiß, dass er nicht mehr im Freien schlafen kann, wenn der Winter kommt, also muss er diesen Rhythmus beibehalten. Ich wollte eigentlich in der Hitze des Spätsommers anfangen zu drehen, so dass Pierre nach und nach von Wind und Frost eingeholt wird. Aber genau dann kam ein sehr milder Herbst mit Temperaturen um die 12 Grad. Glücklicherweise gab es auch Regen und Kälte. Die Herausforderung bestand ursprünglich darin, dass die Hauptfigur am Anfang des Films von der Hitze überwältigt wird. Pierre sollte schwitzen. Stattdessen bekamen wir Regen. Wir konnten bei den Dreharbeiten nicht an vorherige Drehorte zurückkehren. Für einen Regisseur ist das eine Katastrophe (lacht). Wahrscheinlich haben wir nur ein- oder zweimal am selben Ort geschlafen.
Wir mussten uns als Drehteam, wie die Hauptfigur, immer vorwärtsbewegen. Aber Sylvain Tesson sagt immer, um frei zu bleiben, sollte man nie mehr als zweimal am selben Ort schlafen.

Welcher Schauspielertyp ist Jean Dujardin?
Jean ist ein Schauspieler, der hart und viel arbeitet. Man muss bei ihm ebenso schnell sein wie er, sich Fragen stellen, bevor er sie stellt und Antworten parat haben. Er ist jemand, der sehr verfügbar ist. Für ihn zählt nur der Film. Ich wollte bei Jean erreichen, dass er sich fallen lässt, ihn auf seinen Kern reduzieren, dass bei ihm alles aus seinem Inneren kommt. Er ist ein Schauspieler, der es konkret und realistisch mag. Er muss die Dinge spüren. Mir war es wichtig, dass die Schauspieler, die mit Jean zusammenspielten, immer am Abend vorher anreisten und dann mit ihm gemeinsam zum Abendessen gingen. Sie trafen auf einen Mann voller Empathie. Jean schafft sofort eine Verbindung zu den Menschen. Er ist ein sehr kameradschaftlicher Schauspieler, er reicht seinen Partnern die Hand und sorgt dafür, dass man sie gut wahrnimmt.


INTERVIEW MIT JEAN DUJARDIN

Beim Wandern wird das Leben auf das Wesentliche reduziert, meint Sylvain Tesson. Sehen Sie das ähnlich?
Ich verspürte schon seit langem diesen innigen Wunsch, einfach loszuziehen, mich dabei von ganz vielen Dingen freizumachen und mich auf eine Wanderschaft zu begeben. Beim Dreh habe ich genau das getan, was ich mir vorgestellt hatte. Es handelt sich hier ja nicht um einen Spaziergang. Es ist ein Weg, bei dem man sich spüren will und auch eine Form der Heilung erreichen möchte. Ich hatte wirklich Lust, das selbst zu erleben. Mein Spiel habe ich dabei auf das Notwendigste reduziert. Dabei musste ich immer bedenken, dass ich mich in die Fußstapfen von Sylvain Tesson begeben habe. Es bleibt der Schmerz eines anderen Mannes, den ich versuchte, mir anzueignen. Ich konnte ihn verstehen…

Wie spielt man jemanden, der fast immer allein auf der Leinwand zu sehen ist?
Jeder Film ist ein Abenteuer. Aber ein Film ist auch wie ein Wunder und wird nie so, wie man ihn sich vorstellte, als man das Drehbuch las. Ich habe einige Bücher von Sylvain Tesson gelesen, um mich dann doch wieder davon freizumachen. Ich traf ihn auch. In seiner Art, das Leben und die Welt auszufüllen, ist er ziemlich einmalig. Er ist originell, witzig und wenn man mit ihm redet, hat man immer das Gefühl, er sei schon wieder dabei, sein nächstes Buch zu schreiben. Ich musste mich dann im Spiel wieder von seiner Persönlichkeit lösen, weil ich sonst ja nur eine Kopie spiele, was ja völlig uninteressant wäre. Mir war nicht bewusst, wie persönlich sein Buch „Auf versunkenen Wegen“ ist. Das wurde mir erst beim Drehen klar.

Nun findet ja im Film keine Verherrlichung statt. Kam Ihnen diese Zurückhaltung entgegen?
Auf jeden Fall! Die Herausforderung bestand ja darin, von einer sehr persönlichen, intimen Erfahrung zu erzählen. Das ist nie einfach und wie eine Falle. Wenn man im Süden im Mercantour mit dem Dreh beginnt, einer Landschaft, die so wunderbar und gigantisch ist, hat man Lust, sich alles anzueignen. Dabei muss man sich sagen: Ja, es ist schön, aber auch völlig egal. Ein schöner Film ist noch lange kein guter Film. Es ist wie in einem Western, in dem es nur Pferde und Cowboys gibt. Das ist schön, aber wesentlich ist, wie man es erzählt. Man muss den Dingen ganz nah kommen.

Welche Erinnerungen nehmen Sie von den Dreharbeiten mit?
Man geht mit einer gewissen Frustration nach Hause. Aus mehreren Gründen. Zuerst, weil ich natürlich nicht 1300 Kilometer zu Fuß gelaufen bin wie im Buch. Mehr als drei bis vier Kilometer pro Tag waren es nie. Ich habe wunderbare Landschaften durchquert, aber im Auto (lacht). Ich hatte das Gefühl, ganz bei mir zu sein, dabei war ich immer in Gesellschaft. Ich hätte all dies gerne ganz allein gemacht und zweifellos mache ich das auch eines Tages. Das Beste sind die Erinnerungen an die Leute, die ich auf den Dorfplätzen traf, die etwas spontan mit einem teilten. Es erinnert einen daran, dass es noch Menschlichkeit und Wärme gibt, das beruhigt.
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Donnerstag 23.11.2023
THE OLD OAK
Ab 23. November 2023 im Kino
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THE OLD OAK ist ein besonderer Ort: Es ist nicht nur der letzte Pub, sondern auch der einzig verbliebene öffentliche Raum, in dem sich die Menschen einer einst blühenden, nordenglischen Bergbaugemeinde treffen. Nach 30 Jahren des Niedergangs stehen dem OLD OAK noch härtere
Zeiten bevor. TJ Ballantyne (Dave Turner), der Wirt, versucht händeringend seinen Pub zu retten, aber nach der Ankunft syrischer Flüchtlinge, die im Dorf untergebracht werden sollen, wird THE OLD OAK zum „umkämpften Gebiet“. Als sich TJ mit der jungen Syrerin Yara (Ebla Mari)
anfreundet, versuchen die beiden, die so unterschiedlichen Kulturen einander näher zu bringen, für eine bessere, gemeinsame Zukunft – nicht zuletzt auch für THE OLD OAK.

Ein Film von Ken Loach
Mit Dave Turner, Ebla Mari, Claire Rodgerson u.a.

In seinem, nach eigener Aussage, letzten Film zieht es Altmeister Ken Loach - zweimaliger Gewinner der Golden Palme von Cannes (2006 für THE WIND THAT SHAKES THE BARLEY und 2016 für ICH, DANIEL BLAKE) - wieder in den Nordosten Englands. Wieder zeichnet sein
kongenialer Partner Paul Laverty für das Drehbuch verantwortlich. Und mit Dave Turner, mit dem er bereits bei ICH, DANIEL BLAKE und SORRY WE MISSED YOU gearbeitet hat, und Ebla Mari hat Loach zwei formidable Hauptdarsteller gefunden.
Auch thematisch bleibt sich Ken Loach treu: Erzählt wird die Geschichte zweier „Entwurzelter“, die des Pub-Wirts TJ und die der syrischen Geflüchteten Yara. Er steht vor dem Ruin, sie vor einer ungewissen Zukunft in einem ihr fremden Land. Indem sie aufeinander zugehen, retten sie
sich gegenseitig und erschaffen im kleinen Bergarbeiterort eine Solidarität zwischen Engländern und Syrern, wie es sie seit den großen Arbeitskämpfen der Minenarbeiter nicht mehr gegeben hat.
Nach der gefeierten Weltpremiere im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele in Cannes, und dem Gewinn des Publikumspreises der Piazza Grande beim Locarno Film Festival, wird THE OLD OAK in Deutschland erstmals beim FILMFEST HAMBURG (28. September – 7. Oktober 2023) zu sehen sein. WILD BUNCH bringt THE OLD OAK am 23. November 2023 in die Kinos.



Paul Laverty (Autor) über das Projekt

Dieser Film war der schwierigste, den wir je zusammen gemacht haben. Zumindest scheint es mir so. Vor über vier Jahren diskutierten Ken, Rebecca und ich über die Idee, einen dritten Film im Nordosten Englands zu drehen. Es mag zwar nicht so aussehen, wenn ein Film am Ende dann wirklich fertig ist, aber am Anfang und auf dem Weg dahin ist es ein sehr unberechenbares Unterfangen. Es ist definitiv ein Glücksspiel.
Wie immer haben wir dabei unterwegs bemerkenswerte und äußerst großzügige Menschen getroffen, die uns Mut und Inspiration gegeben haben.
Die ehemaligen Bergbaudörfer im Nordosten sind einzigartig und schon auf einer meiner ersten Reisen hatte ich das Glück, John Barron, einen Pfarrer, vor seiner schönen alten Kirche zu treffen, die am oberen Ende seines Dorfes liegt und über die sanften Hügel blickt. Später an diesem Tag sollte es eine Beerdigung geben. Eine junge Mutter hatte erst ihr Kind zur Grundschule gebracht und hatte sich anschließend erhängt, als sie wieder zu Hause war. Dieses Bild und die Vorstellung ihrer letzten Tage verfolgten mich eine lange Zeit, genauso ging es Ken, nachdem ich ihm die Geschichte erzählt hatte. Eine Tragödie, aber alles andere als ein Einzelfall. Bald darauf traf ich nämlich eine ältere Frau, die die Namen anderer junger Frauen nannte, die sich ebenfalls das Leben genommen hatten.
Vor allem meine Gespräche bei meinen Rundgängen durch viele dieser Dörfer mit den älteren Gemeindemitgliedern, die selbst Bergleute oder Angehörige von Bergleuten waren, hinterließen immer wieder einen bleibenden Eindruck. Eine außergewöhnliche ältere Dame in ihren
Neunzigern war früher Krankenschwester und pflegte damals die Verwundeten der Bergbaukatastrophe von Easington im Jahr 1951, bei der 83 Bergleute starben - einer davon war der Vater ihrer Nachbarin, die bis heute neben ihr wohnt. Menschen wie sie und andere, die 1984 am Bergarbeiterstreik beteiligt waren, zeugen bis heute von einem starken Gemeinschaftssinn, Zusammenhalt und politischer Haltung, die in einem auffälligen Gegensatz stehen zur Hoffnungslosigkeit Vieler in der Gegenwart.
Es wurde klar, dass „Vergangenheit" eine wichtige Rolle in unserem Film spielen sollte. Bei meinen Gesprächen mit jungen und alten Menschen, bei meinen Spaziergängen durch diese Dörfer mit ihren verfallenen Hauptstraßen und Häusern habe ich immer wieder über diesen Geist der älteren Generation im Vergleich zur tragischen Geschichte der jungen Mutter nachdenken müssen, die sich das Leben genommen hatte. Wie konnte die energische gemeinschaftliche Solidarität in der Zeit während des Bergarbeiterstreiks so sehr in Isolation und Verzweiflung umschlagen?
Als Ken und ich uns trafen, kamen mir schnell weitere Fragen in den Sinn. Wie konnte eine einst organisierte Arbeiterklasse mit einer kämpferischen Gewerkschaft in dieser Welt von Ricky enden, der Hauptfigur unseres Films SORRY WE MISSED YOU? Wieso erliegt dieser Ricky dem Narrativ der freien Marktwirtschaft und sieht sich als Herr seines eigenen Schicksals, obwohl er an eine App gekettet ist, die jeden Moment seiner Arbeit überwacht? Wieso steht Daniel Blake in unserem anderen Film über den Nordosten auf einmal allein da und wird von der systematischen Brutalität der staatlichen Bürokratie schikaniert? Die Leben von Ricky und Daniel Blake sind keine Zufälle, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen.
Die wichtigste Frage war hier aber, wie wir in der Gegenwart und in unserem Film genau diese Vergangenheit sichtbar machen können.
Bei unseren Fahrten durch die kleinen Gemeinden fiel uns immer wieder der Verfall der Infrastruktur auf: Geschäfte, die mit Brettern vernagelt waren, geschlossene Schwimmbäder, Gemeindehäuser und Bibliotheken, aber noch offensichtlicher war die Anzahl der Pubs, die leer
standen oder abgerissen wurden. Das alles spiegelte die allgemeinen wirtschaftlichen Veränderungen seit dem Bergarbeiterstreik 1984 wider.
Wie wäre es, wenn wir einer alten Kneipe, der letzten im Dorf, die sich gerade noch so über Wasser hält, eine Hauptrolle in unserem Film geben? Sie ist der letzte verbliebene öffentliche Ort, an dem die Vergangenheit noch lebendig ist, auch wenn er von der harschen Realität der Gegenwart bedroht wird. Uns schien, dass dieser Pub, dass THE OLD OAK genau diese weit in die Vergangenheit reichenden Wurzeln hat, die uns helfen könnten, viele der Konflikte und Widersprüche der Gegenwart zu lösen.
Irgendwann fiel mir ein Notizbuch mit dem Eintrag „Tommy Joe Ballantyne hat den Glauben verloren“ in die Hände. Wer dieser Tommy war und warum er seinen Glauben verloren hatte, war nicht klar, aber ich war erleichtert, seine Bekanntschaft zu machen. So bekam TJ seinen Platz in
THE OLD OAK. Er bringt den verlorenen Glauben mit und wirft die noch wichtigere Frage auf, ob er seine Hoffnung wiederfinden kann.
In einem der Dörfer, die wir besuchten, sah ich einen älteren syrischen Mann durch die Straßen laufen. Er trug traditionelle Kleidung und es wirkte fast surreal, wie er in den Straßen an jungen Leuten in Trainingsanzügen vorbeiging. Er schien nichts um sich herum wirklich wahrzunehmen,
und die Vorstellung, wie sehr diese arme Seele durch den Krieg in Syrien traumatisiert worden war, lag auf der Hand.
Sowohl im Nordosten Englands als auch in Schottland begegneten wir wunderbaren syrischen Familien, die uns offen und ehrlich ihre Geschichten erzählten und uns zu unserer Geschichte inspirierten.
In den ehemaligen Bergbaudörfern gibt es extrem günstige Wohnungen und Häuser, die oft Vermietern gehören, die diese Häuser billig ersteigern konnten. So endeten sehr viele syrische Familien, auch aus den anderen Teilen Großbritanniens, im Nordosten und leben nun in dieser allein gelassenen Region Englands.
Von Aktivisten in den Gemeinden erfuhren wir auch, dass Behörden aus anderen Teilen des Landes heimliche Deals mit einigen Vermietern in den Dörfern gemacht hatten, um ihre eigenen Mieter und Schutzbefohlenen in den Nordosten zu verlegen. Eine erste Ahnung von dieser brutalen Politik bekamen wir schon bei den Dreharbeiten zu ICH, DANIEL BLAKE. Es gibt leider immer mehr lokale Ämter, die ihre Probleme buchstäblich woanders abladen, anstatt sich auf eigene Lösungen zu konzentrieren. Selbst einige Gefängnisse informierten beispielsweise bald zu entlassende Häftlinge über billige Wohnungen in den ehemaligen Bergarbeiter-Dörfern.

So wundert es nicht wirklich, dass sich viele der dort lebenden Menschen benachteiligt und ungerecht behandelt fühlen. Hier findet sich immer wieder ein fruchtbarer Boden, den Rechtsextreme nutzen, um ihr Gift zu säen. Dies als Teil unserer Geschichte zu erzählen wäre einfach und vielleicht sogar melodramatischer gewesen, aber wir wollten mit Charlie einen Charakter erschaffen, der komplexer und dadurch im besten Fall auch aufschlussreicher sein würde. Wie kommt es, dass ein anständiger Mann wie Charlie, der sich durchaus als Teil der Gemeinschaft sieht, von den Umständen aufgerieben wird und bestimmte Entscheidungen trifft?
Damit waren wir in der Lage, uns der großen Frage zu stellen, wie sich Hoffnungslosigkeit, Ungerechtigkeit und mangelnde Handlungsfähigkeit auf unser Leben und den Umgang mit anderen auswirken und wie es somit zu Angst und Hass führen kann.
Wie reagiert eine traumatisierte Gemeinschaft, wenn sie sich Seite an Seite mit einer anderen wiederfindet, das hat uns interessiert. Wovor wir die Augen verschließen und was wir sehen wollen, war ein weiterer Aspekt, der uns fasziniert hat, uns schließlich zu Yara in unserer Geschichte führte und sie gleichzeitig erweiterte. Um etwas zu verstehen, muss man neugierig sein und wirklich hinschauen. Einigen, die den syrischen Neuankömmlingen offen und neugierig gegenübertreten, sind wir immer wieder begegnet und das zeigte uns, dass es Hoffnung gibt. Die Frage ist nur, woher kommt diese Hoffnung und wie lässt sich dieser entscheidende Antrieb für Veränderungen erzeugen?
Seit unseren ersten Gesprächen über diese Geschichte im Jahr 2019 haben wir immer wieder mit dem Thema Hoffnung gerungen. Tatsächlich sind wir davon eigentlich schon seit unserer allerersten Zusammenarbeit in den frühen 90er Jahren besessen, was mich zum 17. Juni 2022 bringt, als wir eine Szene in der atemberaubenden Kathedrale von Durham drehten - ein Tag, der mir für den Rest meines Lebens in Erinnerung bleiben wird und der zufälligerweise auch Kens 86. Geburtstag war.
Normalerweise lesen sich Produktionsnotizen sicherlich anders, aber da dies der letzte Film ist, den wir mit Ken gemacht haben, ist hier vielleicht auch der richtige Platz für ein paar besondere Worte und für meine Hochachtung vor ihm.
Wir haben an vielen Orten dieser Welt gemeinsam Filme gedreht, wir waren auf Festivals, haben an Podiumsdiskussionen teilgenommen und zahllose Gespräche und Begegnungen miteinander erlebt. Ich habe gesehen, wie Ken unter größtem Druck gearbeitet hat, als er bei unserem ersten Film in Nicaragua krank wurde, und ich war fast 30 Jahre später dabei, als er am letzten Drehtag von THE OLD OAK alles daransetzte, eine große Szene zwischen heftigen Gewitterschauern doch noch irgendwie zu drehen, während uns die Zeit davonlief. Von kleinen Kindern bis hin zu den angesehensten politischen Persönlichkeiten ist er jedem Menschen mit Freundlichkeit und sanftem Humor gegenübergetreten. Er hat eine klare, sehr feste politische Überzeugung und bietet politischen Gegnern immer die Stirn, aber ich habe nie erlebt, dass er irgendjemandem, egal welcher Überzeugung oder welcher kulturellen oder religiösen Herkunft, mit etwas anderem als tiefstem Respekt begegnete, nicht mal, wenn er völlig erschöpft war. Das liegt in seiner DNA und macht ihn zu einem großen Vorbild.
Eine letzte Sache: Filme zu drehen, selbst mit dem besten Team, ist ein einsames Unterfangen. Es ist sogar noch schlimmer als für einen Autor vor einem leeren Blatt Papier zu sitzen, denn da sind nicht alle Augen auf dich gerichtet wie am Set, wenn man auf dem Regiestuhl sitzt. Das Team wartet auf dich und du musst ständig Entscheidungen treffen. Nach der Corona-Pandemie wäre es für Ken ein Leichtes gewesen THE OLD OAK doch nicht zu machen, einen Film, der immer schon eine gewaltige Herausforderung war. Es waren schon in der Vorbereitungszeit viele Monate Arbeit und Reisen nötig. Das Casting allein nahm mehr als 6 Monate in Anspruch, bevor es an die eigentlichen Vorbereitungen für die Dreharbeiten ging. An manchen Tagen, wenn er mal wieder gegen 23 Uhr ins Hotel zurückkehrte, befürchtete ich, dass das zu viel für ihn wäre, dass er diesen straffen Zeitplan, der jeden jüngeren Mann in seinen 30ern extrem fordern würde, nicht durchhalten könnte. Ich bin fest davon überzeugt, dass ihm seine politischen Überzeugungen dabei geholfen haben, dieses enorme Pensum zu bewältigen, und vielleicht bringt es ihn ja zum Schmunzeln, wenn ich hier den heiligen Augustinus zitiere: „Die Hoffnung hat zwei schöne Töchter: Sie heißen Wut und Mut.“ Erstens, die Wut darüber, wie die Dinge sind. Zweitens, den Mut, sie verändern zu wollen. Das war sein Arbeitsleben. So viel Mut auf so schmalen Schultern.
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Donnerstag 16.11.2023
KRÄHEN – DIE NATUR BEOBACHTET UNS
Ab 16. November 2023 im Kino
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Rabenvögel sind die einzigen Tiere, die uns Menschen seit Tausenden von Jahren beobachten und studieren und die Fähigkeit haben, dieses Wissen an ihre Nachkommen weiterzugeben. Kein Tier weiß mehr über uns zu berichten als Raben und Krähen. Sie sind unsere schwarzen Chronisten.

„Die Kulturgeschichte der Menschheit vollzieht sich unter der Beobachtung von Krähen.“
Cord Riechelmann, Krähen. Ein Porträt.

Ein Film von Martin Schilt

Krähen und Raben begleiten und beobachten uns seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte. Sie haben unsere ersten Schritte im aufrechten Gang gesehen und unsere ersten artikulierten Laute gehört. Sie haben mit uns neue Kontinente erobert und all unsere Kriege und Schlachten erlebt. Sie feiern mit uns Hochzeiten, ernähren sich von den Überresten romantischer Picknicks und wilder Partys und machen sich auf den Müllhalden der Megacities oder als Begleiter der Müllabfuhr über unseren Abfall her.
Krähen und Raben folgen uns, weil wir die besten Jäger, die grausamsten Krieger, die größten Ausbeuter, die verschwenderischsten Konsumenten sind. In unserer Nähe gibt es immer genug zu fressen. Fast überall, wo Menschen leben, gibt es auch Rabenvögel. Und es werden immer mehr!


Ausführungen der Regie

„Könntest Du nicht einmal einen Film über Vögel drehen?“, fragte mich mein Sohn Elijah.
„Vögel? Über welche Vögel sollte man denn einen Film drehen?“
„Über Krähen!“
Wenig später habe ich mich entschieden, einen Film über Rabenvögel zu realisieren. Es erging mir in dieser Hinsicht nicht anders als dem Biologen und Tierjournalisten Cord Riechelmann, der in seinem Buch „Krähen – ein Porträt“ die erstaunliche Natur- und Kulturgeschichte dieser klugen Vögel erzählt.
Je länger ich mich in der Folge mit Krähen und Raben befasste, desto mehr faszinierten sie mich, desto lieber wurden sie mir. Und seit ich den Entschluss gefasst habe, meinen nächsten Film über Rabenvögel zu drehen, lassen sie mich nicht mehr los. Wahrscheinlich habe ich sie vorher schlicht übersehen, aber jetzt habe ich ok den Eindruck, dass wir uns gegenseitig beobachten und studieren.
Der Gedanke, dass uns Rabenvögel schon seit Ewigkeiten über die Schulter schauen, und die Erkenntnis, dass die schwarzen Vögel nicht nur hervorragende Beobachter sind, sondern auch die Fähigkeit haben, ihr Wissen an die nächste Generation weiterzugeben, führte mich schnurstracks zur zentralen These des Films: Rabenvögel sind unsere schwarzen Chronisten. Die Natur beobachtet uns. Und seit ich diesen Claim für mich formuliert habe, sehe ich überall Krähen. Sie kommen mir mittlerweile vor wie Kriegs- und Katastrophenberichterstatter. Ich sehe sie auf Fotos aus den Geisterstädten rund um das verstrahlte Fukushima und ich entdecke sie auf TV-Bildern aus der syrischen Stadt Aleppo. Ich beobachte sie aber auch immer wieder mit Vergnügen in ihrer Rolle als vorwitzige und gewiefte Klatsch- und Tratschreporter auf dem Sportplatz, im Freibad, an Konzerten und Partys.

Krähen sind gleichermaßen neugierig und scheu, sie sind misstrauisch und zutraulich, sie sind fleißig und verspielt. Sie wünschen sich ein eigenes Territorium, treffen sich nach einem anstrengenden Tag vor dem Schlafengehen im großen Schwarm zu einem Austausch über die Lage
der Nation und ziehen am Morgen wieder zurück ins Revier, welches sie leidenschaftlich verteidigen, falls ein fremder Vogel die Grenzen nicht respektiert. Rabenvögel sind uns in vielem sehr ähnlich. Sie sind keine Exoten, keine begnadeten Sänger, in der Regel werden sie nicht gefüttert, sondern müssen sich ihren Lebensunterhalt hart erarbeiten. Sie leben mehrheitlich nicht mehr in der unberührten Natur, sondern immer häufiger in von Menschen zerstörten Ökosystemen. Ein Film über das Leben der Rabenvögel erzählt, also nicht nur viel über sagenhaft anpassungsfähige und intelligente Tiere, sondern auch einiges über uns selber.
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