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43. Nicole Johänntgen „Labyrinth“
44. Sylvie Courvoisier „Chimaera“
45. Art'Ventus Quintet „Swiss Treasure“
46. Nitai Hershkovits „Call On The Old Wise“
47. Tolyqyn „Silver Seed“
48. Ragnhild Hemsing „Vetra – My Norwegian Winter“
Freitag 24.11.2023
Nicole Johänntgen „Labyrinth“
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Das Album „Labyrinth“ ist so traditionell und zugleich dermaßen modern, wie nur wenig andere Musik dieser Tage. Nicole Johänntgen, die in Zürich lebende Saarländerin, schafft diesen Spagat mühelos. Da wäre zum einen die Besetzung. Mit Saxophon, Perkussion und Tuba (in zwei Nummern kommt noch das monströse Sousaphon dazu) rückt das Trio resp. Quartett den zehn Johänntgen-Kompositionen zu Leibe. Das ist schon rein optisch eine Art Reminiszenz an die Vergangenheit des Jazz. Und zum anderen klingt diese Musik auch inhaltlich, als wäre sie von einer groovigen New Orleans Brass Band gespielt. Sie erinnert in ihrer rhythmischen Transparenz, in ihrer harmonischen Schlichtheit und ihrem melodiösen Einfallsreichtum an jene Zeit, als man in der Stadt am Mississippi sich halb lachend, halb weinend von den Beerdigungen tanzend nach Hause bewegte. Das war reinste melancholische Lebensfreude - zu Grabe tragen und wiederauferstehen.
Und auch „Labyrinth“ besitzt diese melancholische Vitalität, diesen spirituellen Charakter in einer Art weltlichen Auslegung. Der hat etwas freudetrunkenes, besinnliches und wildes und manchmal auch noch bluesiges in sich. Eine wunderbare, eine berührende Musik, die die Saxophonistin Nicole Johänntgen am Alt- und Sopransaxophon auch in begeisternder Wucht hier kreiert. Und sie steigert diese Wirkung noch, in dem sie ihrer Stimme rudimentär einbringt. Keine Songs im klassischen Sinn, das wäre zu viel. Nur knapp angerissene und begleitende Melodien, die sie mitsingt und die der ganzen Musik einen humanen Flow gibt. So geraten die musikalischen Kurzgeschichten „Labyrinth“ mal spannend, mal tiefgründig, immer kurzweilig und eindrücklich. Musik, die für jeden kleinen wie großen Konzertsaal geeignet scheint.
Jörg Konrad

Nicole Johänntgen
„Labyrinth“
Selmabird
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Mittwoch 22.11.2023
Sylvie Courvoisier „Chimaera“
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Sylvie Courvoisier gehört zu jenen Musikerinnen und Musikern, für die das Adjektiv ganzheitlich persönlich geschaffen scheint. Die Schweizerin denkt, empfindet und spielt ganzheitlich. Sie komponiert und sie improvisiert ganzheitlich. Sie lässt sich weder von Stilen, erst recht nicht von Moden leiten. Was sie musikalisch unternimmt, das ist zu aller erst individuell. Sie spielt ihre eigene Sprache.
Auch wenn sie für ihr neues Projekt „Chimaera“ einige bedeutende Instrumentalisten der New Yorker Szene mit ins Studio genommen hat – das Ergebnis bleibt letztendlich Sylvies Musik.
Eigentlich ist es nur schwerlich möglich, dass, was hier auf 2 CDs nachzuhören ist, auch angemessen zu beschrieben. Es bleibt immer etwas Ungefähres im Raum, etwas nur halb Ausgedrücktes.
Denn „Chimaera“ ist eine Art flüchtige Kammermusik, die der Moderne ebenso verbunden ist, wie der Tradition; die das Ensemblespiel pflegt und doch als das subtile Ergebnis von Einzelstimmen gehört werden muss. Vielleicht kann man sich dem Album auch von einer anderen Seite nähern: Was Wadada Leo Smith (Trompete), Nate Wooley (trompete), Christian Fennsz (Gitarre, Electronics), Drew Grass (Bass), Kenny Wollesen (Schlagzeug) und die Pianistin Courvoisier gemeinsam unternehmen, könnte auch als eine Sammlung von Geschichten und Bildern in Tönen empfunden werden. Mal voller Energie, mal feinsinnig, mal sind es ganz bewusst gesetzte Noten, mal freischwebende Sounds. Es gibt reibungs- und wechselvolle Spielverläufe und ganz harmonische Wegstrecken. Das Sextett schöpft seine Energien aus bewussten Gegensätzen, geht mit ihnen souverän um und schafft neue Einheiten. Spielprozesse, die sich in ständiger Abwägung, in Bewegung befinden. Traditionsbewusstsein und Innovationsstreben in einem. Aus flüchtigen Berührungspunkten werden langanhaltende musikalische Beziehungen. Kommunikation immer als oberstes Gebot. Am Ende ist es der Triumph der Leidenschaft.
Jörg Konrad

Sylvie Courvoisier
„Chimaera“
Intakt
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Montag 20.11.2023
Art'Ventus Quintet „Swiss Treasure“
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Das erst vor drei Jahren gegründete, in Portugal beheimatete Art'Ventus Quintet hätte es sich bei der Repertoireauswahl auch etwas einfacher machen können, indem die Entscheidung zugunsten bekannterer Komponisten ausgefallen wäre. In Frage kämen hier Mozart oder Beethoven, auch Bearbeitungen von Verdi oder Debussy ständen zur Verfügung. Doch die jungen Leute suchten die Herausforderung und erforschten mit ihrem Programm die Schweiz. Vier weniger bekannte Komponisten bestimmen „Swiss Treasure“. Komponisten, die unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt waren und entsprechend unterschiedliche Tonsprachen entwickelten.
Peter Mieg (1906-1990) stammt aus dem aargauischen Mittelland. Er hat zeitlebens Aquarelle gemalt und war auch, zum Broterwerb, als Kritiker für Zeitungen tätig. „Ich spreche offen von der Anstrengung und scheue mich nicht zu sagen, dass mich jedes Stück unendliche Mühe kostet. Doch anhören soll es sich, als ob es das Selbstverständlichste der Welt sei“, schrieb Mieg 1966. Und das spürt man auch bei seinem 1977 fertiggestellten Bläserquintett, auch „Wind Quintet“ genannt. Es hat von Beginn an diesen leichten, beschwingten Charakter, der vom Ineinandergreifen der verschiedenen Instrumente und ihren Klangfarben lebt. Letztlich wechselt diese scheinbare Unbefangenheit in eine Melancholie, mit dramaturgischen Ausrufezeichen.
Paul Huber (1918-2001) wuchs in einer einfachen Bauernfamilie im Kanton St. Gallen auf und verlor als zehnjähriger beide Eltern. Eine Pflegefamilie ermöglichte ihm das Musikstudium. Er wurde Stadtorganist in Wil SG und später Musikdozent in St. Gallen. Er komponierte neben Kantaten, Oratorien, Symphonien und Kammermusik eben auch das hier eingespielte „Adagio und Scherzino“, das dem 60. Geburtstag des St. Galler Domkapellmeister Johann Fuchs gewidmet ist. Ein festliches, ein vitales Stück, das in seinem verspielten Charakter auch Hubers Verehrung für Anton Bruckner zum Ausdruck bringt.
Paul Juon (1872-1940) ist auf diesem Album der vielleicht bekannteste Komponist. Geboren als Schweizer (der Großvater war Zuckerbäcker aus Graubünden den es nach Moskau zog) studierte er am Moskauer Konservatorium, später dann in Berlin. Er schrieb sinfonische Werke, ein Ballett, drei Violinkonzerte und viel Kammermusik. Man sagt von ihm, er sei das „fehlende Bindeglied zwischen Tschaikowskij und Strawinskij“. Das Art'Ventus Quintet widmet sich hier seinem „Quintett op. 84“, dass Juon 1928 schrieb. Ein wunderbarer Spagat zwischen neoklassizistischen Elementen und volksliedhafter Einfachheit, deren rhythmische Kühnheit gefangen nimmt.
Zum Ende des Albums dann noch das „Divertimento for Wind Quintet op. 69“ von Gion Antoni Derungs (1935-2012). Dieser war Komponist, Musiker, Musikpädagoge und Kulturvermittler in Personalunion. Er schrieb weit über 200 Stücke und schuf eine musikalisch faszinierende Verbindung zwischen Tradition und Moderne. In der hier vorgestellten Komposition fließt zudem sein Schaffen als Komponist von Vokalwerken mit ein.
Insgesamt ist „Swiss Treasure“ eine Entdeckung - sowohl was das Art'Ventus Quintet und seine professionelle und vielschichtigen Interpretation betrifft, als auch die Repertoireauswahl, die einen hochinteressanten Blick in die Kompositionswerkstatt des kleinen Alpenlandes ermöglicht.
Alfred Esser

Art'Ventus Quintet
„Swiss Treasure“
Prospero
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Freitag 17.11.2023
Nitai Hershkovits „Call On The Old Wise“
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Von wegen, auf dem Klavier wäre alles gespielt, es gäbe kaum Neues zu sagen. Wer das glaubt, sollte sich das neue Solo-Album von Nitai Hershkovits anhören. Wie kaum ein anderer bewegt sich der 1988 in Israel geborene Pianist spieltechnisch versiert wie fantasiereich zwischen den Polen notierter Klassik und improvisiertem Jazz. Ein geistreicher Individualist, der in der Vergangenheit auch seine Teamfähigkeit unter Beweis stellen konnte.
Auf „Call On The Old Wise“ macht er sein musikalisches Innenleben akustisch zugänglich, zeigt sein Geschick am Instrument, sein Format in der Auswahl von Themen und Farben. Er glänzt introvertiert, mit einem Kosmos sparsamer Verzierungen, deren Sorgfalt und Perfektion begeistern.
Der überwiegende Teil des Albums besteht aus Stücken von Nitai Hershkovits selbst, von denen wiederum ein Großteil das Ergebnis spontaner Improvisationen sind. Trotzdem sind diese unmittelbaren Momentaufnahmen dramaturgisch geschickt entworfen, ist der musikalische Raum, den der Pianist entwirft, hell und luftig, von einer gewissen Spur Romantik durchzogen.
Zudem interpretiert Hershkovits eine Komposition von Molly Drake, der heute leider viel zu wenig bekannten Sängerin und Pianistin, die 1915 in Burma geboren wurde, wo auch ihr Sohn, der Melancholiker unter den Songwritern, Nick Drake zur Welt kam. Die zweite Fremdkomposition stammt aus Duke Ellingtons „Queen Suite“: „Single Petal Of A Rose“. Nitai Hershkovits macht aus diesem kleinen Werk eine hymnische Ballade, eine beschwörende Formel, umgesetzt mit minimalistischer Insistenz. „Call On The Old Wise“ wird nicht zuletzt durch diese Interpretation zu einer berührenden Entdeckung und insgesamt zu einem assoziativen Meisterwerk.
Jörg Konrad

Nitai Hershkovits
„Call On The Old Wise“
ECM
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Montag 13.11.2023
Tolyqyn „Silver Seed“
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Gute Pop-Musik war schon immer eine Kunst mit Einfluss. Nun mag man sich streiten, ob das Berliner Trio Tolyqyn im Regal unter der Rubrik „Pop“ einsortiert werden kann. Das Denken in Schubfächern sollte heute eigentlich obsolet sein. Dafür ist die Welt zu klein (geworden).
Tolyqyns Einflüsse bedeuten sowohl stilistische, als auch ethnologische Interaktionen.
Roland Satterwhite, Gründer der Formation, stammt aus den USA. Sein musikalisches Herz schlägt schon eine Ewigkeit neben dem Rock'n Roll ebenso für afrikanische Rhythmen, für Jazzharmonien, für Progressive Rock, Satzgesang und musikalisch experimentelle Balanceakte. Und wenn man diese ganzen Ingredienzien in Beziehung bringt, sie miteinander vermengt, entsteht im besten Fall ein Album wie das vorliegende „Silver Seed“.
Der erwähnte Balanceakt, die Herausforderung schlechthin, ist Satterwhites Handhabung seiner fünfsaitigen Viola! Er zupft und schlägt sie wie eine Gitarre, wodurch der Eindruck entsteht, er stehe klanglich in der Tradition der Gnawa, einer ethnischen Minderheit in Marokko. „Die Spieler in diesen Traditionen sind Meister des Musters und des Rhythmus, der Wiederholung und der Variation, und sie nutzen dies meiner Meinung nach viel effektiver als westliche Musiktraditionen“, sagte er unlängst in einem Interview.
Satterwhite fühlt sich ebenfalls von Sting und Peter Gabriel inspiriert – was aber nicht unbedingt heißt, seine Musik ähnele diesen Favoriten stark. Dafür sind alle acht Songs auf „Silver Seed“ zu individuell geraten. Zum Beispiel wechselt Satterwhite neben dem festen Tolyqyn-Mitglied Tal Arditi (Gitarren) die Schlagzeuger entsprechend der Songs immer wieder aus. So ändert sich ständig die rhythmische Farbe, die Intensität und auch die Form der jeweiligen Kompositionen. Was ihnen hingegen bleibt, ist eine gewisse Eingängigkeit. Keine Ohrwurmqualität ist hiermit gemeint, sondern eine einfühlsame, zeitlose Ästhetik, wie sie eben gute Pop-Musik mit Einfluss schon immer hatte.
Alfred Esser

Tolyqyn
„Silver Seed“
Hey!blau Records
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Freitag 10.11.2023
Ragnhild Hemsing „Vetra – My Norwegian Winter“
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Hardanger ist eine kleine Provinz im Südwesten Norwegens und gekennzeichnet von seinen traumhaften Fjorden. Hier entstand vor knapp vierhundert Jahren die Hardangerfiedel, ein zehnsaitiges Streichinstrument, das seitdem in der Volksmusik des Landes als unverzichtbar gilt. Mittlerweile findet die Kastenhalslaute aber auch in der Klassik und im Jazz ihren Platz und wird von namhaften Solisten gespielt, die den leicht schnarrenden, gambenartigen Ton zu nutzen verstehen.
Ragnhild Hemsing beherrscht sowohl das Spiel auf der Violine, als auch das auf der Hardangerfiedel. Sie hat mit beiden Instrumenten in der Vergangenheit weltweit Konzerte gegeben und Aufnahmen eingespielt. Mit „Vetra – My Norwegian Winter“ ist jetzt eines ihrer wohl stimmungsvollsten und berührendsten Alben erschienen. Es sind fast ausschließlich Bearbeitungen traditioneller Volkslieder Norwegens, in deren Mittelpunkt der Winter steht.
Ganz im Gegensatz zu den bisherigen Veröffentlichungen Hemsings, dabei handelt es sich um Interpretationen von Werken Edvard Griegs oder Max Bruchs, verzichtet die Solistin fast gänzlich auf Virtuosität und Perfektion. Hier bestimmt eine feierliche Melancholie das akustische Gesamtbild. Es sind strahlende Töne, ohne jedes Vibrato gespielt, die eine besinnliche Ruhe und einen inneren Frieden vermitteln. Nichts wirkt aufgesetzt, kein Hauch künstlerischer Selbstdarstellung beeinträchtigt diese Aufnahmen. Es sind subtile Klangmalereien, bei denen Ragnhild Hemsing von ihren Mitmusikern wie Mathias Eick (Trompete), Terje Isungset (Percussion), oder Ole und Knut Aastad Braten kongenial unterstützt wird. Man glaubt tatsächlich Feld-Aufnahmen beizuwohnen und selbst ein Teil des Landschaftsbilds zu werden.
Jörg Konrad

Ragnhild Hemsing
„Vetra – My Norwegian Winter“
Berlin Classics
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Autor: Siehe Artikel
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