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43. Germering: Fusk – Stresstest bestanden
44. Landsberg: Chelyabinsk Contemporary Dance Theater – Zwischen Hast und Sin...
45. Olching: Erste Olchinger Rocknacht im KOM
46. Fürstenfeld: Les Autres - Botschaften aus einem Zwischenreich
47. Fürstenfeld: Lily Dahab – Ein stimmliches Ereignis
48. Landsberg: Iiro Rantala – Funkensprühend
Samstag 29.10.2022
Germering: Fusk – Stresstest bestanden
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Foto: Dovile Sermokas
Germering. Fragt man Jazzfreunde, was sie an „ihrer“ Musik so begeistert, lautet bei acht von zehn Enthusiasten die Antwort mit großer Wahrscheinlichkeit: Die Freiheit. Natürlich Freiheit innerhalb eines gewissen Rahmens. Duke Ellington, der „Tonmaler des Jazz“ drückte es einmal so aus: „Jazz ist die Freiheit, viele Formen zu haben“ und Dave Brubeck meinte zu diesem Thema: „Jazz ist wahrscheinlich die einzige heute existierende Kunstform, in der es die Freiheit des Individuums ohne den Verlust des Zusammengehörigkeitsgefühls gibt.“ Wie dieses Gefühl Freiheit in der Praxis klingt, davon gab am Freitagabend das Quartett Fusk in der Germeringer Stadthalle eine akustische Probe. Vier Musiker, wobei jeder seine Individualität auslebt und sie doch gemeinsam etwas reizvoll Kreatives schaffen. Denn zum einen greifen Tomasz Dabrowski (Trompete), Rudi Mahall (Klarinette, Bassklarinette), Andreas Lang (Bass) und Kasper Tom Christiansen (Schlagzeug) mutig wie selbstbewusst in die große Archivkiste des Jazz. Egal ob Swing oder Bop, ob Ragtime oder Blues - sie blicken mit Freuden in Richtung Vergangenheit und reichern auf der anderen Seite diese mit avantgardistischen Zwischentönen und exzentrischen Überzeugungen an, dass man manchmal die Tradition wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen sucht. Sie geben der Musik eine neue, von Gruppendynamik geprägte neue Richtung und schaffen auf der Bühne faszinierende Klangunikate.
Sie sind absolute Meister der Brüche und der Komplexität. Da ist der Kontrast zwischen streng auskomponierten Intervallen und freier Improvisation, der akzentfreie Wechsel von Takten und Harmonien, der Übergang von lustvoller Moderation zu konzentrierter, hintersinniger Musikalität. Alles steht bei Fusk miteinander in Beziehung, befindet sich in ständiger Bewegung, ohne Pathos versteht sich, stattdessen bodenständig, manchmal auch völlig entspannt. Oder eben stürmisch. Ein internationales Quartett, das sich keinen Deut darum schert, wie unterschiedlich doch Kulturen sein können. Die Heftklammer des Jazz hält alles zusammen, macht aus „den Vier“ eine verschworene Truppe. Wenn es so etwas gäbe, hätten Fusk den Stresstest Jazz mit bravour bestanden.
Jörg Konrad
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Mittwoch 26.10.2022
Landsberg: Chelyabinsk Contemporary Dance Theater – Zwischen Hast und Sinnlichkeit
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Foto: Olga Pona
Landsberg. Jede Kunstform, will sie ernst genommen werden, beschäftigt sich mit der Gegenwart. Die Aktualität als Aufhänger für kritische Wahrnehmung, oder, positiver formuliert, das Deuten von krisenbedingten Auswegen und Ressourcen mit Hilfe der Kunst. Im Fall des Chelyabinsk Contemporary Dance Theater aus dem Ural spielt, entsprechend der Form des Ausdrucks, die Ästhetik eine tragende Rolle. Olga Pona, Grande Dame des russischen modernen Tanztheaters, drückt dies für sich folgendermaßen aus: „Tanz ist die Überführung vom Gegenständlichen ins Abstrakte. Tanz formte meinen Körper und Geist, genauso wie meine Sinneswahrnehmung, meine Motivationen und Handlungen. Tanz ist für mich die Suche nach sich selbst mit der Absicht, über sich hinauszuwachsen“.
Am Dienstag gastierte das Chelyabinsk Contemporary Dance Theater in Landsberg mit seinem neuen Werk „Running“. Ein Stück voller Tempo und Rasanz - zugleich aber auch des Atemholens, des Verweilens und des Nachdenkens. Denn diese Form der Besonnenheit scheint in unserer Zeit, aufgrund der unablässigen Betriebsamkeit und Hast, völlig aus dem Blickfeld zu geraten. Es ist der Ausdruck der Sehnsucht in einer orientierungslosen Welt.
Unruhe, Getrieben sein, Erregung scheinen unverzichtbare Säulen des Alltags zu sein. Gibt es eine Möglichkeit, sich dieser Ausrichtung des Lebensgefühls, diesem gesellschaftlichen Anspruch zu entziehen? Stattdessen Geduld, Selbstbeherrschung und Gelassenheit zu den bestimmenden Eckpfeilern des Lebens werden zu lassen? Man hat immer eine Entscheidung!
„Running“ versucht zwischen diesen Polen der Lebensbewältigung eine künstlerische Mitte zu schaffen. So ist die Choreographie zu Beginn der Aufführung noch durch die Intensität der Bewegungen und das Energielevel der Tänzerinnen und Tänzer gekennzeichnet. Getragen von fiebrigen Drum-and-Bass-Rhythmen loten sie im Wechselspiel von Distanz und Nähe ihre Individualität aus. Ob als Soloperformance, im Pas de deux oder in Gruppenformationen - es werden die Emotionen im Bereich des Unbewussten deutlich. Es geht um die realen Herausforderungen des Lebens und die Erfüllung leibhaftiger Fantasien, um Haltung zu bewahren und ein sich gehen lassen, um gesellschaftliche Realität und individuellen Anspruch.
Im Verlauf der Aufführung ändert sich die Stimmung, klingt der Stresspegel deutlich ab und nehmen die erkennbar sinnlichen Momente auf der Bühne stetig zu. Zwar braust immer wieder der widersprüchliche Zeitgeist in die Körper, doch scheint eine von innen heraus gestärkte Harmonie immer sicht- und hörbarer die Szenerie zu erobern. Es wird eine getriebene Sehnsucht nach Zugehörigkeit als innerer Motor deutlicher.
Und so bewegt sich die Gruppe zeitweise in sich geschlossen wie ein wogendes Schiff auf den den Wettern ausgesetzten Ozeanen des Lebens, bis sich die einzelnen Tänzerinnen und Tänzer wieder in individuellen Figuren offenbaren und verlieren und damit ihre autarken Charaktere unterstreichen.
Beeindruckend während des gesamten Abends die runden, ineinander übergehenden Bewegungsabläufe, die virtuose Körperbeherrschung, der stetige Fluss, in dem sich die gesamte Compagnie befindet. „Running“ berührt, überzeugt und inspiriert.
Jörg Konrad

Hier Bericht in der Augsburger Allgemeinen/Landsberg
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Sonntag 23.10.2022
Olching: Erste Olchinger Rocknacht im KOM
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Letzten Samstag fand die erste Rocknacht in der Kulturwerkstatt am Olchinger Mühlbach, kurz KOM, veranstaltet vom Verein Amper Slam e.V. statt. Ein super Abend für alle Rockfans und Headbanger mit einem lokalen Lineup, das sich sehen lassen konnte.

Einen gelungenen Start legte die Olchinger Rockformation Meltdown X (Fotos 1 & 2) hin, die das Publikum mit harten Rockriffs, einer Prise Metal, female fronted mit zwei Sängerinnen und einem starken Mix ihrer eigenen Songs auf die kommenden Bands des Abends einstimmte. Nach einer kurzen Umbaupause stand Delrium’s Dawn (Fotos 3 & 4) aus Germering auf der Bühne. Im Jahr 2005 gründeten die beiden langjährigen Freunde Ary Keshtgar und Tom Gimpel die Band, die sich im Laufe der Jahre stetig weiter entwickelte und sich mittlerweile mit Younas Khan am Bass sowie Manu Fischer am Schlagzeug metallisch bestens verstehen und lokale wie nationale Bühnen rocken. Last not least trat Flame or Redemption (Fotos 5, 6 & 7) auf die Bühne und, … das muss man Frontfrau Isabelle Croft mit ihrer Band lassen, einen unglaublich starken Auftritt ablieferte. Glasklarer, dunkler melodischer Death Metal mit sowohl cleanen Vocals als auch tiefen Growls á la Jinjer ließen das Publikum toben.

Für die Fans im KOM war es ein ausgelassener Abend mit Mosh- & Rowpit (!), Headbangen und Pogen. Der Sound tadellos, die Organisation und das Miteinander herrlich entspannt. Das Ganze zu einem absolut fairem Eintrittspreis (10,-- €) und zivilen Getränkepreisen, um den Abend in vollen Zügen genießen zu können. Es wurde wie im vertrauten Freundeskreis abgefeiert, mit guten Gesprächen in den Umbaupausen und Rücksicht aufeinander nehmend beim Pogen oder Moshen. Alles in allem eine begeisternde Rocknacht, ausgesprochen metalgeprägt, was letztlich auch zur guten Stimmung beigetragen hat. Im Kalender sollte man sich schon mal den 17.12. vormerken: da wird beim Amper Slam Band Battle Finale erneut das KOM gerockt.
Text & Fotos: Thomas J. Krebs
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Foto: Julie Cherki
Mittwoch 19.10.2022
Fürstenfeld: Les Autres - Botschaften aus einem Zwischenreich
Fürstenfeld. Kader Attou, französischer Choreograph und Leiter der Compagnie Accrorap, hat nach eigenem Bekunden schon immer eine Schwäche für künstlerische Projekte, die sich weit außerhalb konventioneller Ausdrucksformen bewegen. So beschäftigte er sich vor einigen Jahren intensiv mit der Symbiose aus Hip Hop und zeitgenössischer Ästhetik und verschaffte dieser im Grunde Straßenkunst einen spektakulären Platz in den angesagten Kulturtempeln zumindest europaweit. Die musikalische Grundlage für das Stück „Roots“, das übrigens 2016 auch in Fürstenfeld aufgeführt wurde, bestand weniger in den in dieser Stilistik üblichen harten polyrhythmischen Beats, sondern aus klassischer Cello-, Violinen- und Klavierbegleitung mit weltmusikalischen Anleihen.
Das Ensemble gastierte am gestrigen Dienstag nun wiederholt in Fürstenfeld und präsentierte Kader Attou neues Stück „Les Autres“, zu deutsch „Die Anderen“. Und so wie Attou im tänzerischen die konventionellen Standpunkte meidet, sucht er auch im musikalischen das Außergewöhnliche, erschließt sich, den Tänzern und damit auch dem Publikum gern neue Klangfelder. Diesmal hat er den Multi-Instrumentalisten und Schlagzeuger Loup Barrow und den Cellisten und Ingenieur Grégoire Blanc beauftragt, ihm die Musik für sein neues Programm zu komponieren. Zudem baute er beide, Barrow mit dem Cristal Baschet (einem Musikinstrument aus Glas und Metall) und Blanc mit dem Theremin (ein berührungslos zu spielendes elektronisches Instrument) in seine Choreographie mit ein. Somit wurde das Tanztheater um eine neue, spektakuläre Live-Dimension erweitert.
„Les Autres“ lebt, neben den rhythmischen Kraftfeldern und fragilen Klangflächen in der Musik, von den dynamischen, auch explosionsartigen Bewegungen der Tänzer. Sie befinden sich auf der imaginären Suche nach der eigenen Identität und loten dabei soziale Beziehungen immer neu aus. Manchmal wirkt dies naiv verspielt, manchmal bewegen die autoritären Situationen, immer jedoch die Umsetzung individueller Impulse. Attou entwirft auf dieser Reise zu sich selbst beständig neue (Alp-)Traumbilder. Er lässt die Tänzer auf der Bühne auf und zwischen obeliskenartige Säulen arbeiten, als seien sie selbst tanzende Reliquien aus einer anderen Welt. Überhaupt wirkt das Stück in seinem zum Teil surrealen Charakter wie eine Botschaft aus einem Zwischenreich. Wären da nicht die real betonten Hip Hop-Figuren, die auch in „Les Autres“ alle Fantasie erdet und es aus dem Bereich der Traumsequenzen wieder radikal befreit.
Die sechs Tänzerinnen und Tänzer und zwei Musikanten inspirieren mit ihrer Kunst das Publikum, widerspiegeln die Mannigfaltigkeit der Welt und unsere Emotionen in ihr und verschmelzen mit der Kraft der Poesie letztendlich bestehende Gegensätze. Starker Applaus für diese intensive Erlebnis.
Jörg Konrad
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Foto: Natascha Zivadinovic
Samstag 15.10.2022
Fürstenfeld: Lily Dahab – Ein stimmliches Ereignis
Fürstenfeld. Ihre Vielfalt könnte ihr Markenzeichen sein. Aber damit würde man Lily Dahab nicht wirklich gerecht werden. Denn Vielfalt könnte auch bedeuten, dass sie von vielem etwas besitzt – aber letztendlich nichts konkretes präsentiert. Das trifft bei der Sängerin jedoch nicht zu. Sie hat eine starke, beeindruckende Stimme, die alles besitzt, was zu einer exzellenten Sängerin und auch zu einer Jazzsängerin gehört. Ihre fein abgestimmten Tonschleier und Schattierungen, ihre Klarheit in der Phrasierung, ihr Temperament und ihre ausstrahlende Melancholie, ihre Spontaneität und wiederum distanzierte Coolness vermitteln den Charakter einer großen Interpretin. Trotzdem sind dies zusammengenommen Dinge, die Teil einer Gesangsausbildung sind. Was in diesem Fall noch fehlt wären Individualität und Persönlichkeit. Und die wiederum kann kaum erlernt werden.
Lily Dahab hat bei ihrem gestrigen Auftritt in der Reihe Jazz First in Fürstenfeld deutlich gemacht, dass sie diese starke Persönlichkeit und das nötige Durchsetzungsvermögen besitzt, die letztendlich nur durch Erfahrungen, die Herausforderungen des täglichen Lebens, geformt wird und die auch einer Stimme zusätzlich Esprit verleihen kann. Geboren in Südamerika, als Enkelin syrischer und türkischer Immigranten und viele Jahre in Spanien lebend, kommen in ihrer Biographie zudem unterschiedliche Kulturen zum Tragen, die es ihr ermöglichen sowohl argentinischen Tango als auch Songs der MPB (Música Popular Brasileira), südamerikanische Folklore und temperamentvolles Songwriting authentisch zu interpretieren. Sie findet über ihre intensive und modulationsfähige Stimme Zugang zur Welt stimmlicher Größe. Ihre treibend-schwebende rhythmische Qualität ist beeindruckend und hebt sie deutlich von anderen Sängerinnen ab. Wahrscheinlich, dass ihr in der Umsetzung individueller Qualitäten die eigene Musicalkarriere (Lilly Dahab stand jahrelang auf den Musicalbühnen von Madrid und Barcelona) stark behilflich war, wie auch ihre mittlerweile gesammelten Erfahrungen auf europäischen Jazzfestivals und Konzerten.
In ihrer Band mit dem deutschen Pianisten Bene Aperdannier, dem kolumbianischen Bassisten Juan Camilo Villa Robles sowie dem Schlagzeuger mit chilenischen Wurzeln Alfonso Garrido besitzt die Sängerin eine verlässliches und unterstützendes musikalisches Fundament. Durch diese multikulturelle Ausrichtung wirkt die vermittelte Lebenslust doppelt und wird vom Publikum sofort und anhaltend aufgenommen. Die dynamische Reibung zwischen den Musikern, die raffinierten Arrangements stehen in einem kreativen Austausch und unterstützen die positive Energie, die Lily Dahab mit ihrer Gesangskunst vermittelt. Dabei ist es müßig zu überlegen, ob sie denn tatsächlich eine reine Jazzsängerin ist oder nicht. Ihr Auftritt in Fürstenfeld war ein Ereignis – und das allein zählt.
Jörg Konrad
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Foto: Gregor Hohenberg
Montag 10.10.2022
Landsberg: Iiro Rantala – Funkensprühend
Landsberg. Best Of-Alben waren selten sonderlich originell. Beinhalteten sie doch überwiegend schon längst erschlossenes musikalisches Material. Oft kannte man den Großteil dessen, was hier komprimiert präsentiert wurde, längst und ausgiebig. Das gilt für den Rock'n Roll ebenso, wie für Popmusik, für die Klassik sowieso und auch andere Stilarten profitieren von dieser Zweit-Verwertung. Aber gilt dieses Prinzip auch für den Jazz? Für die zeitgenössische Improvisation, die ja immer als eine Momentaufnahme zu verstehen ist? Noch dazu im Kontext eines Konzertes?
Iiro Rantala zeigt diesbezüglich eine völlig unkonventionelle Herangehensweise. So unkonventionell wie sein Klavierspiel überhaupt. Er nennt sein Live-Programm kurzerhand „Best Of!“ und gastierte damit am Sonntag im Landsberger Stadttheater. „Best Of“ heißt bei dem Finnen ganz schlicht: Ich bleib bei mir!
Und das bedeutet fast zwei Stunden Hochspannung; fast zwei Stunden am virtuosen Limit; ein ganzes Konzert lang auf den Spuren von funkensprühendem Jazz. Rantala gehört zu jenen Pianisten, von denen man glaubt, sie schütteln ihre Begabung lässig aus dem Ärmel. Kaum dass der Finne nach einer humorvollen Ansage an seinem Instrument sitzt, greift er schon kraftvoll in die Tasten und ist mitten drin im Song, in der brodelnden Improvisation. Und auf seiner komplexen Reise über schwindelerregende Gipfel und durch melancholische Täler seiner Musik nimmt er stets das Publikum mit, verliert es nicht aus dem geistigen Auge, hält offensichtlich den Kontakt.
Wer bei ihm die großen Standards der Jazzgeschichte sucht, wurde zumindest in Landsberg ein wenig enttäuscht. Wenn Rantala in die Historie abtaucht, dann mit eigenen Stücken, die ebenso Substanz haben und die Geschichte der zeitgenössischen Improvisation plastisch beleuchten. So galoppiert er freudetrunken und mit Esprit durch einen (eigenen) Ragtime („Time For Rag“), mit diesen schweißtreibenden synkopierten Melodien, die sich gegenüber einfachen Basslinien behaupten, durchsetzen müssen. Er scheint glücklich, wenn es spieltechnisch kompliziert wird und er intensiv gegen Widertände anspielen kann.
Oder er kreiert einen eigenen Bebop („Can You Be Bop?“), wechselt hier in Hochgeschwindigkeit die Intervalle, legt die Rhythmen schwindelerregend übereinander und überspringt mit dem vertrackten Themen noch eine zusätzliche Hürde. Der Pianist sprüht vor ansteckender Energie, gönnt sich kaum eine Auszeit, nicht einmal eine Atempause scheint es. Und trotzdem ist nichts von dem, was er musikalisch schafft oberflächlich oder flüchtig. Als Basis seines Spiels dienen ihm Leidenschaft und Engagement.
Einmal greift er dann doch in das Standardarchiv, interpretiert jedoch keinen Jazzhit, sondern eine Kompositionen von John Lennon. Doch auch das über vier Jahrzehnte alte „Woman“ wird natürlich zu einer Rantala-Nummer, spätestens nachdem er das Thema in lyrischem Respekt intoniert hat. Dann dekliniert er in großen Bögen all die Stilbrüche und Paradigmenwechsel, die seinem Spiel, seiner Herangehensweise an die Musik eigen sind.
„Ich bin nicht so der typische skandinavische Künstler, der im Wald lebt, nur von Stille umgeben“, sagte er einmal in einem Interview. Das sind Klischees die ihm nicht liegen. Er ist jemand, der sich nicht lange konzentrieren kann, wie er meint, außer aufs Klavierspielen und aufs Komponieren. Wohl dem dass er Musiker geworden ist. Hier kann er sich geordnet austoben und das Publikum mit seinen pianistischen Ungeheuerlichkeiten begeistern. Insofern ist ein Konzert von Iivo Rantala dann doch eine Art „Best Of!“. Denn alles was er spielt, gehört in diese Rubrik.
Jörg Konrad
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Autor: Siehe Artikel
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