Banine, das Pseudonym von Umm-El-Banine Assadoulaeff, erzählt in „Kaukasische Tage“ die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend, aus einem Land, das einerseits an die Märchen aus 1001 Nacht erinnert und dann wieder mitten in den Konflikten und Revolutionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt. Das damalige (kulturelle) Zentrum, in dem Christen, Muslime, Juden, Kaukasier, Armenier, Türken und Russen teils (noch) friedlich nebeneinander lebten, war das aus zahlreichen Palästen, Moscheen und Festungsbauten bestehende Baku am Kaspischen Meer. Alle Ethnien und Religionsanhänger besaßen laut ihren Dekreten strenge Glaubensregeln – doch kaum jemand hielt sich wirklich daran, so dass die verschiedenen Volksgruppen sich weniger voneinander abgrenzten, als man es glauben könnte.
Baku, heute Hauptstadt und wirtschaftliches Zentrum von Aserbaidschan, war um 1900 das symbolische El Dorado des Ostens. Es wurden gewaltige Ölvorkommen entdeckt, die das zivile Leben förmlich auf den Kopf stellten. Abenteurer und Geschäftsleute aus der ganzen Welt wurden magisch angezogen und verarmte einheimische Hirten und Bauern kamen zu unvorstellbarem Reichtum.
Auch Banines Urgroßeltern waren mittellos, lebten reduziert fast wie im Mittelalter. Doch dann veränderte das Öl die Situation der Familie vollkommen. Ihr Vater wurde zu einem der reichsten Männer der Stadt und richtete sein Leben nach westlichen Maßstäben ein. Natürlich wurden auch seine Kinder von diesen Veränderungen geprägt. Sie lebten in einer Art Grenzzone zwischen Orient und Okzident, was einerseits aufgrund der Puffer-Situation Freiheit bedeutete, andererseits jedoch immer wieder zu Spannungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern führte.
Banine erzählt ungestüm wie unterhaltsam von den Verhältnissen innerhalb ihrer Familie. Sie beschreibt erfrischend verkrustete Strukturen, wie sie als fünfzehnjährige gegen ihren Willen verheiratet wurde, von ihrer Großmutter, einer resoluten Matriarchin, von ihren Schwestern, ihren spitzbübischen Cousins und ihren unstillbaren Träumen von der großen Liebe und Paris – ihrem Sehnsuchtsort.
Die politischen Entwicklungen, der Genozid an den Armeniern, die Unabhängigkeitsbestrebungen Aserbaidschan, die politische Karriere des Vaters, der Einzug der sowjetischen Revolution und die damit verbundenen Repressalien der Familie, ja auch der Verlust sämtlichen materiellen Reichtums – alles beschreibt Banine wenig lamouryant, sondern mit größtmöglicher Distanz und tabuloser Ironie.
Jörg Konrad
Banine
„Kaukasische Tage“
dtv