Sie haben Musikgeschichte geschrieben – und keiner hat's gemerkt. Immerhin war das Deutsche Fernsehen auf Draht, oder sagen wir besser dessen Redakteur
Michael „Mike“ Leckebusch von
Radio Bremen. Der holte
Michael Rother und
Klaus Dinger schon ins Studio, als es
NEU! noch gar nicht gab. Das war 1971 für den B
eat Club und beide gehörten damals zur Band
Kraftwerk. Ein Jahr später gründeten sie in
Conny Plank's Studio das Trio NEU! Und NEU! nahm vorweg, was sich erst viel später als Ambient und Atmospherics behauptete und etablierte. Sie waren auch so etwas wie die Vorreiter des Punk und der Neuen Deutschen Welle - nur etwas intellektueller und weitaus anspruchsvoller. Ihre Direktheit überzeugt noch heute. Sie sind straight, kennen kein Pathos und lieben, neben allen elektronischen Herausforderungen, treibende Rhythmen, die Klaus Dinger der Musik am Schlagzeug druckvoll unterlegt. Rother an der Gitarre kreiert Soundscapes, sich wiederholende Motive, kann aber auch raue Schneisen in die Songs fräsen. Letztendlich kann man trotzdem von minimalistischen Sounds sprechen, in denen die Musik auf das Wesentliche reduziert wurde. Ohne ausufernde Arrangements oder langatmige Solos. Gemeinsam wollten sie sich von dem übermächtigen Markt- wie Geschmack bestimmenden englischen und amerikanischen Bands lösen und eigene markante künstlerische Ausrufezeichen setzen. Dazu gehörte neben der Musik auch die Gestaltung ihrer Plattencover. Keine verschlungenen Graphiken oder kunterbunte Kaleidoskope. Pragmatisch und funktional stand auf den Covern eindrücklich der Bandname.
Beeinflusst von ihnen fühlen sich
Sonic Youth, Tortoise, Stereolab, Depeche Mode oder auch
Thom Yorke von
Radiohead.
Welche Wirkung NEU! in der Szene noch heute ausüben, macht das Album
„Tribute I & II“ deutlich, das aus ihrer großen Box, die anlässlich des 50. Jubiläums ihres Debüts 2022 veröffentlicht wurde, stammt. Hier enthalten sind Reworks, also Überarbeitungen einiger NEU!-Originale von unter anderem
The National, Fink, Mogwai, Stephen Morris, Gabe Gurnsey und
Yann Tiersen. Klassiker des Kraut-Rock neu interpretiert, mit zum Teil stärkeren Zeitbezügen, aber letztendlich Verbeugungen vor den Originalen.
Jörg Konrad
NEU!
„Tribute I & II“
Grönland Records