Unterfahrt. Es war eine ebenso unscheinbare wie sehenswerte Serie. „The Eddy“ lief 2020 bei Nertflix und alles drehte sich um einen Pariser Nachtclub gleichen Namens. Die Zeit titelte damals: „Eine Serie zum Hinhören“. Regisseur Damien Chazelle erzählte die (Lebens-)Geschichten der Protagonisten, die größtenteils Jazzmusiker waren.
Ein Ergebnis dieser Serie stand am Dienstag auf der Bühne der Münchner Unterfahrt. Denn Multiinstrumentalist Jowee Omicil und Bassist Louis Moutin lernten sich am Set der Serie kennen. Anschließend gab es dann mit Louis Zwillingsbruder, dem Schlagzeuger Francois Moutin, im privaten Umfeld einige schweißtreibende Sessions. Nun tourt das Trio M.O.M. (vorerst noch) quer durch Europa und begeistert mit einer der intensivsten Besetzungen des Jazz.
Die Moutins sind Meister ihres Fachs. Auf etlichen Alben sind sie als gut geölte Rhythmusmaschine zu finden. Alles was sie angehen, was sich unter ihrer Federführung zwischen Bass und Schlagzeug abspielt, scheint ihnen zu gelingen. Und in Jowee Omicil haben sie einen neuen, einen bärenstarken, musikalisch ausgebufften Partner gefunden. Timing und Kommunikation, der Fluss ihrer Sets stimmte von Beginn an. Ihr Auftritt bewegte sich mit und ohne Zitaten zwischen Coltrane und Fela Kuti, es gab Spitzen aus dem Repertoire eines späten Miles Davis, Ornette Colemans Geist stand im Raum und auch der Don Cherrys bzw. Eric Dolphys. Soviel Jazzgeschichte in gut zweieinhalb Stunden ist selten. Und nie hatte man das Gefühl, sich akustisch in der Vergangenheit zu bewegen. Alles war lebendig, modern, packend und intensiv.
Alle drei verstehen eine Menge von Dramaturgie, ohne die eigene Leidenschaft an irgendeiner Stelle einzugrenzen. Im Gegenteil. Die Hingabe und Freude, mit der das M.O.M Trio den Raum füllte, begeisterte auch das Publikum. Hier vereinten sich nahtlos Tradition, Gegenwart und vielleicht auch Zukunft des Jazz. Und sei es nur, weil selbst in derart konzentrierten Spielmomenten das Entertainment, der Humor nicht zu kurz kam.
Die Zwillingsbrüder ließen die Rhythmen regelrecht explodieren, brannten ein Feuerwerk an Takt-Wechseln, rhythmischen Fantasien und gnadenlosem Groove ab. Ein tanzendes Perkussionsorchester, in und außerhalb der Zeit. Jowee Omicil Spiel war ebenso spannend wie ökonomisch – auch diffizil. Ein Rohdiamant des Jazz, dessen musikalische Bühnenpräsenz faszinierte. Nie war sein Spiel Selbstzweck. Wenn der Kanadier, der heute wie seine beiden Rhythmiker in Paris lebt, die Pockettrompete, die Bassklarinette, die Flöte, erst recht das Tenorsaxophon nutzte, dann weil die Musik genau in dem Augenblick diesen Schub und Sound brauchte. Omicil ein Geheimtipp? Dieses Trio jedenfalls war ein Beispiel für die Grenzenlosigkeit der Musik im Allgemeinen – und des Jazz im Besonderen.
Jörg Konrad