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37. München: Moutin / Omicil / Moutin – kurz M.O.M.
38. Landsberg: Ottla - Das Überdrehte ist Programm
39. Gilching: Eröffnung der 10. Gilchinger Kunst- und Kulturwoche
40. München: Bugge Wesseltoft & Henrik Schwarz eröffnen das Elektra Tonquarti...
41. Fürstenfeld: Shuteen Erdenebaatar Quartet – Eingeschworene Truppe
42. Fürstenfeld: Nikolaus Habjan: F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderw...
Mittwoch 23.10.2024
München: Moutin / Omicil / Moutin – kurz M.O.M.
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Fotos: TJ Krebs
Unterfahrt. Es war eine ebenso unscheinbare wie sehenswerte Serie. „The Eddy“ lief 2020 bei Nertflix und alles drehte sich um einen Pariser Nachtclub gleichen Namens. Die Zeit titelte damals: „Eine Serie zum Hinhören“. Regisseur Damien Chazelle erzählte die (Lebens-)Geschichten der Protagonisten, die größtenteils Jazzmusiker waren.
Ein Ergebnis dieser Serie stand am Dienstag auf der Bühne der Münchner Unterfahrt. Denn Multiinstrumentalist Jowee Omicil und Bassist Louis Moutin lernten sich am Set der Serie kennen. Anschließend gab es dann mit Louis Zwillingsbruder, dem Schlagzeuger Francois Moutin, im privaten Umfeld einige schweißtreibende Sessions. Nun tourt das Trio M.O.M. (vorerst noch) quer durch Europa und begeistert mit einer der intensivsten Besetzungen des Jazz.
Die Moutins sind Meister ihres Fachs. Auf etlichen Alben sind sie als gut geölte Rhythmusmaschine zu finden. Alles was sie angehen, was sich unter ihrer Federführung zwischen Bass und Schlagzeug abspielt, scheint ihnen zu gelingen. Und in Jowee Omicil haben sie einen neuen, einen bärenstarken, musikalisch ausgebufften Partner gefunden. Timing und Kommunikation, der Fluss ihrer Sets stimmte von Beginn an. Ihr Auftritt bewegte sich mit und ohne Zitaten zwischen Coltrane und Fela Kuti, es gab Spitzen aus dem Repertoire eines späten Miles Davis, Ornette Colemans Geist stand im Raum und auch der Don Cherrys bzw. Eric Dolphys. Soviel Jazzgeschichte in gut zweieinhalb Stunden ist selten. Und nie hatte man das Gefühl, sich akustisch in der Vergangenheit zu bewegen. Alles war lebendig, modern, packend und intensiv.
Alle drei verstehen eine Menge von Dramaturgie, ohne die eigene Leidenschaft an irgendeiner Stelle einzugrenzen. Im Gegenteil. Die Hingabe und Freude, mit der das M.O.M Trio den Raum füllte, begeisterte auch das Publikum. Hier vereinten sich nahtlos Tradition, Gegenwart und vielleicht auch Zukunft des Jazz. Und sei es nur, weil selbst in derart konzentrierten Spielmomenten das Entertainment, der Humor nicht zu kurz kam.
Die Zwillingsbrüder ließen die Rhythmen regelrecht explodieren, brannten ein Feuerwerk an Takt-Wechseln, rhythmischen Fantasien und gnadenlosem Groove ab. Ein tanzendes Perkussionsorchester, in und außerhalb der Zeit. Jowee Omicil Spiel war ebenso spannend wie ökonomisch – auch diffizil. Ein Rohdiamant des Jazz, dessen musikalische Bühnenpräsenz faszinierte. Nie war sein Spiel Selbstzweck. Wenn der Kanadier, der heute wie seine beiden Rhythmiker in Paris lebt, die Pockettrompete, die Bassklarinette, die Flöte, erst recht das Tenorsaxophon nutzte, dann weil die Musik genau in dem Augenblick diesen Schub und Sound brauchte. Omicil ein Geheimtipp? Dieses Trio jedenfalls war ein Beispiel für die Grenzenlosigkeit der Musik im Allgemeinen – und des Jazz im Besonderen.
Jörg Konrad
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Foto: Alex Schuurbiers
Montag 21.10.2024
Landsberg: Ottla - Das Überdrehte ist Programm
Landsberg. Eine neue Band zu formieren dürfte heute nicht all zu schwer fallen. Schwieriger scheint hingegen die Frage: Welche Art von Musik soll letztendlich gespielt werden? Geht es dabei mehr um den Erfolg, den persönlichen Spaß, einen offenkundigen Kunstanspruch oder die Erfüllung von schlichtem Größenwahn? Alles gemeinsam umzusetzen wäre natürlich eine Idealvoraussetzung. Zu guter Letzt muss auch noch ein Bandname gefunden werden. Sind nach diesen positiv gelösten Fragen sämtliche Bandmitglieder noch an Bord, sind die gröbsten Klippen und Gletscher einer erfolgreichen Formationsgründung überstiegen.
So oder ähnlich verlief der Findungsprozess der belgischen Formation Ottla, die am Sonntagabend zu Gast im Landsberger Stadttheater war. Ottla haben sich vor einigen Jahren gefunden, waren zeitweise ein Sextett, auch ein Quintett und touren heute als Quartett durch die Lande. Auch hat sich ihre stilistische Ausrichtung im Laufe der Jahre verändert. Heute bewegen sich Bert Dockx und seine Mannen in einem Grenzbereich, an dessen äußerer Markierung entlang sich Rock'n Roll, Jazz, elektronische Kammermusik, Indie-Pop und Folk bewegen. Das klingt nicht nur an dieser Stelle nach Abenteuer. Auch auf der Bühne stöbern, wildern, durchforsten Gitarrist Dockx, Thomas Jillings (Saxophon, Klarinette, Synthesizer), Gerben Brijs (Bass) und Louis Evrard (Schlagzeug) Mögliches und scheinbar Unmögliches aus der musikalischen Schatz- und Archivkiste. Sie wägen kaum ab, was ästhetisch zueinander passt, sondern spielen beinahe drauflos, finden aufgrund ihrer Persönlichkeiten einen gemeinsamen Nenner, den sie dann auf die Musik übertragen. Manche Songs, wenn man die einzelnen Stücke so nennen darf, haben mehr Struktur als andere. Immer an vorderster Front: Gitarrenmagier und Vollblutkosmopolit Dockx.
Improvisationen spielen bei Ottla eine große Rolle, auch Provokationen (im positiven Sinn versteht sich). Manchmal tobt der Groove, dann ist wieder Stille angesagt – ein kalkuliertes Chaos allenthalben. Das Überdrehte ist Programm. Bei Ottla, benannt nach Kafkas jüngster Schwester, werden immense Energien frei. Selbst der Thelonious Monk Hymne „Epistrophgy“ verleihen sie in der Zugabe illustre Flügel und platzieren sie ganz in der Nähe von klassischem Rock'n'Roll. Ein antitraditionelles Manifest, so spannend wie dekonstruktovistisch.
Ein Schweizer Trio nannte Mitte der 1990er Jahre ein Album einmal „Hardcore Chambermusic“. Auch so könnte man den Sonntagabend in Landsberg überschreiben.
Jörg Konrad
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Montag 14.10.2024
Gilching: Eröffnung der 10. Gilchinger Kunst- und Kulturwoche
Gilching. Gibt es etwas wichtigeres als Kultur? Eine Frage, die entsprechend der Persönlichkeit und dem Charakter eines Menschen sicher unterschiedlich beantwortet wird. Die einen meinen, es gibt weitaus bedeutsameres, wie Stabilität, Sicherheit, Gesundheit oder auch Besitzstand. Doch gleichzeitig haben ohne Kultur all diese Privilegien keine Relevanz, sind nur (leere) Begrifflichkeiten, die letztendlich in die zivilisatorische Barbarei führen. Vernachlässigen wir die Kultur, vernachlässigen wir die Zivilisation und alles was an positiven gesellschaftlichem, sozialem, sittlichem und ästhetischem Verhalten das Miteinander bestimmt.
Zwischen der sogenannten Hoch- und Subkultur ist die tagtäglich gelebte Kultur dabei von entscheidender Bedeutung. Sie sollte, trotz aller zeit-, sprich krisenbedingten Schwierigkeiten, stets spürbar sein, sollte gefördert und gefordert werden – um nicht genau das zu unterstützen, was letztendlich eine offene demokratische Gesellschaft von einer Diktatur unterscheidet.
Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die mittlerweile 10. Gilchinger Kunst- und Kulturwoche zu betrachten, die diesjährig vom vom 11. bis 27.10.2024 stattfindet und am Freitagabend im Veranstaltungssaal des Rathauses durch den 1. Bürgermeister Manfred Walter schwungvoll eröffnet wurde. Über zwei Wochen lang werden an elf verschiedenen Veranstaltungsorten in der knapp zwanzigtausend Einwohner zählenden Gemeinde 48 Konzerte, Vorträge, Lesungen, Ausstellungen und Workshops stattfinden, die die Lebendigkeit und Vitalität im tagtäglichen Miteinander unterstreichen.
Eröffnet wurde dieser regelrechte Kulturmarathon mit dem Trio Cobario. Drei Musiker, Herwig Schaffner (Geigen), Georg Aichberger (Gitarre, Klavier) und Peter Weiss (Gitarren), die einfach alles spielen: Klassik, Jazz, Blues, Volks- und Filmmusik. Nicht immer in der Reinform, dafür sind die Wiener zu sehr Virtuosen und Visionäre. Sie nutzen stilistische Zitaten, für ihre ganz eigenen Reisen durch die Klanglandschaften. Für Cobario dient die Musikgeschichte im wahrsten Sinne des Wortes als eine Art Spielplatz, von dem sie das Publikum abholen und, wie am Freitagabend im ausverkauften Veranstaltungssaal, diesem tüchtig einheizen. Sie berühren in ihren lyrischen Momenten und verbreiten Euphorie, wenn sie in dynamischem Tempo die Allgemeinplätze einer Weltmusik akustisch leidenschaftlich überqueren. Es sind musikalische Überlandpartien, die vom Wiener Lied bis zum Flamenco, vom Sinti Swing bis zum Rock'n Roll reichen.
Ein passender Auftakt für die kommenden über zwei Wochen, in denen sich Kulturschaffende in Gilching die Klinke in die Hand geben und die Lebendigkeit der Gemeinde zum Ausdruck bringen.
(Übersicht über die Veranstaltungen der 10. Kunst- und Kulturwoche in Gilching)
Jörg Konrad
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Freitag 11.10.2024
München: Bugge Wesseltoft & Henrik Schwarz eröffnen das Elektra Tonquartier
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Fotos: TJ Krebs
München. Am vergangenen Mittwoch war es endlich soweit: das Elektra Tonquartier im Bergson eröffnete mit einem „Big Bang“ seine Pforten. Dieser Konzertsaal ist in der Tat eine radikale Veränderung im Vergleich zu traditionellen Locations. Herzstück des Saales ist das elektronische Akustiksystem VIVACE, das durch im Raum verbaute Mikrofone die kontinuierlich aufnehmen, unterstützt durch einen Hochleistungsrechner, in Echtzeit den Lautsprechern entsprechende Signale geben, so die Akustik entsprechend verändern und den individuellen Gegebenheiten anpassen. Soweit kurz zur Technik, die den Zuhörer hier erwartet. Eine kurze praktische Einführung präsentierte Roman Sladek mit seiner Posaune vor dem Konzert, und es ist in der Tat beeindruckend zu hören, wie sich der Saal akustisch anpassen kann. Ob Kirche, großer Konzertsaal oder Clubsound bietet der Raum genau das was die unterschiedlichen Acts soundtechnisch benötigen.

Das erste offizielle Konzert im Tonquartier bestritten Bugge Wesseltoft und Henrik Schwarz. Die beiden Musiker fanden vor über dreizehn Jahren zusammen und, obwohl musikalisch eigentlich in unterschiedlichen Lagern beheimatet, Wesseltoft ursprünglich verwurzelt im Jazz, Schwarz stammend aus der Techno- & Deep House Szene, ist ihre Vorgehensweise letztlich gar nicht so verschieden. Eine Festlegung auf einen bestimmten Musikstil ist bei beiden nie Thema gewesen. So übernahm Wesseltoft an dem Abend die melodische Führung, während Schwarz diese aufnimmt, sampelt und in elektronische Sphären transportiert. Nach kurz angerissenen Themen steht Improvisation und der musikalische Dialog im Vordergrund. Egal ob Jazzphrasen, klassische Zitate oder Technosound, Jazz und elektronische Musik schließen sich nicht aus. So definieren die beiden Künstler diesen Grenzbereich neu. Das Publikum verfolgte, teils rhythmisch wippend, das Geschehen und genoss sichtlich das Konzert in dem neuen Ambiente.

Das Elektra Tonquartiert bietet Platz für knapp 500 Zuhörer. Bei den Eintrittspreisen gibt es zwei Kategorien, ein sogenanntes “Fair-Price-Ticket“ für 39,--€ und das „Social-Price-Ticket“ für 24,--€. Die nächsten Acts klingen vielversprechend. So werden sich u.a. neben der JazzRausch BigBand internationale Künstler wie Ron Minis, Omer Klein, sowie Martin Kälberer, Leléka oder Jan Zehrfeldt mit seinem Panzerballett dort die Ehre geben.
Text & Fotos: Thomas J. Krebs
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Donnerstag 10.10.2024
Fürstenfeld: Shuteen Erdenebaatar Quartet – Eingeschworene Truppe
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Fotos: TJ Krebs
Fürstenfeld. Das einem um die Zukunft des Jazz in Deutschland nicht bange sein muss, wurde an dieser Stelle schon mehrfach erwähnt. Bestes Beispiel: Gestriger Abend in Fürstenfeld. Hier trat zur Eröffnung des 21. Jahrgangs(!!) der Reihe Jazz First das Shuteen Erdenebaatar Quartet auf. Fünfundzwanzig ist die aus der Mongolei stammende Pianistin erst jung und hat in den letzten vier Jahren schon mehr als ein Dutzend (Musik-)Preise abgeräumt. Seit 2018 lebt Shuteen in München, studierte an der Musikhochschule Jazzpiano und Jazzkomposition. Mittlerweile leitet sie drei eigene Projekte – von denen ihr Quartett vielleicht die dynamischste, intensivste und abenteuerlichste Musik spielt.
Gemeinsam mit dem Bassisten Nils Kugelmann (Jahrgang 1996), Schlagzeuger Valentin Renner (Jahrgang 1998) und dem Saxophonisten und Flötisten Jakob Manz, (Jahrgang 2001), der seit einigen Wochen fest zum Quartett gehört, schuf die Pianistin mit ihrer fast ausschließlich selbst geschriebenen Musik eine feurige Symbiose aus Modern Jazz, Rock, Folklore und inspirierenden Improvisationen. Außergewöhnlich die Direktheit und Professionalität der Band, deren lodernde Vitalität vom ersten Ton an beeindruckte. Diese vier jungen Musiker agierten im ausverkauften Kleinen Saal des Veranstaltungsforums wie eine eingeschworene, energiegeladene Truppe, die zudem noch irrwitzige Spielfreude ausstrahlte und das Publikum über den gesamten Abend von den Stühlen riss.
Die musikalischen Abläufe der einzelnen Stücke klangen in ihrem Aufbau logisch, waren in ihren Strukturen komplex und was ihren instrumentalen Sprachumgang angeht virtuos umgesetzt. Shuteen Erdenebaatar zeigte am Klavier, neben einer enormen und individuellen Vielseitigkeit vor allem Sicherheit im Umgang des Materials. Selbst aus dem Kinderliedklassiker „O du lieber Augustin“ formte sie mit ihrer Band eine schweißtreibende Up-tempo-Nummer, der etwas Ekstatisches innewohnte und die trotz Wiedererkennungswert meilenweit vom Original entfernt schien.
Shuteen ist eine facettenreiche Klavierspielerin, routiniert swingend und immer wieder neue pianistische Haken schlagend. In sprühender Präzision beackerte sie das Material, brachte es zum Glühen und zum Blühen – und doch wirkte bei ihr alles leicht und entspannt. Jakob Manz überwältigte am Altsaxophon mit seinem speziellen Raumgefühl. Besonders in der expressiven Gestaltung seiner Chorusse zeigte er sich als ein originärer Teufelskerl, der sich schier die Seele aus dem Leib blies, ohne dass dies auf die Dramaturgie seiner Improvisationen negativen Einfluss hätte.
Und das Duo Nils Kugelmann und Valentin Renner? Die spielten sich die rhythmischen Ideen luftig zu, scherten aus geraden Takten aus, verdichteten den Sound, forcierten, drosselten, verschleppten die Tempi, gaben dem Gesamtkonzert mit ihrer Dynamik eine intensive Färbung.
Der Vorrat an angebotenen Tonträgern der Band war schon in der Pause aufgebraucht. Ein untrügliches Zeichen für den Enthusiasmus und die Begeisterung des Publikums. Wie gesagt, die Zukunft des Jazz in Deutschland sollte gesichert sein.
Jörg Konrad
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Freitag 20.09.2024
Fürstenfeld: Nikolaus Habjan: F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderwertig
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Fotos: TJ Krebs
Die Geschichte hinter der Aufführung ist unglaublich und von einer zum Himmel schreienden Unerträglichkeit. Zudem gibt es keine ernst zu nehmende Entschuldigung, wenn Haupttäter realer Gewalt gegen die Menschheit, trotz staatlichem Wissen um deren Verbrechen, nicht zur Verantwortung gezogen werden. Sondern deren bestialische Kaltblütigkeit erst die Grundlage für gesellschaftlichen Aufstieg und politische Anerkennung bildet.
Aber der Reihe nach: Friedrich Zawrel (1929-2015) wuchs Ende der 1930er Jahre in Kinderheimen und Pflegefamilien auf und wurde 1941 in die Wiener Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“, eine der größten NS-Euthanasie-Kliniken Österreichs, eingewiesen. Hier traf er auf den Psychiater Heinrich Gross, Stationsleiter der „Reichsausschuss-Abteilung“, der behinderte Kinder für abscheulichste Forschungszwecke missbrauchte, wissentlich missbrauchen ließ und letztendlich an deren Ermordung beteiligt war.
Nach dem Krieg wurde Gross, mit seiner Sammlung von über 800 Kinderhirnen(!), Leiter des eigens für ihn geschaffenen Ludwig-Boltzmann-Instituts zur Erforschung von Missbildungen des Nervensystems und zugleich meistbeauftragter Gerichtspsychiater Österreichs. 1953 trat er der SPÖ bei, zwei Jahrzehnte später erhielt er das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.
Friedrich Zawrel geriet nach 1945, aufgrund von banalen Eigentumsdelikten, in die Fänge der österreichischen Justiz und sollte aus diesem Grund psychiatrisch begutachtet werden. So traf er, wie es der Zufall will, 1975 auf seinen einstigen Peiniger Heinrich Gross, mittlerweile Leiter des „Ludwig Boltzmann-Instituts zur Erforschung der Mißbildungen des Nervensystems“, der den offiziellen Auftrag hatte, über Zawrel ein nervenärztliches Gutachten anzufertigen. Zawrel erkannte Gross sofort und konfrontierte ihn mit seiner Vergangenheit. Daraufhin stellte Gross ihm ein Gutachten aus, aufgrund dessen er sechs Jahre in Haft kam. Er empfahl zudem, die anschließend dauerhafte Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfalltäter.
Zawrel informierte über einen Journalisten die Öffentlichkeit, woraufhin eine jahrzehnte lange juristische Auseinandersetzung über die (erwiesene) Schuld des beamteten Arztes folgte, an deren Ende Heinrich Gross 90jährig zwar angeklagt, aber nie verurteilt starb.
Nikolaus Habjan hat aus den historischen Eckpfeilern dieser Geschichte mit der Kraft eines Überzeugungsaufklärers und dem Mut eines Freischärlers ein Puppenspiel geformt und dieses auf die Bühne gebracht. Selbst Habjans Gönner hatten Bedenken, ob diese Form der spielerischen Umsetzung gelingt, ob derartiger Schrecken mit künstlerischen Mitteln darstellbar wäre.
Genau das Gegenteil ist der Fall. Habjan nähert sich mit den Mitteln seiner einzigartigen Kunst in „F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderwertig“ geschickt wie erschütternd dem Menschheitsverbrechen, betreibt zugleich humanitäre Aufklärung und macht ein ganz klein wenig Hoffnung, in dem er derartiges moralisches wie rechtliches Versagen aus dem Kanon gesellschaftlicher Verschwiegenheit ans Licht der Öffentlichkeit trägt. Allein dafür gebühren ihm, Nikolaus Habjan, die höchsten Auszeichnungen. Was beim Publikum nach seinem gestrigen Auftritt im Fürstenfelder Veranstaltungssaal letztendlich blieb: Stummer Schrecken, maßlose Wut ob dieses ohnmächtig machenden Irrsinns. Auch deshalb: Standing Ovations.
Jörg Konrad




Erich Fried
Was geschieht


Es ist geschehen
und es geschieht nach wie vor
und wird weiter geschehen
wenn nichts dagegen geschieht.

Die Unschuldigen wissen von nichts
weil sie zu unschuldig sind
und die Schuldigen wissen von nichts
weil sie zu schuldig sind.

Die Armen merken es nicht
weil sie zu arm sind
und die Reichen merken es nicht
weil sie zu reich sind.

Die Dummen zucken die Achseln
weil sie zu dumm sind
und die Klugen zucken die Achseln
weil sie zu klug sind.

Die Jungen kümmert es nicht
weil sie zu jung sind
und die Alten kümmert es nicht
weil sie zu alt sind.

Darum geschieht nichts dagegen
und darum ist nichts geschehen
und geschieht nach wie vor
und wird weiter geschehen, wenn nichts dagegen geschieht.
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Autor: Siehe Artikel
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