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Mittwoch 12.06.2024
Landsberg: In der Strafkolonie – Reduziert in der Form, gewaltig in der Wirkung
Landsberg. Es ist vielleicht einer der verstörendsten Texte aus der Feder Franz Kafkas, dem sich Komponist Philip Glass angenommen hat. „In the Penal Colony“, im Original „In der Strafkolonie“, wurde als Auftragswerk erstmals im August des Jahres 2000 in Seattle aufgeführt. Anlässlich des 100. Todestags des Autors hat Martin Valdés-Stauber diese dramatische Vorlage für Tenor, Bariton, Tänzerin und Streicher neu inszeniert. Am Dienstag wurde das Stück vom Jewish Chamber Orchestra Munich (JCOM) unter der Leitung von Daniel Grossmann im Landsberger Stadttheater aufgeführt. Eine Kammeroper, so reduziert in der Form, wie gewaltig in der Wirkung.
Es ist die mörderische Geschichte einer Exekution auf einer fernen Insel. Ein Reisender aus Europa besucht diesen Ort und wird von einem Offizier detailliert in die Handhabung einer Hinrichtungsapparatur eingewiesen. Dieser Offizier ist ein glühender Verfechter eines totalitären Systems, in dem Legislative, Exekutive und Judikative in einer Hand liegen. Gleichzeitig ist er Ankläger und Scharfrichter eines archaischen Urteils, bei dem der Arrestant keine Möglichkeit der Verteidigung bekommt. Der Kernsatz dieser diktatorischen Ideologie lautet: „Die Schuld ist immer zweifellos“.
Anwesend ist zudem der Verurteilte selbst, dessen Vergehen darin besteht, seinem Vorgesetzten gegenüber ungehorsam gewesen zu sein.
Der Reisende soll sich gegenüber dem neuen Kommandeur der Insel positiv über die Hinrichtung äußern. Dieser lehnt das Ansinnen jedoch ab, woraufhin der Offizier aus Enttäuschung über die fehlende Fürsprache den Delinquenten begnadigt und sich selbst in die Apparatur begibt.
Glass, einer der großen Vertreter der Minimal Music, findet mit den sparsamen, reduzierten, immer wieder neu zusammengesetzten und sich ergänzenden Streicher-Akkorden eine unterkühlt wirkende Musiksprache, die diesem bedrückenden und zeitweise surreal anmutenden Geschehen ein sehr passendes wie aufwühlendes Klangfundament gibt. Unglaublich diszipliniert wirken die rhythmischen Verschiebungen, die größtenteils jeden Anflug von Emotionalität ersticken. Stattdessen vermitteln die fortlaufenden Patterns wie in einem ineinandergreifenden Räderwerk, fortlaufenden, schonungslosen Konkretismus.
Mit dem schottischen Tenor Liam Bonthrone als Reisenden und dem brasilianischen Bariton Vitor Bispo als Offizier, beide Mitglieder des Opernstudios der Bayrischen Staatsoper, hat das Stück zwei große Stimmen eingefangen, die die unterschiedlichen Charaktere differenziert zum Ausdruck bringen. Bonthrone brilliert mit einer leicht zurückhaltenden Strahlkraft, mit schmerzlichen Phrasen und eindringlicher Diktion. Bispos tritt mit seiner markant aber warm intonierenden, raumfüllenden und damit unglaublich präsenten Stimme in Erscheinung.
Tänzerin Carolina de la Maza taucht zwischenzeitlich immer wieder auf einem Podest hinter dem Orchester auf und veranschaulicht mit bruchstückhaften Staccato-Bewegungen die kalte Präzision und Inhumanität der Tötungsmaschine und die Leiden des Verurteilten.
Insgesamt eine emotional manchmal erdrückende, schmerzvolle und aufwühlende Inszenierung, deren erzählender Charakter Kafkas Original sehr nahe kommt.
Jörg Konrad
Autor: Siehe Artikel
Montag 10.06.2024
Fürstenfeld: Dance First – Das Leben schlechthin mit IT Dansa
Fotos: Franck Thibault, Josep Aznar, Ros Ribas
Fürstenfeld. Drei Stücke - drei Welten - ein Universum. Das Universum ist der Tanz. Er begleitet und kommentiert mit seiner Vitalität und Ursprünglichkeit, seiner überbordenden Fantasie und Bewegungsvielfalt, seiner körperlichen Präsenz, Disziplin und Präzision, dem erhabenen Schwermut und der rhythmischen Eleganz die Existenz des Menschen in ihren unterschiedlichen Facetten. Zeitgenössischer Tanz präsentiert das Leben schlechthin. Am Sonntagabend erfuhr das Festival Dance First 2024 in Fürstenfeld seine Fortsetzung. Der zweite Abend gehörte der jungen spanischen Company IT Danse. Auf dem Programm - drei Choreographien: „Kaash“, „Lo Que No Se Ve“ und, nach der Pause, „Minus 16“. Zusammen brachten sie die Weite und die Vielfalt dieser Kunst zum Ausdruck. Sie feierten förmlich Grenzüberschreitungen und betonten, in Zeiten beengender Weltsichten, den erlösenden Gedanken: Kunst ist Freiheit.
Als Grundlage für ihren größtenteils furiosen Auftritt diente dem Ensemble indische und lateinamerikanische Musik, Franz Schubert, kubanische und israelische Folklore und Electrobeats. Unterschiedlicher, oder sagen wir besser reichhaltiger konnte eine Klangarchitektur als Fundament für den Tanz kaum sein.
Und um diese Sounds und Stilistiken herum haben Akram Khan („Kaash“), Gustavo Ramírez Sansano („Lo Que No Se Ve“) und Ohad Naharin („Minus 16“) ihre Choreographien gestaltet.
Mit unglaublicher Dominanz und Energie stürzten sich die Tänzer in „Kaash“ in die rhythmischen Kaskaden des Komponisten, DJs, Produzenten und Remixerers Nitin Sawhney. Der britische Musiker indischer Herkunft nahm das Publikum mit einem Trommel-Feuerwerk aus Ghatams, Tablas, Dholaks und Konnakols, dem indischen Scat-Gesang der Perkussionisten, gefangen. Die dynamischen und energischen Bewegungsabläufe der Tänzer beinhalteten indische und okzidentale Techniken, begeisterten in ihrer Unwiderstehlichkeit und archaischen Kultiviertheit.
Drei Tanzpaare loteten in Gustavo Ramírez Sansanos „Lo Que No Se Ve“ zwischenmenschliche Beziehungen aus. Ein feinsinniger Kampf um Distanz und Nähe, um Liebe und Ablehnung, um feinfühlige Gesten und klare Äußerungen. Allein der Titel des Stückes, in der Übersetzung soviel wie „Das, was man nicht sieht“, deutet die Universalität des Tanzes an, durch Bewegungen Dinge zu vermitteln, die nur schwer in Sprache zum Ausdruck gebracht werden können.
Zum Schluss des Abends dann „Minus 16“ von Ohad Naharin. Ein beinahe circensischer Orkan, aus Pantomime, überschäumender Bewegungsfreude, der Gaga-Technik, explodierenden Bewegungs-Improvisationen, dem Einbeziehen des Publikums und natürlich mit „dem berühmtesten Stuhlkreis der Tanzgeschichte“. Eine Performance, die auch das Publikum im Saal von den Sitzen riss.
Jörg Konrad
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Donnerstag 30.05.2024
Piano Conclave (8): Francesco Tristano live im Bergson
Gut einen Monat ist das Kunstkraftwerk Bergson im Münchner Westen nun offiziell in Betrieb und begeistert nicht nur das Publikum, sondern auch die Musiker, die sich dort die Klinke in die Hand geben. Letztes Wochenende gastierte in der „BELETAGE“, direkt über dem Atrium mit Blick auf die eindrucksvolle Architektur, der Ausnahmepianist Francesco Tristano mit zwei unterschiedlichen musikalischen Programmen.
Am Samstagabend präsentierte Tristano PIANO 2.0. Gleich zu Beginn ertönten Pianoklänge versetzt mit elektronischen Elementen, die das Publikum magisch in Bann zogen. Es folgte darauf ein Ausflug in klassische Gefilde mit Werken von Girolamo Frescobaldi, dem ersten bedeutenden Komponisten instrumentaler Musik, gefolgt von dem Zeitgenossen John Bull und einem Komponisten - Anonymus - , bei dem sich die Fachwelt bis dato noch uneins über die tatsächliche Urheberschaft seiner Werke ist. Tristano verbindet dabei gekonnt Klavier, Synthesizer oder Sequenzer, ergänzt Klassik mit Techno-Elementen und lässt die Klassik im wahrsten Sinn grooven. Ganz dem Vorbild Frescobaldis folgend, der angeblich schon in der Barockzeit vor 100.000 Zuhörern in Rom performt haben soll. Die Beletage war restlos ausverkauft, sogar an der unbestuhlten Seitenempore gab es kaum noch Stehplätze, die dort auch zum Tanzen genutzt wurden, denn Tristanos Auftritt lädt dazu förmlich ein. Das Konzert verging wie im Flug und bei der Zugabe hielt es dann auch das Publikum im bestuhlten Bereich nicht mehr auf den Sitzen.
Am zweiten Tag in der Nachmittagsvorstellung stellte Tristano dann sein Programm BACH & BEYOND vor, in dem er Johann Sebastian Bach auf drei unterschiedliche Arten beleuchtet: Original, Transkriptionen und Remixe seiner Werke. Im Vordergrund standen diesmal die Französischen Suiten und die Goldbergvariationen. Das Konzert war im Vergleich zu Piano 2.0 vorrangig geprägt durch klassisches Pianospiel und die erst gegen Ende gespielten Remixe dann nochmal ein echter Höhepunkt. Bei der Zugabe ging Tristano abermals in die Vollen und erntete stürmischen Applaus vom begeisterten Publikum.
Mit seinem musikalischen Konzept und Wirken folgt Francesco Tristano konsequent dem Zitat Alban Bergs „Musik ist Musik“ - ohne unnötiger Unterscheidung zwischen „ernst“ und „populär“ - und verbindet mit eleganter Leichtigkeit, unabhängig von ihrem ursprünglichen Stil, Barock, Elektro, Techno, Dance oder Avantgarde.
Text & Fotos: Thomas J. Krebs
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Mittwoch 22.05.2024
Palle Danielsson (geb. 15. Oktober 1946, gest. 18. Mai 2024)
Miniaturen und magische Melodien
Puchheim. Sollte Dino Saluzzi jemals gesucht haben, so ist er längst fündig geworden. Seine musikalische Sprache auf dem Bandoneon ist seit Jahrzehnten einzigartig. Sie hat sich emanzipiert von sämtlichen Vorbildern und einen Ton gefunden, der mit keinem anderen weltweit zu vergleichen ist. Der Argentinier spielt virtuos den Tango und betörend schön die Folklore seiner indianischen Heimat; er improvisiert mit Jazzinstrumentalisten, die seine Freunde geworden sind und hält sich streng an die Partitur, wenn es die Komposition verlangt. Ein Vollblutmusiker, der für sein Instrument lebt und wimmer wieder ein mit ihm wird.
Am Sonntag verzauberte der Bandoneon-Virtuose mit Palle Danielsson am Bass und José Maria Saluzzi an der Gitarre den Bartok-Saal im PUC. Er ließ den Raum und die etwas formell wirkende Atmosphäre vergessen, nahm das Publikum mit auf eine sinnliche Reise an die bunten Strände seiner musikalischen Fantasie.
Entdeckt hat den gebürtigen Argentinier der Schweizer George Gruntz. Auf einer seiner „Scouting Touren“ um musikalische Attraktionen für die Berliner Jazztage zu suchen, die er immerhin 23 Jahre als Künstlerischer Leiter begleitete, traf er 1982 eher zufällig in Buenos Aires auf Dino Saluzzi. Der Bandoneon-Spiler übte in einer zerfallenen Garage, und Gruntz wusste schon bei den ersten Tönen, die er von weitem hörte, dass dieser Mann genau der Musiker ist, der ihm fehlte. So kam Saluzzi nach Europa und seine außergewöhnliche Karriere begann.
In den vergangenen Jahren arbeitete er wiederholt mit einem Trio zusammen, zu dem momentan der schwedische Bassist Palle Danielsson und Saluzzis Sohn, José Maria an der Gitarre gehört. Beide stammen aus völlig verschiedenen Kulturen, verkörpern aber in ihrer Individualität die Eckpfeiler Saluzzis Tonkunst. Da ist das südamerikanische, von Folklore und gespannter Intensität gekennzeichnete Element auf der einen und der von nordamerikanischer und emanzipierter europäischer Improvisationskunst umgesetzte Moment auf der anderen Seite. Beide umspielen sich werbend und tasten sich vorsichtig an den von wärmender Melancholie gekennzeichneten Sound des Bandoeons heran, das gleichzeitig zwischen diesen beiden Polen vermittelt. Hier zeigt Dino Saluzzi seine absolute Meisterschaft.
Dabei gibt es nur sehr wenige Instrumentalisten, die in der Lage sind, Gedanken derart zwingend in Poesie zu übersetzen. Saluzzi erzählt auf seinen flüchtigen Soundreisen Geschichten am laufenden Band. Miniaturen, die von unstillbarer Sehnsucht und erfüllter Hoffnung, von völlig Banalem und scheinbar Außergewöhnlichem handeln. Der strömende Atem seines Instruments vermittelt Nähe und flüstert, in einem der faszinierendsten Konzerte der vergangenen Jahre, magische Melodien in den Raum.
Jörg Konrad
(Aus Süddeutsche Zeitung/FFB 28. April 2004)
Ausgewählte Discography:
Mit Jan Garbarek:
- Witchi-Tai-To (ECM, 1974)
- Dansere (ECM, 1975)
Mit Keith Jarrett:
- Belonging (ECM, 1974)
- My Song (ECM, 1978)
- Personal Mountains (ECM, 1979)
- Nude Ants (ECM, 1979)
- Sleeper (ECM, 2012)
Mit Charles Lloyd
- Montreux 82 (Elektra/Musician, 1983)
- A Night in Copenhagen (Blue Note, 1985)
- Fish Out of Water (ECM, 1989)
Mit Michel Petrucciani
- Live at the Village Vanguard (Blue Note, 1984)
- Pianism (Blue Note, 1985)
Mit Enrico Rava
- The Pilgrim and the Stars (ECM, 1975)
- The Plot (ECM, 1976)
- L' Opera Va (1993)
Mit John Taylor
- Angel of the Presence (2005)
- Whirlpool (2008)
- Giulia's Thursdays (2012)
Mit Peter Erskine
- You Never Know (ECM, 1992)
- Time Being (ECM, 1993)
- As It Is (ECM, 1995)
- Juni (ECM, 1997)
Mit Geri Allen
- Some Aspects of Water (Storyville, 1996)
Mit Anouar Brahem
- Togetherness (Dominique, 2012)
Mit Albert Mangelsdorff
- The Wide Point (MPS 1975)
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Sonntag 05.05.2024
Landsberg: FEH – Gutes Songwriting geht immer
Landsberg. Sie sind wieder da, wobei etliche mit Sicherheit der Meinung sind, sie waren nie ganz weg. Portishead, dieser elegante Hybrid aus Jazz, Soul, Dub und Electronic, auch Trip Hop genannt, meldet sich zurück. Passender ist natürlich, deren einstige grandiose Sängerin Beth Gibbons hat ein Album angekündigt und damit auch Portishead wieder ins kollektive Gedächtnis gerufen. Wer nicht bis auf das Erscheinen von Gibbons „Lives Outgrown“ warten wollte, konnte am letzten Samstag im Landsberger Stadttheater mit FEH sich die Zeit bis dahin verkürzen. FEH, eine Band aus dem weiten Münchner Umland, hat den Trip Hop-Faden von einst vor knapp drei Jahren wieder aufgenommen und in ihrem Sinne weitergesponnen.
Im Mittelpunkt bewegt sich hör- und sichtbar Julia Fehenberger, eine Sängerin mit Charisma, deren Stimme, egal ob mit weichem Timbre oder flagrante Schneisen schlagend, unter die Haut geht und die Szenerie bestimmt. Neben und hinter ihr die Band, die das Mysterium, das der Trip Hop auch immer gewesen ist, mit melancholischen Sounds und sparsamen Rhythmuswechseln füttert und am musikalischen Leben erhält.
Mitte der 1990er Jahre war diese Art des Musizierens Kult, hat den damaligen Zeitgeist bestimmt, war eine Art Soundtrack, der von der verregneten Hafenstadt Bristol aus die Popwelt eroberte.
Ob es sich bei diesem Phänomen tatsächlich allein um ein zeitlich klar eingegrenztes Lebensgefühl handelt, wird oft erst Jahre später deutlich. Erlebt man FEH auf der Bühne, kommt man zu dem Schluss: Im Grunde wohl eher eine zeitlose Musik, die, gutes Songwriting geht schließlich immer, auch heute noch „funktioniert“, ohne Staub angesetzt zu haben. Zurückhaltend, hochsensibel, psychedelisch – manchmal eine therapeutische Dimension hautnah streifend. Synästhesie als gelebte Musik.
Und die Tourband stimmt einfach, setzt unter- und miteinander Zeichen, vor allem aber: Sie ergänzt sich. Manuel da Coll, Gründungsmitglied der Blaskapelle „LaBrassBanda“, lässt sich am Schlagzeug nicht beirren, spielt beinahe stoisch seine rhythmischen Motive und Muster. Schwager Oliver da Coll Wrage hat als Bassist und Elektroniker ebenfalls einst das bayrische Blaskollektiv „LaBrassBanda“ mit aus der Taufe gehoben, ist der zweite rhythmische Gerüstbauer, der sich zudem mit seinen verspielten Ideen am PC für das Soundlabor von FEH verantwortlich zeichnet. André Schwager, an Orgel und Keyboards, ist der gelebte Jazzgedanke im Formationsgefüge. Mal in knappen Harmonien aufblühend, mal in extrovertierten Soloparts begeisternd. Und dann ist da noch Mitsuyoshi Miyajima, der Gitarrist. Er formt den feinen Soul als eine Art zerbrechliche Kammermusik auf elektrischen sechs Saiten. Das wirkt bei ihm anstrengungsarm, aber wirkungsreich.
Julia Fehenberger, in Burghausen geboren und entsprechend zeitig mit allem was Jazz ist konfrontiert, hält diese Band nicht nur stimmlich zusammen, gibt der Musik die nötige Dynamik, bringt sie mit ihren vocalen Interpretationen zum Pulsieren – und trifft, auch 2024, den Nerv der Zeit.
Jörg Konrad
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Samstag 27.04.2024
Landsberg: Angela Aux – Pfeifen statt klatschen
Landsberg. Wer oder was ist Angela Aux? Musiker, Musikerin, Autor, Kunstfigur? Am Freitag stand Angela Aux, mit bürgerlichem Namen Florian Kreier, auf der Bühne des Landsberger Stadttheaters. Samt Band! Diesmal nicht maskiert und ohne Kleid und Maske. Trotzdem spielte hier jemand im schwachen Rampenlicht mit Identitäten und ganz persönlichen Befindlichkeiten, füllte Songs und Lücken mit Tagesthemen und Geisteswissenschaften - provozierte eher verhalten, wie nebenbei und half auf diese Weise dem Publikum auf die Sprünge.
Oder versteckte hier jemand sein persönliches Zentrum? Überspielte alles Private ostentativ? Lassen wir vielleicht die Frage offen und konzentrieren uns auf das Wesentliche: Im Mittelpunkt stand die Kunst. Alles andere war Nebensache. „Angela Aux ist ein Medium,“, erzählte Florian Kreier einmal in einem Interview, „das sich zwischen Musik und Literatur immer neue relevante Themen sucht, um in Performances und Songs und Texten anderen Menschen einige interessante Dinge dazu mitzugeben.“
Auf jeden Fall machte Angela Aux Musik. Zumindest in Landsberg. Spielte, sang, performte (neudeutsch), Songs, die angelegt waren zwischen Pop und Underground, die ebenso melancholisch verkitscht daherkamen, wie sie in ihrer scheinbaren Einfachheit herausforderten und berührten. Songs die von Quantenmechanik handelten und von (Werner) Heisenberg, die sich mit (Friedrich) Nitzsche, Aliens und dem Alter Ego beschäftigten (immerhin ist AA studierter Politologe).
Irgendwo war einmal zu lesen, Angela Aux Musik klingt wie eine Art popmusikalisches Surfen zwischen Nick Drake und Velvet Underground. Vielleicht ja auch zwischen einem Donovan und David Sylvian? Ein Streetworker jedenfalls, wie es zum Beispiel Kevin Coyne musikalisch sein Leben lang war, ist Angela Aux mit Sicherheit nicht. Das was er spielte war nicht Rock'n Roll als Volksmusik. Er gab sich eher als der Lyriker, ein Walter von der Vogelweide des Pop. Verträumt und romantisch – dabei nicht unkritisch.
Die Provokation fand en detail statt, im kleinen, wenn das Publikum zum Beispiel aufgefordert wurde, nach den Songs eben nicht zu klatschen – sondern zu pfeifen. Konventionen in Frage stellen, sie im besten Fall ignorieren. Ist das authentisch? Auf jeden Fall hat es eine individuelle Note, diese Popmetamorphose, die am Ende das ästhetische Niveau auf ein neues, auf ein anderes Level hob.
Wie weit Florian Kreier in der Charakterisierung und im Umgang mit seinem eigenen Tun geht zeigt sich, dass er als Autor schon einmal eigene Alben gnadenlos verreißt. Ein Mensch mit Humor also? Auf jeden Fall mit Ironie, der sein eigenes Werk nicht allzu ernst zu nehmen scheint. Und trotzdem beschäftigt er sich mit existenziellen Fragen. Zum Beispiel: Wie mag es weitergehen mit der Menschheit? Nach eigenem Bekunden ist es leicht, Dystopien zu entwerfen. Gute Utopien gibt’s nur wenige – sie sind eine Herausforderung und weitaus lohnenswerter, als in Angst und Schock zu erstarren. Wie schön.
Jörg Konrad
Autor: Siehe Artikel
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