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25. Nils Wogram „The Pristine Sound Of Root 70“
26. Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna „La Melodia Della Strada“
27. Maciej Obara Quartet „Frozen Silence“
28. Lakatos / Bossard / Egli „Passing Months“
29. Luise Volkmann „Rites De Passage“
30. Jisr „Wah Wah!“
Mittwoch 20.09.2023
Nils Wogram „The Pristine Sound Of Root 70“
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Innerhalb der Kunst gab es immer wieder Momente, in denen ein (kleiner) Schritt zurück letztendlich eine Entwicklung nach vorn bedeutete. Diese scheinbare Rückwärtsbesinnung kommt einem reflektierenden atemholen nahe, einem Überdenken und (neu-)Ordnen des Bestands. Statt dem olympischen Gedanken höher-schneller-weiter geht es um neue Ansätze, um den Startmodus zu neuen Herausforderungen. Genauso könnte man Nils Wograms Projekt Root 70 einschätzen. Vor über zwanzig Jahren gegründet, erforscht der deutsche Posaunist mit seinem pianolosen Quartett die Vergangenheit – um die Zukunft zu gestalten.
Zum einen birgt diese Rückblende ein Erinnern an wunderbare musikalische Momente, wie sie einst das Gerry Mulligan Bob Brookmeyer Quartet oder Albert Mangelsdorff in seinen Bands gestaltet haben. Zum anderen setzen Wogram und seine Mannen, zu denen Saxofonist Hayden Chisholm, Bassist Matt Penman und Schlagzeuger Jochen Rueckert zählen, Zeichen von harmonischer Eleganz, wie man sie heute kaum noch findet. „Es ging mir darum,“ erläutert der heute in der Schweiz lebende Wogram, „etwas Zeitloses zu machen. Ich habe durchaus eine Affinität zu Altmodischem. Die Herausforderung besteht darin, dass es nicht abgestanden ist. Ich wollte mich komplett von einem bestimmten Zeitgeist oder gelenkten Konzept lösen.“
Das gelingt ihm auf „The Pristine Sound Of Root 70“ ganz ausgezeichnet. Die Musik hat Charme, lebt von ihren berührenden melodischen Momenten und den wohltemperierten Improvisationen. Hayden Chisholm, der sensationelle Altsaxophonist, chargiert zwischen ruhiger Souveränität und avantgardistischer Offenheit. Wogram beeindruckt durch seine sonoren Klangschattierungen. Er drückt temperamentvoll aufs Gaspedal und ist ein beeindruckender Balladenspieler. Das Rhythmusduo hält die ganze Truppe geschickt zusammen, treibt im Blues voran, setzt swingende Ausrufezeichen und findet jede Menge Möglichkeiten, sich selbst in Szene zu setzen. Ohne dabei in ausufernde Selbstdarstellungen zu verfallen. Eine Band, die wie aus einem Guss spielt und große Freude bereitet.
Jörg Konrad

Nils Wogram
„The Pristine Sound Of Root 70“
n-wog
Download / Vinyl / CD
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Freitag 15.09.2023
Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna „La Melodia Della Strada“
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Dreißig Jahre ist es her, dass der Großmeister des europäischen Kinos Federico Fellini 73jährig in Rom an Herzversagen starb. Allein das Nennen seiner Filme zaubert bis heute bei fast allen Filmkennern wie automatisch ein Lächeln ins Gesicht. Denn kaum ein Regisseur vor und vielleicht auch nach ihm hat den Zwischenraum von harter Lebenswirklichkeit und magischer Poesie derart vollendet ausgefüllt: „La Strada“, „Das süße Leben“, „Julia und die Geister“, „Fellinis Schiff der Träume“ - auch der österreichische Jazz-Musiker, Komponist und Dirigent Christian Muthspiel gehört zu den Bewunderern des „Maestro“, dem „Propheten des Kinos“. Im letzten Jahr wurde sein großorchestrales Werk „La Melodia Della Strada“ zu ehren Fellinis in Graz uraufgeführt. Ein viersätziges Opus, das aus einzelnen akustischen Sequenzen besteht, die Muthspiel nach originalen Bildvorlagen fantasiereich und mit enormen Biss komponiert hat.
Dabei ist es nicht leicht, sich die Szenen-Abfolgen ohne die Originalmusik von Nino Rota vorzustellen, dessen Kompositionen im Grunde untrennbar mit Fellinis Kinowelt verschmolzen sind. Doch Muthspiel gelingt dieses Kunststück famos. Die einzelnen Stücke lassen Stimmungen und Atmosphären entstehen, die nach Jahrzehnten wie Neuübersetzungen des Soundtracks in die Gegenwart klingen. Zudem gibt er in jeder Komposition einem seiner zahlreichen Bandmusiker die Möglichkeit zu improvisatorischen Höchstleistungen. Entsprechend den visuellen Vorgaben fallen diese, wie in „La Città Delle Donne“ durch Ilse Riedler am Tenorsaxophon virtuos und temperamentvoll aus. Aber es gibt auch stimmungsvolle, melancholische Nummern bzw. solistische Einlagen, wie das Flügelhornsolo von Lorenz Raab in „Gradica“. Insgesamt 94 Minuten Musik, lebendig und provozierend, anmutig und diszipliniert, leidenschaftlich und spartanisch. Außerdem vermittelt „La Melodia Della Strada“ pure Lust, sich endlich wieder Fellini-Filme anzusehen. Ein kleiner Essay von Christoph Ransmayer rundet diese „Hörfilm-Vergnügen“ auch literarisch angemessen ab.
Jörg Konrad

Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna
„La Melodia Della Strada“
col-legno
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Montag 11.09.2023
Maciej Obara Quartet „Frozen Silence“
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Die Zusammenarbeit von Maciej Obara und Dominik Wania erinnert ein wenig an jene von Tomasz Stanko und Marcin Wasilewski vor knapp zwei Jahrzehnten. Beide fanden jeweils künstlerisch zueinander, nachdem sie zuvor selbst schon einige musikalische Bewährungsproben bestanden hatten. Sie entdeckten im anderen eine gewisse Art von Seelenverwandtschaft, wobei alle vier sich stark von ihrem polnischen Landsmann Krzysztof Komeda beeinflusst fühlten. Eine insgesamt effektive Grundlage, um eigene musikalische Visionen miteinander zu verknüpfen und auszudrücken.
Der Altsaxophonist Obara arbeitet nun schon einige Jahre mit Dominik Wania zusammen und so wundert es nicht, dass ihr musikalischer Ausdruck sehr einmütig, fast intim gerät. Sie sind in der Lage, mit sehr differenzierten Klängen dem jeweils anderen musikalisch zu assistieren, sensible wie tragbare Fundamente zu schaffen, die eine ideale Basis für improvisatorische Erkundungen sind. Hinzu kommt ihr Geschick, sich instrumental in wunderbaren solistischen Wendungen und Erzählungen auszudrücken. Das hat, trotz aller Zurückhaltung, Substanz und Klarheit.
Das Beziehungsgefüge untereinander wird zusätzlich durch die beiden Norweger Ole Morten Vågan (Bass) und Gard Nilssen (Schlagzeug) sehr positiv und den dynamischen Gesamtprozess offenkundig herausfordernd beeinflusst. Es ist ein Quartett, das zwar die Untiefen und Stromschnellen des Jazz bevorzugt, doch trotz aller Unberechenbarkeit letztendlich wie aus einem Guss spielt. Berührend und aufregend zugleich.
Jörg Konrad

Maciej Obara Quartet
„Frozen Silence“
ECM
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Mittwoch 06.09.2023
Lakatos / Bossard / Egli „Passing Months“
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Es gab eine Zeit, da war das Klaviertrio im Jazz eine Neuheit. Thelonious Monk gehörte mit zu den ersten, die es in der Moderne einsetzten und Abenteuerliches produzierten. Oscar Peterson, der wuchtige Kanadier, war einer der flinksten am Instrument. Mit dem bedachtsamen Melancholikern Bill Evans und dem zwischen Klassik und Free changierenden Keith Jarrett schien dann spätestens Ende der 1980er Jahre der Zenit erreicht. An den 88 Tasten war wohl vorerst alles gesagt. Die Besetzung geriet immer häufiger in die Kritik, weil Monat für Monat Dutzende von Klaviertrios wie Pilze aus dem Boden schossen, die jedoch letztendlich die vier genannten Größen mal stark, mal weniger stark kopierten.
Heute gehört die Formation Klavier, Bass, Schlagzeug zum anerkannten Jazz-Kanon. Zwar gibt es sie nach wie vor wie Sand am Meer, aber ihre Vielfalt ist schlicht atemberaubend. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel!
Ein schönes Beispiel für den Stand das Klaviertrios heute bietet die Einspielung „Passing Moths“ des Schweizer Trios Lakatos / Bossard / Egli. Diese drei agieren auf der Höhe der Zeit. Sie haben die anfangs erwähnten Piano-Helden verinnerlicht und haben selbst genügend individuelle Erfahrungen gesammelt, die sie musikalisch belebend einbringen. Bop und Blues, Swing und Sinti, Romantik und Reminiszenz. Die acht Kompositionen sind wie eine Entdeckungsfahrt zwischen funktionaler und modaler Spielauffassung. Keine Experimente – aber auch kein unverbindlicher Crossover. Die Musik fließt, ist griffig, hat ihre Ecken und Kanten und pulsiert durchgehend. Melancholie und Besinnung sind bei Róbert Szakcsi Lakatos am Klavier, Raffaele Bossard am Bass und Schlagzeuger Dominic Egli Stimmungslagen und keine Weltanschauungen. Es ist in der Verarbeitung der Geschichte des Jazz eine offensive Introvertiertheit, die das Trio zum Ausdruck bringt – elegant und universal umgesetzt.
Jörg Konrad

Lakatos / Bossard / Egli
„Passing Months“
Privave
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Montag 04.09.2023
Luise Volkmann „Rites De Passage“
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Selbst in der aufregenden Welt des Jazz verdient die Arbeit Luise Volkmanns mehrfach Aufmerksamkeit. Zum einen als Musikerin. Die aus Bielefeld stammende Altsaxophonistin ist eine faszinierende Improvisatorin, die zugleich traumwandlerisch sicher vom Blatt spielt und beides in ein aufbäumendes, herausforderndes Verhältnis stellt. Zum anderen sucht sie als Komponistin das Risiko, geht neue, ungewohnte Wege, auf denen sie Dinge musikalisch zusammenbringt, die akustisch vorher so nicht zu erleben waren. Und drittens vereint sie in ihren Projekten Musikalisches mit Politischem, zeigt sich respektvoll und agiert dann wieder völlig respektlos, wühlt auf und klingt überraschend anrührend, gibt sich zwanglos und „klebt“ im nächsten Moment streng an der Partitur. „Rites De Passage“ heißt das neue Album der Luise Volkmanns. Mit ihm will sie ganz bewußt Grenzziehungen in Frage stellen, will hörbar machen, dass Musik letztendlich als ein ganzheitliches Geschehen wahrgenommen werden kann, darf – wahrgenommen werden soll.
Die Kompositionen auf „Rites De Passage“ stammen von Luise Volkmann, sind aber durchgängig von verschiedenen Künstlern elektronisch nachbearbeitet worden. Zusammen mit den original verwendeten Instrumenten, wie Flöte, Geige, Posaune, Tenorstimme und Recorder entsteht so eine ganz individuell eingefärbte Atmosphäre, die sowohl etwas Realistisch-Pragmatisches vermittelt, als auch eine spirituell entrückte Welt zum Ausdruck bringt. Es ist wie der künstlerisch verdichtete Kommentar einer genau beobachteten und reflektierten gesellschaftlichen Entwicklung. Natürlich: Kein Mainstream nirgends! Das versteht sich bei Luise Volkmann von selbst.
Auf die Frage eines Journalisten, was ihre Musik mit ihr und dem Hörer anstellen soll, antwortete Luise Volkmann vor einer Zeit: „Ich finde das Erleben von Musik wirft einen auf sich selbst und die Welt zurück und bietet einem die Möglichkeit, beides intensiver zu erfahren. Für mich hat das gleichzeitig etwas Meditatives und etwas Ekstatisches.“
Der Musikmarkt ist ihr egal. Zum Glück hat sie aber ein Label hinter sich, mit dem sie ihre Vorstellung von Musik umsetzen und veröffentlichen kann. Prog-Rock, Cooljazz, Punk und Klassik, Electronika, Bebop, Freejazz, Pop – sie empfindet Musik als eine ganzheitliche Kunstform. Natürlich kann Luise Volkmann unterscheiden, um welche Einflüsse es sich dabei jeweils handelt, aber in ihren Kompositionen verwischt sie die Grenzen bewusst, übersteigt lustvoll die Absperrungen zwischen den Kategorien und wird zu einer akustischen Wanderin zwischen den stilistischen Welten.
Jörg Konrad

Luise Volkmann
„Rites De Passage“
nwog
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Freitag 01.09.2023
Jisr „Wah Wah!“
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Hier treffen sie beinahe spektakulär aufeinander, die musikalischen Welten Nordafrikas, Südasiens und Europas, verkörpert durch eine ganze Anzahl internationaler Musiker. Über ein Dutzend Sänger, Trompeter, Gitarristen, Percussionisten und Akkordeonspieler, die sich der Folklore Marokkos, den Rhythmen Indiens, der karnatischen Vokaltradition, der osteuropäischem Volksmusik und westlichen Jazzimprovisation verschrieben haben. Der seit vielen Jahren in München lebende Linguist, Sänger, Perkussionist und Gembri-Spieler Mohcine Ramdan hat 2019 seine Formation Jisr gegründet. Der Gedanke hinter der Band stammt von keinem geringeren als Sir Isaac Newton, dem englischen Universalgelehrten: „Die Menschen bauen zu viele Mauern und zu wenig Brücken.“
So versucht auch Ramdans Jisr tiefe Gräben und hohe Mauern zu überwinden und musikalische Brücken zu bauen. Die Fülle an Musikstilen, die hier zu einer faszinierenden Stimme verschmelzen, klingt dabei überlegt und gereift. Es gibt bei Jisr wenig führende, virtuos gehandhabte Instrumente. Es handelt sich eher um eine Art Klangrausch, der von seiner individuellen Vielfalt und der beeindruckenden Gelassenheit lebt. Es ist Musik, die im Hier und Jetzt angelegt ist, die Realität und Authentizität widerspiegelt, die Individualität und Tradition atmet.
Alle Mitglieder bringen sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit ein, gehen in zum Teil wunderschönen Melodien auf, treiben die Grooves unerbittlich voran und finden trotz aller Gegensätzen eine gemeinsame Originalität. Zudem ist „Wah Wah!“ eine der letzten Aufnahmen mit Roman Bunka, dem deutschen Oud-Spieler und Pionier der Weltmusik-Szene. Kurz vor seinem Tod im letzten Jahr tourte er mit Jisr durch Pakistan, Sri Lanka und Bangladesch und schuf so die Grundlage zu dieser vollendeten Einspielung.
Jörg Konrad
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Autor: Siehe Artikel
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