So ganz klar ist es nicht, wieviel Aufnahmen
Fred Frith in den zurückliegenden fünf Jahrzehnten unter seinem Namen denn nun eingespielt hat. Erst recht nicht, was die Veröffentlichungen als Sideman betreffen. Aber es dürften schon einige Hundert sein. Es gibt Internetseiten, die sein Werk diesbezüglich einteilen in Music For Dance, Music For Film, Live Alben, Collaborations, Bands, Bootlegs und manches mehr. Doch es ist, bei allem Umfang, nicht die Quantität, die bei dem Gitarristen aus dem südenglischen Heathfield beeindruckt. Seine Musik selbst fasziniert, der Inhalt seiner eigentlichen Kunst, seine Vielseitigkeit.
Man findet im Oevre des zurückhaltenden, sympathischen aber musikalisch eben auch sehr anspruchsvollen Instrumentalisten kaum abgesteckte Grenzen. Er ist ein beredter Anhänger des Art Rock, experimentiert aber gleichzeitig mit kindlicher Freude im Avantgardbereich, er arbeitet mit Streichquartetten Moderne Klassik aus (und bringt das Ergebnis natürlich höchst persönlich zur Aufführung), vermittelt mit seinen Auftritten politische Anliegen, liebt spontane Improvisationen und auch Humor. „Für mich ist die Definition eines modernen Musikers jemand, der mehr als nur eine Sache machen kann“, erzählte er vor Jahren in einem Interview. Das klingt ganz einfach. Zeigt aber im Fall Fred Frith ein unglaubliches Quantum.
Nun ist beim Label Intakt aus Zürich, das in den letzten Jahren eine ganze Reihe seiner Arbeiten veröffentlichte, ein neues, energiereiches Doppelalbum erschienen. Es nennt sich simpel
„Road“ und ist innerhalb nur weniger Tage an drei verschiedenen Orten in Deutschland und den USA aufgenommen. Und so verschieden die Orte an sich ausfallen (Köln, Ebersberg bei München und Charlottesville, VA), so facettenreich, sinnlich, provokant und entdeckerfreudig klingt auch die Musik.
In Köln präsentiert Frith ein Trio mit dem Bassisten
Jason Hoopes und dem Schlagzeuger
Jordan Glenn. Welch ein kraftvolles Feuerwerk diese drei innerhalb von nur knapp fünfzig Minuten musikalisch abbrennen. Man möchte meinen, dieses intensive Auflösen von Strukturen und anschließende neuknüpfen von Verbindungen ist eine Art freie Kammermusik. Es sind kollektive Unabwägbarkeiten, weit weg von jeder melodischen Verspieltheit.
Das gleiche Trio plus der Trompeterin
Susana Santos Silvia präsentiert sich frei und auf suggestiven Pfaden wandelnd. Die aus Porto stammende Portugiesin arbeitet mit Sounds und verfremdeten Tönen, mit suggestiven Assoziationen und verwinkelten Verschiebungen. Die Stücke entwickeln sich auf verschiedenen Ebenen und kommen letztendlich in gebrochener Schönheit wieder zusammen.
Bei der anderen Solistin handelt es sich um die Dänin
Lotte Anker, eine Seelenverwandte von Frith' Ideen. Ihre klanglichen Wechselgespräche sind herausfordernde Dialoge, nicht im Sinne von Perfektion, sondern von Reaktionsvermögen und Verstand. Manchmal handelt es sich bei ihrem Austausch um federnde Melodielinien, dann wieder kommt etwas vertraut subversives ins Spiel, eine gewisse unorganisierte Extravaganz.
Zusammenfassend darf man sagen, Fred Frith ist ein musikalischer Abenteurer, ein Klangtüftler, einer, der Musik, gleich welcher Coleur, versucht zu befreien. Peter Rüedi sprach einmal im Zusammenhang mit Frith von „improvisatorischem Überdruck“ und „Originalitätsimperativ“. Hier geht es um ein inniges Temperament für Spontanität, das den Gitarristen über Jahrzehnte nicht zu verlassen scheint. Er ist kein Suchender. Er ist jemand, der stets entdeckt, gänzlich Neues, oder aber traditionelles, das er in einen völlig anderen Kontext setzt und so letztendlich auch wieder bisher ungehörtes schafft.
Jörg Konrad
Fred Frith
„Road“
Intakt Records