Nach dem Ende der Sommerzeit können Beobachter bereits gegen 18 Uhr ihren Blick zum gestirnten Himmel richten. Mit viel Glück kann man die Venus tief über dem Südwesthorizont sehen, obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch nicht völlig dunkel ist. Die überaus große Helligkeit macht sie zum dekorativen Abendstern. Aufgrund seiner Position gegenüber der Sonne wird uns der Gasriese Jupiter auch noch im November als hellstes nächtliches Objekt nach dem Mond über Stunden begleiten. Allerdings verlagert er seine Untergangszeit bis zum Monatsende auf 22:30 Uhr. Der Begleiter der Erde, der ja auch die Bezeichnung Luna trägt, wird am Abend des 11.11. direkt unter Jupiter stehen. Schon einen Tag zuvor ist eine ähnliche Konstellation mit Saturn zu bewundern.
Das Herbstviereck ist nun die größte geometrische Figur, die recht leicht am südlichen Himmel zu erkennen ist, während in östlicher Blickrichtung im Laufe des Abends nach und nach die ersten Wintersternbilder an Höhe gewinnen.
Insgesamt 88 Sternbilder sind seit 1922 von der Internationalen Astronomischen Union (IAU) verbindlich festgelegt worden. Am Sternhimmel sind sie auf der nördlichen und südlichen Hemisphäre nahezu gleichmäßig verteilt. Historisch gesehen sind dabei die in unseren Breitengraden sichtbaren Konstellationen die älteren, denn die meisten der Sternbilder des Südhimmels gehen auf die Bezeichnungen von Seefahrern und Forschern zurück, die vor fast genau 500 Jahren erstmals in südliche Breiten aufbrachen und während der oft Monate und Jahre dauernden Fahrt die neuen Konstellationen in ihre Karten eintrugen und so für ihre spätere Verbreitung sorgten.
Doch der Reihe nach: Schon vor 2000 Jahren waren vielfältige Erkenntnisse der Himmelskunde erstmals in einem epochalen Werk veröffentlicht worden. Claudius Ptolemäus, der Vorstand der berühmten alexandrinischen Bibliothek, fasst das gesamte Wissen seiner Zeit über die Gestirne im sogenannten „Almagest“ zusammen. Zwar ist dieses Werk nicht im Original erhalten, doch die verschiedenen Abschriften, heute von allerhöchstem Wert, zeugen von der gewaltigen Arbeit des genialen Wissenschaftlers.
In einem Teil der Almagest beschäftigt sich Ptolemäus auch mit den damals bekannten Sternbildern. Doch erst ein arabischer Astronom, den wir heute unter dem Namen Al Sufi (903-986) kennen, verknüpfte dessen Informationen mit den Überlieferungen alter arabischer und persischer Quellen. So entstand ein erster Sternatlas, der wiederum auch in den verschiedensten europäischen Archiven als Abschrift erhalten geblieben ist. Al Sufis große Leistung bestand darin, dass er erstmals die Sterne der einzelnen Konstellationen genau bezeichnete und darüber hinaus die Sternorte am Himmel genau festlegte. So ist es kaum verwunderlich, dass ein Großteil der noch heute benutzten Sternnamen eindeutig arabischer Natur ist. Oder man formuliert es so: Ohne Al Sufi würden viele Sterne ganz andere, vermutlich eher europäische Namen tragen.
Allerdings muss man feststellen, dass auch in den Jahrhunderten nach Al Sufi Kenntnisse über die Sterne und Sternbilder ein sehr spezielles Wissen darstellten. Eigentlich existierte es nur in den Schreibstuben der lateinisch sprechenden Gelehrten, denn dem normalen Volk waren nur Geschichten und Überlieferungen über den Himmel bekannt. Bestes Beispiel hierfür ist die Bezeichnung „Großer Wagen“, welche noch heute in unseren Breiten das Sternbild Großer Bär umschreibt.
Die ganze Situation sollte sich erst durch einen Zufall ändern. Wir schreiben das Jahr 1482. Noch sollten zehn Jahre vergehen, eher der genuesische Seefahrer Cristobal Colombo, den wir heute als Columbus kennen, im Auftrag der spanischen Krone in unbekannte Gefilde vordringen wird. Der von ihm entdeckte Kontinent sollte später nach dem florentinischen Kaufmann Amerigo Vespucci America genannt werden. In Venedig hat sich zu dieser Zeit der deutsche Buchdrucker Erhard Ratdolt (1547-1527) niedergelassen. Die Verbreitung von gedruckten Texten ist in der damals blühenden Handelsmetropole äußerst lukrativ. Daher kann sich der in Augsburg geborene und inzwischen hochangesehene Bajuware auch an einen ganz speziellen Auftrag heranwagen. In einer venezianischen Bibliothek war die Handschrift „De Astronomia“ eines gewissen Gaius Julius Hyginus aufgetaucht. Ratdolt stellt für den Text Holzschnitte vor allem der 12 Sternbilder des Tierkreises her, die später aufwendig handkoloriert werden. Nach einer mehrmonatigen Fleißarbeit entsteht das „Poeticon Astronomicon“, welches heute als das bedeutendste Frühwerk der Astronomiegeschichte gilt. Schon kurz nach dem Erscheinen wird das nun kurz „Poeticon“ genannte Druckwerk zum ersten astronomischen Bestseller in Europa - der immensen Nachfrage kann kaum nachgekommen werden. Ratdolts Inkunabel markiert den Beginn der Popularisierung astronomischen Wissens, denn es sind nicht mehr einzelne und zudem sehr seltene Handschriften, die nur wenigen Gelehrten bekannt sind, sondern erstmals steht der astronomisch interessierten Leserschaft ein frei zugängliches Druckwerk zur Verfügung.
Als Erhard Ratdolt 1486 seine venezianische Offizin (Druckerei) verlässt und in seine Heimatstadt Augsburg zurückkehrt, gilt er längst als der innovativste und zugleich kreativste Drucker seiner Zeit und genießt ein überaus hohes Ansehen.
Just in diesem Jahr hat der Albireo-Verlag in Köln das „Poeticon Astronomicon“ in einer aufwendigen Reproduktion herausgegeben. Nun kann man mehr als fünfhundert Jahre nach der Erstveröffentlichung selbst höchst anschaulich nachvollziehen, warum dieses Werk schon damals den Händlern meistbietend aus den Händen gerissen wurde.
Klaus Huch, Planetarium Halberstadt