David Klein, Saxophonist, Schlagzeuger, Komponist, Produzent und vieles mehr, tummelt sich schon eine Weile in der Szene. Geboren 1961 in Basel als Sohn des berühmten Jazzmusiker-Ehepaars Oscar und Miriam Klein, arbeitete er schon früh mit vielen bekannten Solisten der Jazzszene (Kenny Clarke, Sir Roland Hanna, Billy Cobham, Kirk Lightsey). Er studierte am Berklee College of Music in Boston, gründete Mitte der 1980er Jahre die Klezmer-Band Kol Simcha, komponierte Filmmusik (Gripsholm) und fürs Fernsehen (Das Wunder von Mogadischu) und produzierte 2001 mit internationaler Band eine Hommage an Marilyn Monroe ("My Marilyn").
Ende Oktober sind Jasmin Tabatabai und das David Klein Quartett noch für eine Konzerte in Deutschland unterwegs: 30.10. Jazztage Dresden (Ostra Studios), 31.10. Magdeburg (Theater).
KultKomplott: Welche Faktoren waren ausschlaggebend, dass Sie wurden, was Sie heute sind?
David Klein: Die Liebe meiner Eltern und das große Glück, in einem sehr harmonischen Abschnitt der Familiengeschichte geboren und aufgewachsen zu sein. Das hat mir ein Urvertrauen beschert, das ich gerne als „Euphorische Verstimmung“ bezeichne.
KK: Wen bzw. was möchten Sie mit Ihrer Arbeit erreichen?
DK: Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich mache Musik, die ich selbst gerne hören würde und wenn andere Menschen sie auch gerne hören, freut mich das natürlich umso mehr. Ich habe auch keinerlei Berührungsängste mit irgendwelchen Genres. Ich habe Klezmer gemacht, Schlager, habe Gedichte vertont, Filmmusik geschrieben, Funk und moderne Klassik gespielt, obwohl ich keine Noten lesen kann, was das Sinfonieorchester, welches mich engagierte, aber nicht wusste.
Wir spielten als Jazz-Quintett in Hans Werner Henzes „Maratona di Danza“. Wir hatten als Band viel Freiraum und der Dirigent hatte an manchen Stellen die geschriebenen Noten gestrichen, wir sollten dort stattdessen improvisieren. Ein Freund nahm mir meine Stimme mit Flöte auf Kassette auf und ich lernte alles auswendig. Das ging so lange gut, bis der Dirigent eines Tages sagte: „David, spiel bitte von Takt soundso bis Takt soundso nun doch was geschrieben steht.“ Ich antwortete: „Das würde ich gerne tun, wenn ich nur wüsste, was da steht, ich kann nämlich keine Noten lesen.“ Das Orchester brach in schallendes Gelächter aus.
Auch wenn ich ausschließlich Musik ohne Kompromisse mache, finde ich, wenn man auf die Bühne geht, ist man dem Publikum etwas schuldig. Ich sitze oft zu Hause auf dem gemütlichen Sofa und plötzlich fällt mir ein, dass diese oder jener in Basel, wo ich lebe, auftritt. Und oft bleibe ich auf meinem Sofa sitzen und schau mir den Act später auf Youtube an.
Aber unser Publikum steht eben vom Sofa auf, musste vermutlich einen Babysitter organisieren, geht bei Wind und Wetter nach draußen, legt womöglich eine längere Strecke zurück, um zum Konzertort zu gelangen, zahlt Eintritt, um sich zwei Stunden Kultur anzutun - nicht als lästige Pflichtübung des Bildungsbürgertums, sondern aufmerksam und interessiert - es zeigt uns seine Wertschätzung, indem es frenetisch applaudiert und am Ende kaufen die Leute auch noch CDs. Ohne diese kulturbegeisterten Menschen wären wir als Kulturschaffende gar nichts. Diese Menschen sorgen dafür, dass das Land der Dichter und Denker nicht zum Land der Dieter (Bohlen) und Nicht-Denker verkommt. Vor diesen Menschen verneige ich mich in Demut, Hochachtung und tiefer Dankbarkeit.
KK: Mit welchen Widrigkeiten müssen Sie sich bei Ihrer Arbeit am häufigsten auseinandersetzen?
DK: Geldmangel.
KK: Welche Erlebnisse haben Sie zuletzt stark beeindruckt?
DK: Meine zwei Kinder aufwachsen zu sehen und wie unschlagbar großartig ihre Mutter ist.
KK: Welches sind die schönsten Momente in Ihrer Arbeit?
DK: Durch tägliches Üben besser zu werden. Oder wie die Japaner sagen: „Wer aufhört besser zu werden, hört auf gut zu sein.“
KK: Hören Sie Musik und wenn ja, welche Art von Musik mögen Sie besonders?
DK: Ich höre jede Art von Musik. Platon bezeichnete Musik als ein „moralisches Gesetz, das unserem Herzen eine Seele schenkt, den Gedanken Flügel verleiht, die Fantasie erblühen lässt und allem erst Leben schenkt.“
Ich halte mich an Kurt Weill, der sagte, er hätte den Unterschied zwischen ernster und leichter Musik nie anerkannt. Für ihn gebe es nur gute und schlechte Musik. Oder wie Karl Valentin sagte: «Wenn's oana ko, isses koa Kunst. Wenn's oana net ko, isses oa koa Kunst.»
KK: Hören Sie eher CD oder Vinyl?
DK: Youtube.
KK: Was lesen Sie momentan?
DK: Zeitungen und Blogs.
KK: Was ärgert Sie maßlos?
DK: Politik, Redeverbote, Gesinnungsdiktatur und als „Israelkritik“ camouflierter Antisemitismus.
KK: Was freut Sie ungemein?
DK: Dass meine Familie und ich gesund sind.
KK: Haben Sie jemals ein Kleidungs- bzw. Möbelstück selbst gemacht?
DK: Ich habe im Flur unserer Wohnung eine Garderobe für Kinder- und Erwachsenenkleider gebaut. Als Kind habe ich mir Winnetous bestickte Weste nachgemacht und Kostüme/Masken für die Basler Fasnacht. Als Jugendlicher habe ich meine Kleider modifiziert, um meinem damaligen Idol Jimi Hendrix so ähnlich wie möglich zu sein (ich spielte damals noch Gitarre als Hauptinstrument). Später habe ich mich wie Reinhard Mey gekleidet, den ich sehr verehre, beige Hose mit weißem oder kariertem Hemd (mit oder ohne Gilet) oder einfacher gesagt: wie ein Primarlehrer.
KK: Von welchem Schauspieler / welcher Schauspielerin sind sie in welchem Film beeindruckt?
DK: Witta Pohl in einer Szene in „Diese Drombuschs“, in der sie in Tränen ausbricht. Aber ich liebe auch Hans Moser, Marilyn Monroe oder Peter Lorre („M-Eine Stadt sucht einen Mörder“). Als absoluter Filmfan beeindrucken mich schauspielerische Leistungen, die eher nonchalant daherkommen. Leute wie de Niro oder Meryl Streep, die ihrem eigenen Hype glauben und einem immer zu sagen scheinen, wie grossartig sie doch sind, langweilen mich.
Ganz schlimm war Bruno Ganz als Hitler in Eichingers „Der Untergang“: schaut alle her, der beste Hitler, der je gegeben wurde! Wahrhaftigkeit ist wichtig. Es gibt eine herrliche Geschichte von Billy Wilder. Der hatte einem Schauspieler nach einem Take gesagt, dass er noch ein bisschen weniger machen soll. Die Szene wurde wiederholt und Wilder sagte: Großartig, aber mach noch weniger. Das ging etliche Male so, bis der Schauspieler entnervt moserte: Wenn ich jetzt noch weniger mache, dann spiele ich ja gar nicht mehr! Darauf Wilder: Genau!
Mir geht es mit der Musik und vor allem mit Gesang gleich. Ich liebe ungekünstelten Gesang. Also Gesang, der sich nicht mit inhaltsloser Stimmakrobatik versucht in Szene zu setzen. Deshalb verehre ich auch Billie Holiday, die größte Jazzsängerin, die je gelebt hat (sie starb übrigens mit 44 Jahren verarmt in einem New Yorker Spital, ihr Erspartes, ganze 47 Dollar, trug sie auch im Spitalbett immer auf sich). Ich liebe Sängerinnen wie Jasmin, die dir eine Geschichte erzählen, die man auch glaubt. Es gibt Sängerinnen, die schreien einem eine Geschichte ins Ohr, hüpfen auf der Bühne rum und gebärden sich, scatten womöglich noch, aber glauben kann man davon gar nichts.
KK: Was würden Sie gern erfinden, was es Ihrer Meinung bisher noch nicht gibt?
DK: Ich erfinde gerade diverses Zubehör für Saxophon.
KK: Fühlen Sie sich eher als Einzelkämpfer, oder Teamplayer?
DK: Der Journalist Jürgen Serke nannte mich einen „Allesalleinemacher“, Ute Lemper einen „Diktator“. Aber mit meiner Klezmer-Band Kol Simcha war ich auch 20 Jahre ein Teamplayer.
KK: In welcher Situation haben Sie die besten Einfälle?
DK: Im Kino.
KK: Welche Websites oder Blogs lesen Sie?
DK: neffmusic.com, bestsacophonewebsiteever.com, achgut.com, gatestone.com und viele andere.
KK: Was würden Sie ändern, wenn Sie für einen Tag Staatsminister für Kultur wären?
DK: Nachdem ich alle gefeuert und kompetente Protagonisten eingestellt hätte, würde ich als Erstes die Finanzierung von CDs von professionellen Musikern wiedereinführen.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich CDs nicht mehr verkaufen. Um jedoch auf dem hart umkämpften Konzertmarkt bestehen zu können, braucht man als Künstler rund alle zwei Jahre ein neues Programm, sonst wird man von den Veranstaltern, bei denen man bereits aufgetreten ist, nicht mehr gebucht. Das ist durchaus verständlich, denn man kann dem Publikum nicht jahrelang das gleiche Repertoire vorsetzen.
Komponieren und Konzerte spielen ist für jeden Künstler unerlässlich. Einerseits, um sich musikalisch weiter zu entwickeln, andererseits, um sich einen Namen zu machen (und diesen zu pflegen), denn Konzerte bedeuten auch immer Präsenz in den Medien (Vorberichte, Rezensionen etc.) und natürlich generiert man mit Konzertauftritten auch Einnahmen, denn auch Musiker und Komponisten leben nicht nur von Luft und Liebe.
Was das Ganze erheblich erschwert, ist, dass die Veranstalter neben dem neuen Programm auch auf einer neuen CD-Veröffentlichung bestehen. Dies, obwohl der Markt für den CD-Verkauf aufgrund der Streaming-Plattformen völlig eingebrochen ist. Nun könnte man die CD möglichst billig produzieren, ohne Promotion (Bekanntmachung in allen Medien), ohne EPK (digitale Pressemappe), ohne Werbung, ohne Video.
Das reicht den Veranstaltern aber nicht, denn diese vertrauen nach wie vor darauf, dass sich die Berichterstattung zur Veröffentlichung der CD in den Medien (Print, TV, Radio, Internet) positiv auf die Zuschauerzahlen an den Konzerten auswirkt. Das kostet.
In längst vergangenen Zeiten kamen die Plattenfirmen für diese Kosten auf, was aber bedeutete, dass der Künstler pro verkaufte CD mit einem Almosen abgespeist wurde. Die jeweiligen Label-Verträge umfassten nicht selten mehr als 40 Seiten, vollgepfercht mit Klauseln zu Ungunsten des Künstlers. Daran hat sich, trotz den Umwälzungen in der Musikindustrie, bis heute nichts geändert. Heutzutage zahlt zwar keine Plattenfirma mehr die Produktionskosten einer CD, aber noch immer wollen sie überproportional profitieren, sollte etwas wider Erwarten ein kommerzieller Erfolg werden (was im Jazz so gut wie nie passiert).
Um die grösstmögliche künstlerische und unternehmerische Freiheit zu behalten, verzichten Jasmin Tabatabai und ich deshalb auf die Zusammenarbeit mit einer Plattenfirma. Stattdessen finanzieren wir seit einigen Jahren unsere CD-Projekte in Eigenregie und veröffentlichen sie auf unserem eigenen Label JADAVI (JAsminDAVId), das vom deutschen Vertrieb Galileo vertrieben wird. Das ist natürlich nur mit der Hilfe von Stiftungen, Mäzenen, Freunden, Bekannten, aber auch staatlicher Förderung möglich.
Denn wirtschaftlich kann sich das nicht rechnen, wobei Kultur sich ja leider äußerst selten rechnet. Kultur war und ist nicht selbsttragend. Kein Theater, Museum oder Opernhaus könnte ohne Subventionen und Förderer bestehen. Strawinskys „Concerto in D“ hätte ohne den Basler Mäzen Paul Sacher ebenso wenig das Licht der Welt erblickt wie Mozarts „Così fan tutte“ ohne die Gulden des Kaisers Joseph II.
Ohne uns mit den oben genannten Koryphäen vergleichen zu wollen, aber grundsätzlich geht es jemandem wie uns, deren Projekte einen hohen künstlerischen Anspruch haben, nicht anders. In einer Industrie, in der das Formatradio eine kultur- und niveaulose Schreckensherrschaft innehat und das Fernsehen hauptsächlich der kontinuierlichen Verrohung und kulturellen Verwahrlosung unserer Gesellschaft durch „DSDS“ und Konsorten Vorschub leistet, ist es sehr schwer Projekte zu finanzieren, die sich abseits des „Mainstream“ bewegen.
Doch gerade diese Projekte sind wichtig, um der Tendenz entgegenzuwirken, Musik nicht länger als Kunstform zu behandeln, sondern als Massenware, die nach fragwürdigen Kriterien einem mediengesteuerten Publikum verramscht wird. Und letztlich ist eine CD ja auch immer eine Momentaufnahme des künstlerischen Schaffens und etwas, das man als Musiker und Komponist der Nachwelt hinterlassen möchte, und zwar in der bestmöglichen Qualität, was die Kosten natürlich nicht senkt.
KK: Wenn Sie eine Autobiographie schreiben würden, wie wäre der Titel?
DK: Arschlöcher.
KK: Wie stellen sie sich die Zukunft vor?
DK: Ich lebe über meinen Verhältnissen, aber noch lange nicht standesgemäß. Vielleicht ändert sich das ja in Zukunft. Oder nochmal Karl Valentin: „Die Zukunft war früher auch besser.“