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13. DAS ERWACHEN DER JÄGERIN
14. LEERE NETZE
15. ORCA
16. DIE UNENDLICHE ERINNERUNGEN
17. JOAN BAEZ – I AM A NOISE
18. PERFECT DAYS
Donnerstag 25.01.2024
DAS ERWACHEN DER JÄGERIN
Ab 25. Januar 2024 im Kino
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Helena (Daisy Ridley) führt mit ihrem Ehemann Stephen (Garrett Hedlund) und ihrer kleinen Tochter ein beschauliches Leben in einer Vorstadt in Michigan. Hinter der gutbürgerlichen Fassade verbirgt sie jedoch ein dunkles Geheimnis: Ihr Vater (Ben Mendelsohn) ist der berüchtigte „Moorkönig“, ein verurteilter Mörder, der Helena und ihre Mutter über Jahre in der Wildnis gefangen hielt. Ihr ganzes Leben lang hat sie versucht, diese schreckliche Wahrheit hinter sich zu lassen. Doch als ihr Vater nach 18 Jahren aus dem Gefängnis ausbricht, wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt. Helena spürt, dass er sie sucht und ihrer Familie unmittelbare Gefahr droht. Um ihre Liebsten zu schützen, muss sie sich an die Lektionen ihres Vaters erinnern, die der ihr einst in der Wildnis beigebracht hat – und den Jäger so selbst zum Gejagten machen …

Ein Film von Neil Burger
Mit DAISY RIDLEY, BEN MENDELSOHN, GARRETT HEDLUND, BROOKLYNN PRINCE, CAREN PISTORIUS, GIL BIRMINGHAM u.a.

Helena ist eine geborene Jägerin, aufgewachsen in den entlegenen Moorlandschaften Michigans. Als kleines Mädchen hat sie von ihrem Vater Jacob alles gelernt, was es braucht, um in dieser rauen Wildnis zu überleben. Er lehrte sie, Spuren zu lesen, wie Tiere sich verhalten, wenn sie gejagt werden, und wie man sie erlegt. Der Stolz auf ihren Vater währte jedoch nur so lange, bis sie erfuhr, dass er ein hochkrimineller Psychopath ist, der ihre Mutter verschleppt und zu diesem einsamen Leben in einer Blockhütte abseits jeder Zivilisation gezwungen hat. Als die Frauen aus dieser Hölle ausbrechen können, landet Jacob im Gefängnis.
Zwei Jahrzehnte später ist Helena selbst Ehefrau und Mutter und ihre Vergangenheit ein gut gehütetes Geheimnis. Als sie erfährt, dass ihr Vater aus dem Gefängnis geflohen ist und sich wieder im Moor versteckt, kommen die dunklen Erinnerungen zurück. Intuitiv spürt Helena, dass Jacob sie suchen und ihre kleine Familie in Gefahr bringen wird. Um sich ein für alle Mal aus seinen Klauen zu befreien, muss sie ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen …
DAS ERWACHEN DER JÄGERIN ist die bewegende Geschichte einer Frau, die alles riskiert, um den Mann zu stellen, der ihre Vergangenheit bestimmt und ihre Zukunft bedroht: ihren Vater. Das Drehbuch basiert auf dem Thriller-Bestseller „Die Moortochter“ von Karen Dionne, den Elle Smith und Mark L. Smith (THE REVENANT) als packendes Spannungskino für die große Leinwand adaptiert haben. Das hochdramatische Vater-Tochter-Duell vereint psychologische Hochspannung mit atmosphärischer Survival-Action. Regisseur Neil Burger (OHNE LIMIT) hat dieses nervenaufreibende Katz-und-Maus-Spiel packend in Szene gesetzt.
Als opulente Naturkulisse für dieses Actiondrama diente die unberührte Wildnis der USA in der Upper Peninsula Michigans, deren gigantische Ausmaße der deutsche Kameramann Alwin H. Küchler (DIVERGENT, DER MAURETANIER) in stimmungsvollen Bildern einfängt.
Die Titelrolle spielt STAR WARS-Ikone Daisy Ridley, die sich im Angesicht der Gefahr auf ihre Survival-Lektionen aus früher Kindheit besinnt. Dazu gehört auch die Frage, wohin man fliehen würde, wenn es ums nackte Überleben geht. Um ihren Vater auf seinem eigenen Terrain zu besiegen, braucht es eiskalte Berechnung. In der Rolle des „Moorkönigs“ brilliert Ben Mendelsohn (THE DARK KNIGHT RISES, STAR WARS: ROGUE ONE, CAPTAIN MARVEL), der zuletzt als FBI-Agent in dem Thriller CATCH THE KILLER von Damian Szifron selbst noch die Spur eines gefährlichen Killers verfolgte. In DAS ERWACHEN DER JÄGERIN verkörpert Mendelsohn nun einen unberechenbaren Psychopathen, der eine junge Frau zum einsamen Leben mit ihm in der Wildnis zwingt, und der die eigene Tochter im Sinne seiner männlichen Allmachtsfantasien systematisch indoktriniert.
Vor der atemberaubend wilden Naturkulisse der amerikanischen Moorlandschaft in Szene gesetzt und getrieben von der psychologischen Spannung zwischen Vater und Tochter, bietet DAS ERWACHEN DER JÄGERIN bis zum atemlosen Finale pulsierendes Actionkino.


NEIL BURGER (Regie)

Der 1963 in Greenwich, im US-Staat Connecticut, geborene Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent, hat sich international vor allem mit den beiden Science-Fiction-Filmen DIE BESTIMMUNG - DIVERGENT (2014) und VOYAGERS (2021) einen Namen gemacht. In den deutschen Kinos lief auch das von ihm inszenierte US-Remake der französischen Komödie aus dem Jahr 2011 ZIEMLICH BESTE FREUNDE unter dem deutschen Verleihtitel MEIN BESTER & ICH.
Nach Abschluss der Yale University mit einem Doktortitel im Fach Fine Arts hat Burger zunächst für Ridley Scotts Produktionsfirma Werbespots für Marken wie Nike, MasterCard, and Coca-Cola realisiert. Sein Debüt als Filmregisseur und Drehbuchautor gab er mit INTERVIEW WITH THE ASSASSIN (2002), ein im Stile einer Doku inszeniertes Drama, das 2002 beim Woodstock Film Festival als bester Film ausgezeichnet wurde. Die Geschichte um einen Mann, der sich 40 Jahre nach der Ermordung des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy dazu bekennt, der wahre Attentäter gewesen zu sein, wurde zweimal für die begehrten Independent Spirit Awards nominiert. Beim Internationalen Avignon Film Festival in Frankreich erhielt Burger dafür den Prix Tournage.
Ebenfalls nach eigenem Drehbuch inszenierte Burger wenige Jahre später THE ILLUSIONIST– NICHTS IST, WIE ES SCHEINT, ein Genremix aus Fantasy, Thriller und romantischem Drama mit Edward Norton und Jessica Biel in den Hauptrollen (2006).
Für das Roadmovie und Kriegsheimkehrerdrama THE LUCKY ONES (2008) fungiert der Regisseur und Drehbuchautor erstmals sogar als Produzent. Die Geschichte um zwei Soldaten und eine Soldatin, die aus Vietnam heimkehren und sich quer durch die USA auf den Weg zu ihren Heimatorten begeben, erlebte 2008 bei dem Toronto Filmfestival seine Premiere.
In den Charakterrollen brillierten Oscar-Preisträger Tim Robbins, Rachel McAdams und Michael Peña. Nach dem Roman „Stoff“ von Alan Glynn inszenierte Burger das Drogendrama OHNE LIMIT (LIMITLESS) mit HANGOVER-Star Bradley Cooper und Robert De Niro in den Hauptrollen (2011).
Nach diesem Höllentrip in die Drogenabhängigkeit folgte 2014 das Science-Fiction Drama DIE BESTIMMUNG–DIVERGENT, eine dystopische Zukunftsvision mit den Topstars Kate Winslet, Shailene Woodley und Theo James. Für diese Produktion arbeitete der Regisseur erstmals mit dem deutschen Kameramann Alwin H. Küchler zusammen, der diesem Drama einen ganz eigenen visuellen Look verpasste. Burger holte ihn wieder für den Spielfilm DAS ERWACHEN DER JÄGERIN ins Team.
Nach diesem internationalen Kinoerfolg wechselte Burger zum Fernsehen und inszenierte für den US-Sender Showtime die ersten beiden Staffeln der Serie BILLIONS (2016). Der Serienstart war so erfolgreich, dass sich das Format lange auf dem internationalen Markt etablierte. Die mittlerweile 7. und letzte Staffel der Serie aus dem New Yorker Finanzdistrikt war in diesem Sommer auch in Deutschland zu sehen. 2017 übernahm Burger die Regie für das US-Remake des französischen Hits ZIEMLICH BESTE FREUNDE, das unter dem Titel MEIN BESTER & ICH auch in deutschen Kinos zu sehen war. In der US-Version THE UPSIDE (2017), die in den USA über 100 Millionen Dollar einspielte, übernahm Bryan Cranston die Rolle des querschnittgelähmten Phillip und Kevin Hart schlüpfte in die Rolle des unkonventionellen, aber stets lebensbejahenden Pflegers.
Zuletzt produzierte und inszenierte Burger nach eigenem Drehbuch den Weltraum-Thriller VOYAGERS (2021) über die lange Reise eines Raumschiffes zu einem fernen Planeten, um dort die Zukunft der Menschheit zu sichern. 30 Kinder werden als Teil einer Mission in den Weltraum geschickt, um einen neu entdeckten Planeten zu bevölkern. Als der erwachsene Kapitän der Crew unter mysteriösen Bedingungen stirbt, sind die Kinder auf sich selbst gestellt.
In den Hauptrollen Colin Farrell, Tye Sheridan und Lily Rose Depp, die Tochter von Johnny Depp und Vanessa Paradis. VOYAGERS kam 2021 in die US-Kinos und war weltweit bei Amazon Prime Video zu sehen.
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Donnerstag 18.01.2024
LEERE NETZE
Ab 18. Januar 2024 im Kino
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Amir liebt Narges und Narges liebt Amir. Sie träumen davon, ein gemeinsames Leben aufzubauen, doch als Amir seinen Job verliert, rückt eine Heirat in weite Ferne – zu hoch ist der Brautpreis, den die iranischen Traditionen von ihm verlangen. In der Hoffnung, die Klassenunterschiede mit harter Arbeit überwinden zu können, heuert Amir bei einer ländlichen Fischerei an der rauen Küste des Kaspischen Meeres an und verstrickt sich dort in kriminelle Machenschaften illegaler Kaviar-Wilderei. Zunehmend gerät Amir in einen Sog, der auch die Beziehung zu Narges gefährdet. Schließlich muss er entscheiden, ob er sich aufgibt oder einen Neuanfang wagt.

Ein Film von Behrooz Karamizade
Mit Hamid Reza Abbasi, Sadaf Asgari, Keyvan Mohamadi, Pantea Panahiha, Mehrdad Bakhshi, Ali Bagheri, Behzad Dorani, uvm.

Mit seinem visuell beeindruckenden Debütfilm LEERE NETZE entfaltet Regisseur Behrooz Karamizade eine poetische Liebesgeschichte und zeichnet zugleich ein eindringliches Porträt der jungen Generation im Iran: Er erzählt von ihrer Hoffnung nach einer freieren Zukunft und beleuchtet die lebensgefährlichen Fluchtbewegungen im Iran der Gegenwart.

Ein kraftvolles Drama über zementierte Ungleichheiten und ein hochaktueller Film aus dem Iran, der in einer unruhigen und brisanten Zeit entstanden ist. LEERE NETZE gewährt uns so einen tiefen Einblick in die heutige iranische Gesellschaft.

Nach erfolgreichen Premieren auf den diesjährigen Filmfestivals von München (Förderpreis Neues Deutsches Kino) und Karlovy Vary (Special Jury Prize) wurde der deutsch-iranische Filmemacher Behrooz Karamizade im Rahmen des Hessischen Filmpreises mit dem Newcomerpreis ausgezeichnet. Kürzlich überzeugte LEERE NETZE als Bester Spielfilm auch die Jury des diesjährigen Adelaide Film Festivals. Auf dem Fünf Seen Festival 2023 wurde das berührende Drama bereits mit dem Horizonte Filmpreis ausgezeichnet, die FBW vergab das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.

Bereits 2021 wurde das Drehbuch von Behrooz Karamizade mit dem Deutschen Drehbuchpreis 2021 für das beste unverfilmte Drehbuch, die wichtigste Auszeichnung für Drehbuchautor:innen in Deutschland, geehrt.

Produziert wurde LEERE NETZE von BASIS BERLIN Filmproduktion in Koproduktion mit Living Pictures Production, Rainy Pictures und ZDF/Das kleine Fernsehspiel in Zusammenarbeit mit ARTE, gefördert durch die BKM, Hessen Film & Medien, Kuratorium Junger Deutscher Film und Dfff.



INHALT

Meeresrauschen, ein junger Mann schwimmt allein im rauen Wasser, sein Blick zum Horizont gerichtet. Liebevoll beobachtet Narges ihren Freund Amir von einem Felsen an der menschenleeren iranischen Küste. Ein unbeschwerter Moment, ihr Kopftuch ist locker um das kurze Haar gewickelt, sie lachen sich an. Als Amir einen Moment zu lange taucht, verursacht er ein unwohles Gefühl bei seiner am Ufer wartenden Freundin.
Mit dieser sinnbildlichen Szene für eine ungewisse Zukunft beginnt Behrooz Karamizade seinen Debütfilm LEERE NETZE, der eine Geschichte aus dem Iran der Gegenwart erzählt: Amir (Hamid Reza Abbasi) und Narges (Sadaf Asgari) bewegen sich zwischen zarter Verliebtheit und vorsichtigem Versteckspiel: Nur im Verborgenen sind Treffen für das unverheiratete Paar möglich, um für keinerlei Provokation zu sorgen in einem restriktiven politischen System, in dem bereits eine voreheliche Berührung in der Öffentlichkeit ein Regelverstoß gegen die konservativ-islamische Moral bedeutet. Der Heimlichtuerei überdrüssig und im wachsenden Drang, das Warten auf die freiere Zukunft zu beenden, hofft Narges auf eine baldige Heirat. Um bei der Familie um ihre Hand anhalten zu können, sieht die Tradition die Zahlung eines Brautgeldes vor – zu hoch für Amir, der mit seiner Mutter in bescheidenen Verhältnissen lebt. Das Spannungsfeld verdichtet sich, als Amir seinen Job als Kellner verliert und ein wohlhabender Nebenbuhler aus Teheran Narges Familie zu umwerben scheint. So heuert Amir bei einer Fischerei am Kaspischen Meer an - kühl und rau ist die stürmische Küste dort im ländlichen Irgendwo, über der ein bedrückender Nebel hängt. Und auch der gleichaltrige Omid, mit dem Amir sich eine karge Unterkunft teilt, wirkt verloren in der Gruppe älterer Fischer, die eine strikte Rangordnung vorgeben. Es ist eine schroffe Umgebung mit harter Arbeit und wenig Lohn, in der Amir durch kaltes Wasser watet, um verhedderte Netze von mitgefangenem Plastikabfall zu befreien und kiloweise Fisch durch schummrige Lagerhallen zu hieven, die nicht die einzige Einnahmequelle der harschen Männergruppe zu sein scheinen: In der Dunkelheit blüht ein Nebengeschäft mit illegalem Kaviar. Auch Amir steigt ein in die nächtliche Wilderei und bewegt sich zunehmend auf unsicherem Grund und in inneren Konflikten. Stück für Stück offenbaren sich die brutalen Winkelzüge eines komplexen Macht- und Herrschaftsgefüges, immer enger und beklemmender wird die Parallelwelt, die auch Amirs Beziehung zu Narges ins Straucheln geraten lässt.


Regie-Kommentar

In LEERE NETZE beschäftige ich mich mit der jungen Generation im Iran. Einem Teil der Gesellschaft, die mit großen Problemen und mit einer schier unüberwindlichen Perspektivlosigkeit konfrontiert ist. Durch die aktuellen Proteste sind die jungen Menschen zwar mehr in den internationalen Fokus gerückt, doch ihre Probleme bleiben strukturell bedingt und sehr vielschichtig: Immense Arbeitslosigkeit, die mit der desaströsen wirtschaftlichen Entwicklung einhergeht. Eine immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich. Und Restriktionen, die durch religiöse Vorgaben gerechtfertigt werden und gerade Frauen und auch Liebespaare wie AMIR und NARGES in die Illegalität treiben.

In ihrer ausweglosen wirtschaftlichen Situation bleibt ihnen oft nur die Wahl die Flucht aus ihrem Land zu wagen oder ihr Geld auf illegalen Wegen zu verdienen. Wie entwickeln sich diese jungen Menschen, die in einem ungerechten System leben, in dem sie stets ums Überleben und für ihre Rechte kämpfen müssen? Wie treffen sie ihre Entscheidungen für die Zukunft? Und welche Abgründe verbergen sich in ihrer Ausweglosigkeit?

Anhand von AMIR, NARGES und OMID möchte ich einen Einblick in die Lebenswirklichkeiten junger Erwachsener im Iran geben, die nach Sehnsucht und Glück und einem freien Leben ohne Angst streben. All das sind Triebfedern, die auch heute die junge Generation Irans protestierend auf die Straßen treiben. Sie können in ihrer Gesellschaft nicht mehr atmen.

Die Hauptfigur AMIR ist ein junger Mann, der noch voller Naivität und Liebe steckt. Trotz seiner ärmlichen Herkunft will er für seine große Liebe NARGES kämpfen, die aus einer privilegierten Familie stammt. Um dieses Ziel zu erreichen, beginnt er in einer Fischerei zu arbeiten. Doch schnell merkt er dort, dass er allein mit Werten wie Ehrlichkeit, Solidarität und Fleiß nicht weit kommt. Er wird zunehmend von der männerdominierten Gesellschaft geprägt, deren Werte durch das Recht des Stärkeren geprägt sind.

Die Fischerei als Ort ist eine Parabel für eine Welt, in dem die Schwachen unterdrückt werden - ein ungerechtes und ausbeuterisches Parallelsystem. Rahim und seine Gefolgsleute, die kriminellen Wilderer, jagen rücksichtslos den vom Aussterben bedrohten Stör, handeln mit dem kostbaren Kaviar und setzen sich dabei über alle ethisch-moralischen Werte hinweg.
AMIR, der sich aus seiner Not den Wilderern angeschlossen hat, wird zum Schluss selbst Teil dieser Kriminellen. Zum Handlanger des Parallelsystems geworden verliert er auch seine Liebe NARGES, die in ihm nicht mehr den Menschen sieht, den sie einst liebte.

NARGES steht stellvertretend für eine neue Schicht junger, moderner und selbstbewusster iranischer Frauen. Dennoch ist sie gefangen in einem Korsett, das aus Familie und gesellschaftlichen Normen besteht.

Doch trotz dieses Spannungsfelds entscheidet sie sich bewusst für AMIR und steht hinter ihm. Erst als sie ihn bei seinen kriminellen Tätigkeiten ertappt, verlässt sie ihn.

OMID ist ein junger intellektueller Blogger und ein Freiheitskämpfer, der allerdings in einer Sackgasse angekommen ist. Durch seine politischen Schriften und Aktivitäten ist er in den Fokus geraten und muss nun das Land verlassen. Sein aussichtsloser Kampf hat ihn desillusioniert und verbittert. Die einzige Möglichkeit, die ihm bleibt, ist die Flucht aus seinem Heimatland. Eine Flucht, die er mit seinem Leben bezahlen wird. OMID steht stellvertretend für eine große Zahl an jungen Menschen, die gezwungen sind, ihr Land zu verlassen.

Um LEERE NETZE so authentisch und realitätsnah wie möglich umzusetzen, war es mir wichtig, den Film ausschließlich im Iran zu drehen und dabei nur auf iranische Teammitglieder und Schauspieler:innen zurückzugreifen. Hierzu zählen namhafte Mitglieder, wie Ashkan Ashkani, dem langjährigen Kameramann von Mohammad Rasoulof, und iranische Schauspielerinnen, wie Pantea Panahi (Hauptdarstellerin von HIT THE ROAD, ausgezeichnet in Cannes).

Auch wenn LEERE NETZE Armut, Umweltverschmutzung, Kriminalität und Perspektivlosigkeit in den Fokus nimmt, so wollte ich immer auch einen Blick auf eine liebevolle, feinfühlige Gesellschaft, auf eine junge, starke Liebe und eine lebhafte iranische Kultur freigeben. Denn auch ich trage diese in mir. Sie wird an die Kinder und Jugendlichen des Landes weitergegeben, die sich jedoch in einem engen politischen Korsett befinden. Sie sind Fische ohne Wasser. Mutig tragen und schreien sie Ihre Bedürfnisse und Hoffnungen heute durch die Straßen und in die Welt hinaus. Für ein Leben in Freiheit und ohne Angst riskieren sie alles.
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Donnerstag 11.01.2024
ORCA
Ab 11. Januar 2024 im Kino
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Elham, eine junge geschiedene iranische Frau, sucht nach sich selbst, nachdem sie von ihrem Ehemann fast zu Tode geprügelt wurde. Sie findet Trost und Erlösung im Schwimmen und macht sich bald - ermutigt von ihrem Vater, einen Namen als herausragende Langstreckenschwimmerin. Im Kampf um ihr Ziel zu erreichen: den Guinness-Rekord für das Erreichen der längsten Schwimmstrecke mit gefesselten Händen, muss sie politische, religiöse und persönliche Hindernisse überwinden. Denn die unnachgiebige Leiterin der Frauen-Leichtathletik im Iran, hält es für unmöglich, dass Frauen bei Wettkämpfen schwimmen und sich gleichzeitig so verhalten und kleiden, wie es der Islam verlangt. Aber schließlich findet sie einen Trainer, der bereit ist, ihr trotz der möglichen Folgen zu helfen.

Dieses Politikdrama von Regisseurin Sahar Mosayebi basiert auf einer wahren Geschichte und erzählt auf beeindruckende Weise von Elham (Taraneh Alidoosti )einer jungen iranischen Frau, die beschließt, den Guinness-Rekord für das Langstreckenschwimmen mit gefesselten Händen zu brechen. Im Meer findet Elham Frieden und versucht, ihren Ex-Mann zu vergessen, der sie fast zu Tode geprügelt hat. Doch ihr Vorhaben erweist sich als schwieriger als erwartet, nachdem ihr politische und religiöse Hindernisse in den Weg gelegt werden.

Das iranische Filmdrama folgt einer Frau, die einen entsetzlichen Angriff ihres geschiedenen Mannes überlebt und als Ausdauerschwimmerin Trost findet. Sie überwindet alle politischen und religiösen Hürden, um mit gefesselten Händen so weit zu schwimmen, wie es noch niemand getan hat.

Ein Film von Sahar Mosayebi
Mit Taraneh Alidoosti, Mahtab Keramati, Ayoub Afshar, Arash Aghabeik, u.a.




Sahar Mosayebi

Sahar Mosayebi (geboren 1975 in Teheran) begann in den frühen achtziger Jahren im Filmbusiness zu arbeiten - zuerst als Regieassistentin. Der Film Orca ist die Fortsetzung ihres Dokumentarfilms Platform (2020), der die Geschichte dreier iranischer Schwestern erzählt, die sich in der Welt des internationalen Kampfsports messen.
Bei den Filmen „Men at Work“ aus dem Jahr 2006 und „The Old Road“ (2018) arbeitete sie noch als Regieassistentin.

"Alle Vorfälle in dem Film sind wahr, sie sind real und Elham hat das alles durchgemacht. Mit diesem Film stellen wir Fakten dar und kritisieren oder verurteilen niemanden", sagte Mosayyebi auf einer Pressekonferenz bei der Ajyal-Veranstaltung.

Sie merkte auch an, dass "Orcas wie Menschen sind; sie sind sehr familienorientiert und nah beieinander, gefühlvoll und empfindsam. Daher war es naheliegend, den Film nach ihnen zu benennen."

„ Beharrlichkeit steht im Mittelpunkt des bewegenden Dramas Orca von Sahar Mosayebi, das auf der wahren Geschichte von Elham Asghari basiert. Die iranische Freiwasserschwimmerin trotzte den rechtlichen und kulturellen Beschränkungen, die Frauen im Iran auferlegt werden, und stellte Weltrekorde auf. Damit hat sie dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit auf die Herausforderungen zu lenken, mit denen die iranischen Sportlerinnen konfrontiert sind, die sich danach sehnen, in allen Sportarten antreten zu können, nicht nur in den offiziell sanktionierten…“

Wie jeder typische Sportfilm ist auch Orca eine spannende Geschichte über einen Athleten, der nach Höchstleistungen strebt. Aber die Reise von Elham Asghari (Taraneh Alidoosti) als Ausdauerschwimmerin im Iran hat nichts Typisches an sich. Als Überlebende häuslicher Gewalt findet sie im Wasser zu sich selbst zurück - wie ihr Vater bemerkt, schwamm sie schon im Alter von zwei Jahren, ohne dass ihr jemand Unterricht gab.

Sie verfügt über die nötige Kraft, um in starken Strömungen und über lange Strecken zu schwimmen. Doch als sie den iranischen Sportverband um seinen Segen bittet, verweigert man ihr diesen. (Immerhin handelt es sich hier um eine Regierungsbehörde, die Frauen nicht erlaubt, Kickboxen oder Muay Thai zu betreiben, weil dies ihre Fortpflanzungsorgane schädigen könnte - wie bitte?)

Sie widersetzt sich der Weigerung der Behörde und setzt sich zum Ziel, einen Guinness-Weltrekord aufzustellen, indem sie das Kaspische Meer in Handschellen durchschwimmt. Selbst dann stößt sie auf eine Reihe von Hindernissen: die Föderation, die fehlende Zusammenarbeit der Regierung mit Guinness oder die fehlende Anerkennung durch die Regierung und zufällige Gruppen sehr wütender Männer, die bereit sind, Gewalt anzuwenden, um Elham dafür zu bestrafen, dass sie aus der traditionellen Rolle einer Frau herausgetreten ist. Jeder Vorschlag, den sie macht, einschließlich ihrer Bereitschaft, in einem vollen Tschador zu schwimmen, der sie im Wasser beschwert, stößt auf Ablehnung.

Aber nachdem sie sich entschlossen hat, braucht es mehr als eine autoritäre Regierung und toxische Männer, um sie aufzuhalten, denn sie nimmt sich ein Beispiel an dem titelgebenden Meeressäuger, der in diesem spritzigen, auf Fakten basierenden Drama frei schwimmt…“
(Pam Grady/AWFJ -Alliance of Women Film Journalists)

“.. Regisseurin Sahar Mosayebi ("Platform") gibt dieser Geschichte, deren Drehbuch von Tala Motazedi stammt, ein stattliches Tempo, das Raum für Elhams Unterwasserträume lässt. Das Drehbuch gibt uns anschauliche Gegenspieler - die Revolutionsgarden versuchen, Elham zu ertränken, als sie weit vor der Küste schwimmt - sie unternimmt ihre Versuche im Kaspischen Meer und im Persischen Golf - und hartnäckige, mutige Verbündete.
Wir sehen Elham zwar nicht als fromme, religiöse Frau, aber der Film liefert überwältigende Beweise dafür, dass sie immer vernünftig war, nach Erlaubnis suchte, Kompromisse und Lösungen anbot, höflich war, bis sie schließlich genug hatte.

Die Figur und Alidoostis bewegende Darstellung machen Elham zu einer Metapher für den Kampf jeder Frau in einem Land, das darauf versessen ist, Frauen zu kontrollieren und zu unterdrücken, wo selbst ein Moment des Triumphs von einer anderen Frau verweigert werden kann, die die Kontrolle über Elham nutzt, um die Macht des fanatischen, allmächtigen Staates auszudrücken.
"Orca" mag eine Variation des klassischen Sportdramas "Erfolg gegen alle Widrigkeiten" sein. Aber Alidoosti, Keramati, Mosayebi und Motazedi lassen keinen Zweifel daran, was hier auf dem Spiel steht, um zu "gewinnen". Sie sollten ihr "Verbot im Iran"-Abzeichen mit Stolz tragen…..” (Liz Whittemore/ AWFJ -Alliance of Women Film Journalists)
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Donnerstag 04.01.2024
DIE UNENDLICHE ERINNERUNGEN
Seit 28. Dezember 2023 im Kino
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Sie sind seit mehr als 20 Jahren ein sich innig liebendes Paar: Augusto Góngora, chilenischer Journalist und prominenter Chronist der Verbrechen des Pinochet-Regimes, und Paulina Urrutia, renommierte Schauspielerin und Politikerin, Kulturministerin in der ersten Regierung von Michelle Bachelet. Vor acht Jahren wurde bei Augusto Alzheimer diagnostiziert, nun müssen beide mit dem unaufhaltsamen Niedergang seiner körperlichen und geistigen Kräfte umgehen. Die Geschichte von Augustos leidenschaftlichem Kampf, seine Identität zu bewahren, und Paulinas warmherziger und hartnäckiger Hingabe ist ein zutiefst berührendes Zeugnis ihrer Liebe – herzzerreißend, inspirierend und ermutigend.

Ein Film von MAITE ALBERDI

Der neue Film der Oscar-nominierten Regisseurin Maite Alberdi, ausgezeichnet u.a. mit dem Grand Jury Prize in Sundance, ist das warmherzige und respektvolle Porträt zweier charismatischer, unbeugsamer Menschen und ihrer Liebe in schwierigen Umständen. Meisterhaft montiert aus dem von Alberdi und – während der durch die Pandemie erzwungenen Isolation – von Paulina Urrutia selbst gedrehtem Material, aus den vielen Zeugnissen des Schaffens und Wirkens von Augusto Góngora und Paulina Urrutia und aus privaten Videos, erzählt Die unendliche Erinnerung von einem lebenslangen Kampf für die Menschlichkeit, gegen die Verbrechen der Diktatur, gegen die Straflosigkeit, gegen das Vergessen.
In der Verschränkung von Augustos mit seinem ausdrücklichen Einverständnis filmisch porträtierten Kampfs gegen die Alzheimer-Erkrankung mit den politischen Dimensionen der Gedächtnisses, macht der Film die komplexen Mechanismen individuellen und kollektiven Erinnerns zum Thema: An was und an wen erinnern wir uns? Warum vergessen oder verdrängen wir bestimmte Erinnerungen? Wie wirkt sich das aus, auf den einzelnen Menschen ebenso wie auf ein ganzes Land?
„Erinnerung ist Identität“, sagt Augusto Góngora einmal im Film. Und auf wunderbare Weise erzählt Die unendliche Erinnerung von dem, was zur Essenz von Erinnerung und Identität gehört, der Liebe. Die unendliche Erinnerung, produziert von Alberdis Micromundi und Fabula von Pablo und Juan de Dios Larraín, wurde in Chile zum erfolgreichsten Dokumentarfilm aller Zeiten und verdrängte in der Startwoche Barbie von Platz 1 der Kinocharts.


INTERVIEW MAITE ALBERDI

Wie sind Sie Augusto und Paulina und ihrer Geschichte begegnet?
Sie sind beide bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Chile, seit langer Zeit. Eines Tages war ich für einen Vortrag an der Universität eingeladen, an der Paulina Direktorin der Theaterfakultät war. Während sie die Präsentation machte, bemerkte ich Augusto im Saal. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits an Alzheimer erkrankt, und ich erlebte, wie sie das in ihre Arbeit und ihr Leben integrierte, er saß nicht nur zu Hause herum. Er begleitete sie bei ihrer Arbeit, sie ließ ihn teilhaben, sogar unterbrechen, es war ihr nicht peinlich. Sie freute sich, dass er mit dabei war. Ich hatte das zuvor noch nie erlebt, dass jemand mit einer Demenzerkrankung so in das Leben seiner Bezugsperson integriert war. Sie schien wirklich Freude daran zu haben, dass er da war.

Wie haben sich die Dreharbeiten entwickelt, auch während der Beschränkungen der Pandemie? Wie sind gerade die intimeren Momente zwischen Ihnen entstanden?
Das war der erste Film, den ich gedreht habe, bei dem mich jeder Moment berührt hat. Augusto und Pauli so lange mit der Kamera zu begleiten, war ein großes Glück für mich. Wir waren ein kleines Team aus drei Leuten, ich, der Kameramann und der Tonmann, die mit Augusto schon bei seinen Fernsehsendungen zusammengearbeitet hatten und sich schon seit Jahren kannten. Das war eine bewusste Entscheidung, wir mussten ein kleines Team sein, um ihre Privatsphäre zu respektieren und nicht aufdringlich zu sein.
In der Zeit, in der wir sie begleiteten, filmte Paulina manchmal auch selbst mir ihrer eigenen Kamera. Dabei hat sie sehr intime Momente festgehalten, zu denen ich niemals Zugang gehabt hätte, wie zum Beispiel ihre Auseinandersetzungen in der Nacht. Auch als wir wegen Covid nicht dort sein konnten, hat sie selbst gefilmt und uns das Material zur Verfügung gestellt.
Die große chilenische Dichterin Gabriela Mistral hat einmal gesagt: „Nur das, worauf wir achten, um seine Einzigartigkeit zu erkennen, ist das, was uns verpflichtet und dazu bringt zu reagieren.“
Wenn Paulina die Kamera nimmt, lädt sie uns ein, aufmerksam zu sein und uns die Zeit zu lassen, an ihrem Leben teilzuhaben – wir können nur das lieben, dem wir unsere Aufmerksamkeit schenken. Weil auch Augusto in der Vergangenheit immer sein Familienleben gefilmt hat, kreuzen und vermischen sich die Materialien und lassen uns zu Zeugen von 25 Jahren bedingungsloser Liebe werden. Wir hatten das große Glück, sie nicht nur filmen zu dürfen, sondern auch Zugriff auf das über viele Jahre hinweg entstandene Filmmaterial zu haben, das sie voneinander gedreht hatten.

Der Film zeigt Augusto in einigen Situationen, in denen er sich nicht bewusst zu sein scheint, was um ihn herum geschieht. Wie verlief der Prozess zur Einholung der Zustimmung zum Drehen? Was war tabu?
Augusto war es, der Paulina letztlich davon überzeugt hat, diesen Film zu machen. Als ich mit den beiden über die Idee eines Dokumentarfilms sprach, hatte sie Zweifel, aber er sagte uns: „Ich habe kein Problem damit, meine Zerbrechlichkeit zu zeigen. Ich habe selbst so viele Dokumentarfilme gemacht, warum sollte ich in dieser Situation nicht gefilmt werden wollen?“ Er war sich der Anwesenheit der Kamera immer bewusst, und es war ihre gemeinsame Entscheidung, weiter zu filmen, als wir das aufgrund von Covid nicht mehr konnten.
Es waren Paulina, Augustos Kinder und Augusto selbst, die beschlossen, diese Aufnahmen zu machen, und sie sind alle sehr glücklich und stolz auf den Film, so wie er geworden ist. Er ist fast wie ein lebendiges, atmendes Fotoalbum von Augusto.

Ähnlich wie in Ihrem vorherigen Film El agente topo geht es auch in Die unendliche Erinnerung um das Altwerden. Was interessiert Sie an diesem Thema?
Ich denke, dass es mich interessiert, die Veränderung eines Körpers und des Alterns, die Endlichkeit und den Tod als etwas Normales zu akzeptieren und die Schönheit in der Zerbrechlichkeit zu entdecken. Es ist der Lauf der Zeit. Niemand hat uns beigebracht, alt zu werden und zu sterben, und es interessiert mich, das zu beobachten und als etwas Normales zu betrachten. Vielleicht kann es Menschen, die mit dieser Angst zu kämpfen haben, Trost bringen.
Aber Die unendliche Erinnerung ist vor allem eine Liebesgeschichte, es geht darum, wie Liebe in einer Situation der Zerbrechlichkeit gelebt wird, wie es ist, ein Paar zu sein, wenn es keine komplette Erinnerung mehr gibt. Es hat mir große Freude gemacht, diese Geschichte zu filmen, weil ich das nicht aus dem Gedanken heraus erlebt habe, jemanden zu verlieren oder dass jemand das Gedächtnis verliert. Ich habe es genossen, bei den beiden zu sein, ich habe bewundert, was sie gemeinsam hatten, eine Beziehung, die ich selbst so noch nicht erlebt hatte, auch nicht in meinem Umfeld. Eine Liebe, bei der das Entscheidende nicht ist, was sie waren, sondern das, was sie heute sind, dass sie einander haben.

Was war die größte Herausforderung für Sie?
Das Komplizierteste war, glaube ich, die Ungewissheit. Nicht zu wissen, bis zu welchem Punkt und wie lange wir drehen würden, ob wir weitermachen würden, was wir während der Pandemie tun sollten... Es war ein Film, bei dem ich mir beim Drehen nicht sicher war, wann wir aufhören würden, wie er enden würde oder wie wir ihn beenden könnten. Das Schwierigste war die Montage: Zu verstehen, wie man dieses Puzzle zusammensetzt, wie in der Montage auch unser Verständnis von Erinnerung zum Ausdruck kommt, wie viel wir von ihrer Vergangenheit zeigen, wie wir ihre Identität als Einzelmenschen und als Paar bauen, in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, wie eine „unendliche Erinnerung“ dargestellt werden sollte. Dieses Erinnerungspuzzle, bei dem sich die Teile überschneiden, in Verbindung zueinander stehen und einen von einer Seite zur anderen bewegen, ohne konventionelle Erzählung, sondern eher sinnlich und emotional – das war am schwierigsten zu realisieren.

Augusto spricht im Film über die Bedeutung der Erinnerung für die Aufarbeitung der Pinochet-Ära in Chile. Formt die Erinnerung an diese Ära die chilenische Gesellschaft weiter?
In diesem Jahr jährt sich der Pinochet-Putsch in Chile zum 50. Mal. Die Geschichte vergisst historische Fakten nicht, und wir leben heute in einer Gesellschaft, für die das Gedenken, das Erinnern wichtig ist, damit sich das nicht wiederholt. Die Frage ist, was mit der psychischen Wahrheit geschieht, in der Auseinandersetzung mit der historischen Wahrheit. Augusto hat Alzheimer, aber es gibt bestimmte Ereignisse in der Geschichte seines Landes, schmerzhafte Ereignisse, die er nie vergisst, die sein Körper nie vergisst. Der Schmerz bleibt bestehen, und oft ist es schwer, mit diesem Schmerz weiterzuleben. Man lernt, mit dem Schmerz im Körper zu leben, und von dort aus erinnert man sich. Wie Nietzsche sagte: „Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört, weh zu tun, bleibt im Gedächtnis.“ Es kann nicht aufhören, weh zu tun, also können wir weiter erinnern. Was mit Augusto geschieht, denke ich, ist bestimmend dafür, wie Geschichte mit der Psyche einhergeht, so wie er es selbst im Film sagt: „Es ist sehr wichtig, die Erinnerung zu rekonstruieren, nicht um in der Vergangenheit verankert zu bleiben, sondern weil wir denken, dass die Rekonstruktion der Erinnerung immer ein Akt mit einem Sinn für die Zukunft ist. Es ist immer ein Versuch, sich selbst zu sehen, die Probleme zu erkennen, unsere Schwächen zu kennen, um sie zu überwinden und offen in die Zukunft blicken zu können. Es erscheint uns wichtig festzustellen, dass die Wiederherstellung der Erinnerung als rein rationaler Akt nicht ausreichend ist. Zahlen oder Statistiken allein reichen nicht aus, ich glaube, dass wir Chilenen auch unser emotionales Gedächtnis wiederherstellen müssen, gerade weil diese Jahre so hart, so traumatisch, so schmerzvoll waren. Wir müssen auch unsere Emotionen wiederfinden, den Schmerz annehmen, unsere Kämpfe ausfechten.“

Sie zeigen altes Videomaterial von Augusto, in denen er die Erinnerung als mächtige Waffe gegen den Autoritarismus bezeichnet. Wie kann sie das heute sein, eine mächtige Waffe?
Das Konzept der Erinnerung ist komplex. Ich denke, dieser Film zeigt, was bleibt, wenn alles vergessen ist. Die Identität von jemandem, der nie verschwunden ist, der bis zum Schluss einen eigenen, charakteristischen Ton hat, der niemals bestimmte schmerzhafte historische Ereignisse
vergisst. Jemand, der liebt, auch wenn er sich nicht mehr zu erinnern scheint. Der Körper erinnert sich. Es ist ein Film über die Erinnerung, der von dem ausgeht, woran man sich erinnert, nicht von dem, was man vergisst. Es ist ein Film über das, was bleibt.
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Donnerstag 28.12.2023
JOAN BAEZ – I AM A NOISE
Ab 28. Dezember 2023 im Kino
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Seit mehr als 60 Jahren ist Joan Baez eine der bekanntesten Stimmen der populären Kultur, hat mit ihren Liedern, aber auch ihrer aufrechten, kämpferischen Haltung Generationen von maßgeblichen Künstlern sowie Menschen auf der ganzen Welt beeinflusst. Nun blickt die wichgste amerikanische Folksängerin zurück auf ihre Karriere und ihr Leben: von ihren lebenslangen emotionalen Problemen, über ihr Engagement in der Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King, bis hin zu der schmerzlichen Beziehung mit dem jungen Bob Dylan. In offenen, ungeschminkt ehrlichen Gesprächen, die ungeahnte persönliche Kämpfe und innere Dämonen zu Tage fördern, gewährt sie einen tiefen Blick in ihre Seele. Das Ergebnis ist ein filmisches Dokument von mitreißender Power, das einer außergewöhnlichen Frau ein würdiges Denkmal setzt.

Ein Film von aren O’Connor, Miri Navasky & Maeve O’Boyle

„Jeder hat drei Leben.
Das öffentliche, das private und das geheime…“
Gabriel García Márquez

JOAN BAEZ I Am A Noise ist weder konventionelles Biopic noch traditioneller Konzertilm.
Mehrere Jahre folgten die Regisseurinnen Karen O’Connor, Miri Navasky und Maeve O’Boyle der ikonischen Künstlerin. Im Laufe des Films zieht Baez schonungslos Bilanz und enthüllt auf bemerkenswert in?me Weise ihr Leben auf und abseits der Bühne. So entstand eine immersive
Dokumentation, die fließend durch die Zeit gleitet, die legendäre Musikerin auf ihrer letzten Tour begleitet und auf bis heute nie gesehene Archivaufnahmen zurückgreift: Aus Home-Movies, Tagebucheinträgen, Kunst, Therapie-Bändern und anderen Audio-Aufnahmen formt sich das Bild einer einzigartigen Frau, die nur mit einer Gitarre bewaffnet und ihrer unverwechselbaren, glasklaren Stimme, Musik- und Weltgeschichte geschrieben hat. Ihre umjubelte Deutschlandpremiere feierte JOAN BAEZ I Am A Noise in Anwesenheit des Weltstars auf der diesjährigen BERLINALE.



REGIE-STATEMENT

Seit mehr als 20 Jahren mache ich zusammen mit meinen Mit-Regisseurinnen Miri Navasky und Maeve O’Boyle Dokumentarfilme, die sich mit komplexen gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen: von Transgender-Kids und psychisch kranken Gefängnisinsassen zu Erderwärmung und Abtreibungsrechten. Mit JOAN BAEZ I Am A Noise haben wir uns erstmals an eine Filmbiografie gewagt. Das Vorhaben erwies sich als respekteinflößende, aber aufregende filmemacherische Herausforderung, zumal es um eine lebende Legende geht.
Dokumentationen über berühmte Menschen sind von Natur aus knifflig. Vieles über sie ist weithin bekannt, und was erzählt wird, ist in der Regel sorgfältig kuratiert und kontrolliert. Aber Joan Baez, mit der ich seit 1989 gut befreundet bin, war bereit wie nie zuvor, einen ungeschminkten Blick auf ihr eigenes Leben zu werfen. Sie war nicht interessiert an einer Hagiografie oder verklärter Nostalgie. Obwohl Joan immer bewusst war, dass sie keine Kontrolle über den Film haben würde, gab es keinen Moment, an dem sie etwas zurückgehalten oder vielleicht gezögert hätte, noch öfter nach den härteren, dunkleren Wahrheiten ihres Lebens zu graben. Was uns die seltene Gelegenheit gab, einen Film über Joan Baez zu machen, der so ehrlich, kompliziert, pfiffig und vielschichtig ist wie sie selbst.
Mit 18 war sie bereits eine Berühmtheit, mit 21 auf dem Titel des Time Magazine, bekannt als „Queen of Folk“. Joan Baez war viel größer, als es irgendein Folksänger vor ihr jemals gewesen war. Sie war ein Phänomen. Die Sängerin mit einem Sopran wie aus einer anderen Welt, die
ätherische Schönheit: Niemand hatte jemals jemanden gesehen oder gehört wie sie. Die Männer lagen ihr zu Füßen, die Frauen wollten sein wie sie. Sie wurde zur Ikone einer neuen Generation von Musiker:innen, von Bob Dylan und Leonard Cohen hin zu Joni Mitchell und Pati Smith. Ihre politische Leidenschaft trug indes in ebenso großem Maße wie ihr erstaunliches Talent dazu bei, dass sie zur Legende wurde. Lange bevor „celebrity activism“ als cool erachtet wurde, setzte Joan ihren Einfluss und ihr bedingungsloses Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit ein, um Leid zu lindern und Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Für Baez war das Persönliche immer politisch.
Der Umriss von Baez‘ gewaltig großem, geschichtsträchtigem Leben ist bestens bekannt und dokumentiert. Wir aber wollten mit diesem Film Joans Vergangenheit zum Leben erwecken. Nicht mit Gimmicks oder „talking heads“, sondern mit einer Fülle von originalem Ausgangsmaterial von Joan selbst und ihrer Familie, auf das wir zugreifen konnten: neu entdeckte Home-Movies, Joans unglaubliche Kunstwerke und Zeichnungen, Tagebücher und Briefe, Fotos, Bandaufnahmen ihrer Therapiesitzungen und ein Goldschatz von auf Kassette eingesprochenen Briefen, die Baez von unterwegs an ihre Familie geschickt hatte – all diese Quellen fangen in Realzeit ein, was sie damals empfunden hat, anstatt eine Erinnerung aus weitem Abstand zu sein. Zu jedem Moment wollten wir, dass der Film eine immersive und unmittelbare Erfahrung ist, mehr eine Zeitreise als eine Biografie.
Weil Joan und ich uns gut kannten, war unser Team in der Lage, sie hautnah zu begleiten und direkt mit dabei zu sein, auf ihrer Tour, bei ihr Zuhause. So gelang uns ein intensiver, intimer Film voller unerwarteter Einblicke, herzzerreißender Momente und viel Humor. Ein biografischer Strang fängt Joans frühe Jahre und ihren meteorhaften Aufstieg ein; ein dunklerer psychologischer Strang befasst sich mit ihren inneren „Dämonen“, und ein aktueller Strang folgt Joan am Ende einer musikalischen Karriere, die mehr als 60 Jahre umfasst. Obwohl wir wussten, dass Baez’ Abschiedstournee der Geschichte aus der Gegenwart einen adäquaten Rahmen geben würde, wollten wir niemals einen Konzertfilm machen.
Um die Geschichte von Joan so unmittelbar und direkt wie möglich erzählen zu können, grenzten wir die Anzahl an Interviews ganz bewusst ein. Viele berühmte Menschen waren bereit, über Joans Einfluss zu sprechen. Wir aber wollten kein Biopic machen mit Berühmtheiten, die über andere Berühmtheiten reden. Also inkludierten wir nur die Menschen aus Joans innerem Kreis, deren Erinnerungen und Einblicke sich so intim und authentisch anfühlen würden wie der Rest des Films. Auch arbeiteten wir eng mit unseren Kameraleuten zusammen, um einen informellen visuellen Stil zu entwickeln, sehr „verité“, der für die aktuellen Aufnahmen ebenso funktionieren würde wie für die Archivstränge. Bei all unseren Interviews kam stets nur natürliches Licht zum Einsatz. Die Konzert- und Tour-Sequenzen wurden alle behind-the-scenes gedreht, um dem „Look and Feel“ des restlichen Films zu entsprechen. Alle kreativen Elemente in diesem Film – Bild und Ton, Grafiken und Animation, Musik und Score – tragen in der Summe dazu bei, Baez’ beachtliche Geschichte noch präziser zu zeichnen und zu vertiefen.
Joans Bereitschaft, sich auch an die unbequemen und schmerzhaften Stellen ihres Lebens zu begeben, verleiht dem Film seine Kraft, seine Wucht. Und weil sie es so bereitwillig tut, öffnet Joan eine Tür für andere, den Mut aufzubringen, es ihr gleichzutun. Andere wiederum finden sich vielleicht wieder in den Ideen, die in unserem Film angesprochen werden: es geht um Ruhm und Idendität, Kreativität und psychische Erkrankung, Altern und Trauer, Erinnerung und Vergebung – allesamt zutiefst menschliche und universale Themen, die weit über die Besonderheiten von Joan Baez’ Geschichte hinausreichen. Wie ein roter Faden zieht sich eine echte Gravitas durch den Film, während wir dieser kompromisslos krea?ven und engagierten Künstlerin folgen und sie dabei erleben, wie sie sich ihrer Vergangenheit stellt und doch immer weiter nach vorne blickt, in eine neu ausgemalte Zukunft.
- Karen O’Connor
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Donnerstag 21.12.2023
PERFECT DAYS
Ab 21. Dezember 2023 im Kino
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Hirayama reinigt öffentliche Toiletten in Tokio. Er scheint mit seinem einfachen, zurückgezogenen Leben vollauf zufrieden zu sein und widmet sich abseits seines äußerst strukturierten Alltags seiner Leidenschaft für Musik, die er von Audiokassetten hört, und für Literatur, die er allabendlich in gebrauchten Taschenbüchern liest. Durch eine Reihe unerwarteter Begegnungen kommt nach und nach eine Vergangenheit ans Licht, die er längst hinter sich gelassen hat.
PERFECT DAYS ist eine tief berührende und poetische Betrachtung über die Schönheit der alltäglichen Welt und die Einzigartigkeit eines jeden Menschen.

Ein Film von Wim Wenders
Mit Koji Yakusho, Tokio Emoto, Arisa Nakano, Aoi Yamada u.a.



INTERVIEW MIT WIM WENDERS

Mit PERFECT DAYS kehren Sie nach vielen Jahren nach Japan zurück. Wie kam das Projekt zustande und wovon handelt es im Kern?
Anfang 2022 erhielt ich einen Brief aus Tokio: „Hätten Sie Interesse, nach Tokio zu kommen und sich ein höchst interessantes soziales Projekt anzuschauen? Es handelt sich um ein gutes Dutzend öffentlicher Toiletten, die allesamt von großen Architekten gebaut wurden. Wir könnten uns
vorstellen, dass Sie das inspirieren könnte, vielleicht zu einem Fotobuch, vielleicht zu einer Reihe von Kurzfilmen, was auch immer. Sie hätten jede künstlerische Freiheit und wenn Sie sich darauf einlassen würden, würden wir Ihnen bestmögliche Bedingungen garantieren.“ So ungefähr. Klang höchst verlockend. Gerade noch hatte ich meiner Frau erzählt, was für ein Heimweh ich nach Tokio hätte, und wie schade es sei, dass man wegen der Pandemie noch immer nicht einreisen könne. Diese offene Einladung war mit einem Arbeitsvisum verbunden!
Der Brief enthielt Fotos von diesen Toiletten, die wirklich erstaunlich aussahen und alle in Parks eingebettet waren. Es gehe im Prinzip um das Wesen der japanischen Willkommenskultur, hieß es weiter, in der Toiletten einen völlig anderen Stellenwert hätten als im Westen. Da sind in der
Tat die „stillen Örtchen“ nicht Teil unserer Kultur, sondern verkörpern eher deren Abwesenheit. Mir gefielen diese architektonischen Meisterwerke in Miniatur, die eher Tempeln glichen als Toiletten, und der künstlerische Aspekt, der das Projekt umgab.
Ich antwortete also: „Ihr Vorschlag interessiert mich. Aber zunächst müsste ich mir ein Bild vor Ort machen. Ich kann mir weder ein Buchprojekt noch Geschichten ausdenken, ohne die Schauplätze zu kennen. Außerdem stecke ich mitten in einem anderen Film. Ich kann Ihnen lediglich eine Woche im Mai anbieten, um mir ein Bild zu machen, und das Projekt dann erst im Oktober realisieren, wenn mein jetziger Film mir ein Zeitfenster während der Postproduktionsphase gibt.“ (Es ging um ANSELM, der sich im zweiten Produktionsjahr und seit über einem Jahr im Schnitt befand.)
Im Mai flog ich nach Tokio. Das war eine wunderbare Jahreszeit, um nach langer Zeit endlich wieder dorthin zu kommen. Meine Erkundungsreise fiel außerdem genau in die Zeit, in der die Tokioter nach einer gefühlten Ewigkeit im Lockdown wieder in die Stadt, in die Straßen und Parks
konnten. Es war einfach glorreich, zu sehen, mit welcher Begeisterung und Freude dies geschah, umso mehr, als diese Wiederinbesitznahme mit einer unfassbaren Vorsicht, fast mit Ehrfurcht geschah. Wenn in Berlin, wo ich lebe, öffentliche Plätze unter der Rückkehr zur Normalität enorm
gelitten hatten, manche Parks davon nahezu verwüstet worden waren, war es in Tokio umgekehrt der Fall. Die Menschen feierten auch hier, aber im Anschluss daran wurden alle Flaschen, Tüten, Essensüberreste usw. säuberlich eingesammelt (öffentliche Mülleimer gibt es praktisch nicht) und von allen dann zuhause entsorgt. In europäischen Städten konnte man als Hauptopfer der Pandemie durchaus den Sinn für das Allgemeinwohl ausmachen. In vieler Hinsicht ließ man danach jedenfalls alles, was Allgemeinbesitz war, deutlich mehr verkommen als vorher. Hier in Tokio war es umgekehrt.
Und die kleinen Toilettentempel gefielen mir ungemein, aber gleich vom ersten Eindruck her nicht als Mittelpunkte kurzer Dokumentarfilme. Ich hatte vielmehr große Lust, sie in einen fiktionalen Kontext zu setzen. Ich finde, ‚Orte‘ sind in einer Geschichte, in Spielfilmen, immer besser aufgehoben als in dokumentarischen Formaten. DER HIMMEL ÜBER BERLIN fing ja auch mit der Lust an, diese Stadt mit all ihren Facetten zu zeigen. Aber wenn ich damals einen Dokumentarfilm über Berlin gemacht hätte, wären die Orte des Films nicht so ‚erhalten‘ geblieben, wie es durch die Erzählung der Engelsgeschichte geschehen ist.
Aus dem ursprünglichen Vorschlag standen 4 Kurzfilme mit jeweils 4 Drehtagen im Raum. In diesen 16 Tagen könnte man stattdessen auch einen richtigen Film drehen! In dem würden diese schönen architektonischen Juwelen natürlich vorkommen, aber sie müssten eben nicht die ganze
Sache tragen. Das könnte eine Geschichte viel besser. Zu Beispiel mit einer Hauptfigur, die etwas von dem japanischen Sinn für das Gemeinwohl verkörpern würde. Ich hatte am ersten Tag schon die Männer kennengelernt, die sich um die Hygiene der Toiletten kümmerten. So einen könnte
ich mir gut vorstellen, einer, der sich verantwortlich dafür fühlen würde, dass diese Orte schön, einladend und sauber blieben...
Meine Idee fand sofort Anklang. Aber war sie umsetzbar? Ich war der festen Überzeugung, dass dies möglich war, wenn wir die übrigen Handlungsorte reduzieren und uns auf eine Hauptfigur beschränken würden. Den Schauspieler dafür galt es zu finden und ein Drehbuch zu schreiben.
Den Autor gab es schon. Seine Augen leuchteten, als ich meinen Plan vorschlug. Es war der Mann, der die Idee ausgeheckt hatte, mich nach Tokio einzuladen. In dem Schriftsteller und kreativen Kopf Takuma Takasaki hatte ich einen großartigen Sparring-Partner und Co-Autoren.
Bevor ich mich versah, gab es auch den Schauspieler. Was hielte ich von Koji Yakusho? Was? DER Koji Yakusho, den ich mehrfach in SHALL WE DANCE oder in BABEL gesehen und bewundert hatte? Ja, genau der. Der würde mitmachen, wenn es zu so einem Film mit mir käme. Das schien zu schön, um wahr zu sein. Am nächsten Tag standen wir uns schon gegenüber, etwas schüchtern noch, und sahen uns in die Augen; einen besseren für diese Rolle gäbe es nicht!
Nach einer Woche war ich zurück in Berlin. Bald darauf kam Takuma nach Berlin. Zwei Wochen später hatten wir die Grundzüge einer Geschichte mit einem Mann namens Hirayama. Der Rest der Arbeit am Drehbuch, an den Drehvorbereitungen und dem Casting ging über die nächsten Wochen und Monate per Mails und Zooms. Und den ganzen Oktober lang war ich dann in Tokio, nach einer Woche intensiver Vorbereitung mit meinem Kameramann Franz Lustig haben wir angefangen, zu drehen. Genau 16 Tage lang. Mehr Zeit hatte Kojo Yakusho auch nicht. Der fing
direkt im Anschluss an PERFECT DAYS einen großen Samurai-Film an.

Der Film beschreibt auf beinah poetische Weise die Schönheit des Alltags anhand der Geschichte eines Mannes, der ein bescheidenes, aber sehr zufriedenes Leben in Tokio führt.
Das ist alles aus der Figur Hirayama entstanden, und aus meinem nahezu utopischen ersten Eindruck von Tokio nach der Pandemie. Takuma und ich, wir haben uns jemanden vorgestellt, der einmal privilegiert und wohlhabend war, dann aber von diesem Leben immer weniger erfüllt ist und schließlich voll abstürzt. Eines Tages, am Tiefpunkt seines Lebens, an dem er schon bereit ist, diesem ein Ende zu bereiten, hat er eine Erleuchtung. Als er morgens in einem schäbigen Hotelzimmer aufwacht, ohne sich zu erinnern, wie er da gelandet ist, starrt er auf die kahle Wand ihm gegenüber. Er empfindet nichts mehr, weder für sich noch für die Welt. Und auf einmal erscheint auf dieser leeren Fläche vor ihm ein Schattenspiel, das von den Sonnenstrahlen hervorgezaubert wird, die irgendwie durch einen Baum bis in sein düsteres Zimmer fallen. Und wie er ungläubig auf diese Erscheinung schaut, diesen Tanz der Blätter im Wind oder besser, die Reflektion dieses flüchtigen Vorgangs, da wird ihm bewusst, dass dies nur für ihn sichtbar ist, für ihn allein, erschaffen von nichts als Blättern, Wind und einer Lichtquelle aus weiter Ferne, aus dem All, von der Sonne. Er hält den Atem an, wie er in sich eine große Wärme aufsteigen fühlt, weil ihm plötzlich bewusst wird, wie einzigartig er selbst und sein Leben ist. Und er murmelt das Wort vor sich hin, dass es in der japanischen Sprache für dieses Lichtspiel der Blätter im Wind
gibt: „Komorebi.“
Die Erscheinung rettet Hirayama und er beschließt, von jetzt an ein von Einfachheit und Bescheidenheit geprägtes Leben zu führen. Er wird zu einem Gärtner und schließlich zu dem ,Toilettenputzer‘, von dem unsere Geschichte erzählt: hingebungsvoll und zufrieden mit den Dingen, die er besitzt, darunter eine Pocket-Kamera (mit der er nur Bilder von Bäumen und Komorebis macht), die Taschenbücher, die er sich einmal in der Woche gebraucht kauft und sein alter Kassettenrecorder mit der Kassettensammlung, die er aus seiner Jugendzeit hinübergerettet hat. Sein Musikgeschmack inspirierte uns auch zu dem Titel des Films, als nämlich Hirayama eines Tages Lou Reeds Song Perfect Days anhört.
Hirayamas Alltag dient unserer Erzählung als Rückgrat. Das Schöne an diesem monotonen Rhythmus des ‚ewig Gleichen‘ ist, dass man plötzlich beginnt, auf all die kleinen Dinge zu achten, die eben nicht gleichbleiben, sondern sich jedes Mal verändern. Wenn man wie Hirayama tatsächlich lernt, vollkommen im HIER UND JETZT zu leben, gibt es keine Routine mehr. An ihre Stelle tritt die kontinuierliche Aufeinanderfolge einmaliger Ereignisse, einmaliger Begegnungen und einmaliger Momente. Hirayama nimmt uns mit in dieses Reich zufriedener Gegenwart. Und da wir die Welt durch seine Augen sehen, nehmen auch wir die Menschen, denen er begegnet, mit Offenheit wahr: seinen faulen Mitarbeiter Takashi und dessen Freundin Aya, den Obdachlosen, der in dem Park lebt, in dem Hirayama täglich arbeitet, seine Nichte Niko, die bei ihrem Onkel unterschlüpft, seine Schwester Keiko, die dann doch erscheint, um ihre Tochter wieder nach Hause zu holen, ‚Mama‘, die Besitzerin eines klitzekleinen einfachen Restaurants, das Hirayama an seinen freien Tagen aufsucht, deren Ex-Mann und viele mehr.

Wie kommt es, dass Japan und seine Kultur eine solche Faszination auf Sie ausüben, und welche Aspekte der japanischen Kultur spielten im Rahmen dieses Films eine besondere Rolle?
Der Begriff der ‚Dienstleistung‘ hat in Japan eine völlig andere Bedeutung als bei uns. Am Ende der Dreharbeiten traf ich zufällig einen berühmten amerikanischen Fotografen, der es nicht fassen konnte, dass ich gerade einen Film über einen Mann gedreht hatte, der Toiletten putzt.
„Das ist meine Lebensgeschichte! Als ich als junger Mann nach Japan kam, auf der einen Seite, um der Einziehung nach Vietnam zu entgehen, auf der anderen, um asiatischen Kampfsport zu lernen, sagte der Meister zu mir: ‚Wenn du ein Jahr lang täglich öffentliche Toiletten reinigst, kannst du wiederkommen.’ Das habe ich gemacht, bin jeden Tag um sechs Uhr aufgestanden, um in einem der ärmsten Viertel Tokios die öffentlichen Toiletten zu reinigen. Der Meister hat dies aus der Ferne beobachtet und mich dann als Schüler aufgenommen. Aber ich putze bis heute noch einmal im Jahr eine ganze Woche lang Toiletten.“ (Der Mann ist mittlerweile weit über 60 und ist übrigens nie nach Amerika zurückgekehrt.) Aber das ist nur ein Beispiel von vielen. Es gibt andere Berichte über Führungskräfte großer Unternehmen, die den Respekt ihrer Mitarbeiter erst dadurch erwarben, dass sie vor allen anderen zur Arbeit kamen und die Toiletten putzten. Das ist keine ‚minderwertige‘ Arbeit, sondern vielmehr eine spirituelle Haltung, eine Geste der Gleichheit und Bescheidenheit.
Einmal, während eines langen Aufenthalts in Japan, als ich an den Traumsequenzen von BIS ANS ENDE DER WELT arbeitete, besuchte mich ein amerikanischer Freund, der nie zuvor in Japan gewesen war. Es war Winter, und viele Menschen trugen Masken (Das war 30 Jahre vor der
Pandemie). Mein Freund meinte kopfschüttelnd: „Fürchten die sich denn alle so vor Keimen?”
Ich erklärte ihm: „Im Gegenteil, sie sind alle schon erkältet und wollen ihre Mitmenschen nicht anstecken.” Er sah mich ungläubig an: „Du machst Witze.” Für ihn als Amerikaner war diese hohe Achtung des Allgemeinwohls geradezu unvorstellbar. In Japan ist das selbstverständlich.


Sie sind Tokio und Japan seit vielen Jahren verbunden. Tokio selbst spielt eine große Rolle in PERFECT DAYS, da Ihnen die außerordentliche Chance gewährt wurde, an Orten zu drehen, die normalerweise für Filmarbeiten nicht zugänglich sind. Wie war Ihre Dreherfahrung in Tokio? Und wie hat sich die Stadt seit TOKYO-GA verändert?
Ich liebe Tokio, seit ich mich dort das erste Mal tagelang verlaufen habe. Das war bereits in den späten Siebzigern. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, wie ich stundenlang in dieser gigantischen Stadt herumgeirrt bin, ohne zu wissen, wo ich mich jeweils befand. Abends bin ich
dann immer in die nächstbeste U-Bahn und hab zu meinem Hotel zurückgefunden. Jeden Tag war ich in einer anderen Gegend. Ich war verblüfft, wie chaotisch die Stadt aufgebaut zu sein schien: Viertel mit uralten Holzhäusern inmitten von Wolkenkratzern und stark befahrenden Stadtautobahnen, zwei oder drei Etagen übereinander. Futuristische Gegenden gleich neben beschaulichen Wohnsiedlungen mit Labyrinthen aus winzigen Gassen. Ich war fasziniert von dem friedlichen Miteinander von Zukunft und Vergangenheit, das sich vor mir auftat. Damals kannte ich nur die USA als Ort, an dem man der Zukunft begegnen kann. Hier in Japan bot sich mir eine andere Version, die mir überaus gefiel.
Und dann war ich in meiner Sicht auf Japan sehr durch die Filme von Yasujiro Ozu beeinflusst. Er war (und ist noch immer) mein erklärter Meister, auch wenn ich ihn erst entdeckt habe, als ich bereits selber mehrere Filme gedreht hatte. Er hat uns ein nahezu seismografisches Bild des
kulturellen Wandels in Japan übermittelt, von den Zwanzigern bis zu seinem Tod in den frühen sechziger Jahren. Mit TOKYO-GA habe ich 1982 sozusagen versucht herauszufinden, wie weit Tokio sich seit seinem letzten Film 20 Jahre zuvor verändert hatte.

Sie sind für Ihre Art, Musik in Ihre Filme zu integrieren, bekannt. Für PERFECT DAYS haben Sie sich ein ganz besonderes Musikkonzept überlegt.
Eine eigens komponierte Filmmusik schien mir nicht zu unserer Darstellung des Alltags zu passen. Doch weil Hirayama sich immer wieder seine Kassetten mit Musik aus den Sechzigern bis in die Achtziger anhört, liefert sein Musikgeschmack quasi den Soundtrack zu seinem Leben: von Velvet Underground, Otis Redding, Patti Smith, The Kinks, Lou Reed und anderen bis hin zu japanischer Musik aus derselben Zeit.

Der Film ist Ozu gewidmet. Welche Aspekte seiner Arbeit haben Sie am nachhaltigsten beeinflusst?
Vor allem das Gefühl, das alle seine Filme durchdringt: dass jedes Ding und jeder Mensch einmalig ist, dass jeder Moment nur einmal geschieht und dass die alltäglichen Geschichten die einzigen Geschichten von Dauer sind.
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