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43. Fürstenfeldbruck: Die Brucker Kulturnacht `23 - eine Riesensause für das ...
44. Landsberg: Magnus Öström Group – Außergewöhnliche Dynamik
45. Landsberg: Transit Werther – Klassiker kompakt
46. Peter Brötzmann (geb. 06. März 1941 in Remscheid, gest. 22. Juni 2023 in ...
47. München: Die Zukunft ist Pink mit Peter Fox im Circus Krone
48. Landsberg: Trial & Error – Im Amt für schicksalhafte Begegnungen
Sonntag 09.07.2023
Fürstenfeldbruck: Die Brucker Kulturnacht `23 - eine Riesensause für das Publikum!
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Auch dieses Jahr hat sich die Arbeitsgemeinschaft Brucker Kulturnacht wieder Einiges einfallen lassen. An insgesamt 15 Spielorten fand eine breite Auswahl an unterschiedlichen Events statt. Von Live-Konzerten, Poetry Slam, Kabarett, über Lesungen, Performances, Ausstellungen, Kino, Theater oder Abtanzen bis in die späte Nacht war für jeden etwas dabei, um einen unbeschwerten kulturell einzigartigen Abend zu erleben. Das Wetter spielte auch wieder mit, somit waren die Bedingungen für eine erfolgreiche Veranstaltung optimal. Unterwegs trifft man auf Walk-Acts, zwischendurch schnell einen Kaffee oder kleinen Snack, bevor man sich die nächste Vorstellung anschaut. Das konnte/sollte man im Vorwege mit dem informativen Begleitheft allerdings gut planen, um seine persönlichen Highlights auszuwählen. Unter den gut einhundert der am Abend stattfindenden Programmpunkte hatte man wie immer die Qual der Wahl. Mit dem Fahrrad kommt man schnell vom einen zum anderen Spielort, auch ein Busshuttle und das Brucker Radlmobil bringen die Besucher unkompliziert von A nach B. So war man gut unterwegs und konnte das Angebot der verschiedenen Locations optimal nutzen.
Das Einzigartige an der Brucker Kulturnacht ist, es gibt es jedes Jahr wieder Neues zu entdecken: ob Andrea Pancurs Alpenklezmer im Lichtspielhaus mit anschließenden Kurzfilmen von Studenten der HFF, das grandiose Zusammenspiel von Orgel und Saxophon in der Klosterkirche, ein Performance Experiment mit Alicia Henry oder Kabarett mit Bumillo in der Stadtbiliothek, sowie das Impro Theater mit IN IMPRO VERITAS und dem Impro Nachwuchs des Gymnasiums Fürstenfeldbruck in der Neuen Bühne Bruck - ein erstklassiges Programm! Die Spielstätten waren durchweg gut gefüllt und das Publikum von den abwechslungsreichen Aufführungen begeistert. Es gab kulturell viel zu Erleben an dem Abend, gute Gespräche untereinander und entspannte Begegnungen mit einer Superstimmung. Da darf man schon gespannt sein auf die nächste Brucker Kulturnacht!
TEXT & FOTOS: Thomas J. Krebs
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Fotos: TJ Krebs (aufgenommen am 30. Juni 2023 in der Münchner Unterfahrt)
Sonntag 02.07.2023
Landsberg: Magnus Öström Group – Außergewöhnliche Dynamik
Landsberg. Öström die Fünfte - könnte man den Auftritt des schwedischen Schlagzeugers am letzten Samstag im Stadttheater auch überschreiben. Denn nach den Gastspielen mit seiner Band 2014 und 2016 sowie als Sideman der Trios mit Bugge Wesseltoft und Walter Lang machte Magnus Öström pünktlich nach Erscheinen seines neuen Albums „A Room For Travellers“ auf der dazugehörigen Tour zwischen München und Wien jetzt wieder in Landsberg Station. Zwischenzeitlich fast ein Heimspiel für den Trommler, dessen Musik sich zwar unter dem großen und schützenden Dach des Jazz bewegt, aber mit Harmonien und Melodien aus dem Rock gespickt ist, die ohne große Umwege den Weg direkt ins Ohr finden.
1965 in dem 3000 Seelen-Dorf Skultuna in der Provinz Västmanlands geboren, ist Öström einer dieser Schlagzeuger, die immer auf Augenhöhe mit der Band agieren. Er lebte diese Einstellung musikalisch schon im Esbjörn Svensson Trio, das dann auch deshalb den überwältigenden Erfolg einfuhr. Nachdem diese Formation so tragisch auseinanderbrach, sagte der Schlagzeuger sinngemäß, dass er eher als Taxi- oder Busfahrer arbeiten, als in wechselnden Jazzbands begleiten würde. Austauschbarer Mitarbeiter war er auch bei Wesseltoft und Lang nicht und ist sich und seiner Aussage somit bis heute treu geblieben.
Öström komponiert für seine Group eine Musik, in dem das Schlagzeug ein gleichberechtigter Teil des Ganzen ist. Trotzdem nimmt dieses Instrument die Rolle eines immensen Kraftzentrums ein, von dem die Impulse für die gesamte Musik ausgehen. Edward Vesala, ein anderer skandinavischer Drummer, sagte einmal über das Instrument in einer Jazzband: „Das Schlagzeug ist nicht nur rhythmisch wichtig, sondern auch für die Klangfarben und die Melodik“. Nun mag dies zwar der swingende Derwisch Buddy Rich etwas anders einschätzen. Doch Öström liegt eindeutig auf der Linie Vesalas.
Er gibt mit seinen vertrackten Metren die Richtung des Quartetts vor. Die versetzt gelagerten Harmonien und melodischen Segmente von Daniel Karlsson (Keyboards), Andreas Hourdakis (Gitarre) und Thobias Garbielson (Bass) vervollständigen das Grundgerüst - das anschließend allen improvisatorischen Spielereien locker standhält. Durch ein verdichten der musikalischen Räume nimmt die Musik im Laufe des Abends an Intensität zu. Die Themen wirken hymnisch und streben gegen alle Widerstände fast provokativ ans Licht. Klaviertrio gleich Kammermusik? Nicht bei der Magnus Öström Group. Sie arbeitet zusätzlich mit elektronischen Verfremdungen, klingt in manchen Sequenzen wie ein sinfonisches Rockspektakel, um dann wieder mit wuchtigen Wechseln auf die Ausgangslinie zurückzukommen. Manche Stücke erinnern auch an eine Art Metamorphose, in der sich aus randständigem, manchmal auch belanglos wirkendem Beiwerk wunderschöne Songs entwickeln, voller Leidenschaft und ohne Netz und doppelten Boden.
Die Dynamik des gesamten Konzerts ist außergewöhnlich, zeigt sehr wohl Momente des Durchatmens, um im nächsten Moment den Theatersaal wieder zum überschäumen zu bringen. Die Magnus Öström Group verkörpert etwas, das für ihre Qualität steht: Authentizität. Hier steht jeder Musiker hinter dem, was er spielt und er tut dies mit spürbarer Freude. Diese Einstellung steckt an und ein tobender Saal gibt auch den am Ende erschöpften Musikern ein Gefühl der Verbundenheit.
Jörg Konrad
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Mittwoch 28.06.2023
Landsberg: Transit Werther – Klassiker kompakt
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Foto: Jürgen Bartenschlager
Landsberg. Spielen bei Jugendlichen Konventionen und Moralvorstellungen heute noch eine Rolle? Man sollte meinen, wir leben in aufgeklärten Zeiten, in denen es kein zwischenmenschliches Anspruchsdenken oder förmliche Rituale gibt. Doch weit gefehlt. Jüngere wie auch ältere Menschen fühlen sich oft von gesellschaftlichem Hochmut, sozialem Imponiergehabe, von Wertevorstellungen, ja selbst von Standesdünkel insistiert. Einiges hat sich geändert, doch letztendlich ist das menschliche Miteinander noch immer geprägt von Kastengeist, Privilegien und moralisch fragwürdigen Normen. Trotz CSD und LGBTIQ. Schließlich riefen Bewegungen auch immer schon Gegenbewegungen hervor, egal von welcher Seite. Ansonsten wäre Johann Wolfgang von Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ nicht heute noch derart aktuell und als Adaption in Spielplänen zumindest deutschsprachiger Theater zu finden.
Am Dienstag war das Landestheater Schwaben mit Goethes Glanzstück zu Gast in Landsberg. „Transit Werther“ ist deren erster Versuch eines bemerkenswerten Projektes, Klassiker in kompakter Inszenierung (neu) auf die Bühne zu bringen. Textlastig und möglichst kurzweilig in Szene gesetzt. Natürlich möchte man damit vor allem junge Menschen ansprechen und sie, auch durch Schulvorstellungen, in die thematisch noch immer aktuellen Klassiker in die Theatersäle zu locken. Und, das sei an dieser Stelle schon einmal erwähnt: Das Ergebnis gibt den Machern, allen voran Magdalene Schönfeld (Regie) und dem Schauspielerensemble mit Laura Roberta Kuhr, Tobias Loth und Flurina Schlegel absolut recht.
Zum Stück: Das Bühnenbild ist ausgefüllt mit einer an einem Kranhaken hängenden überdimensionierten Klimakiste mit der doppelbödigen Aufschrift „Alles hängt mit Allem zusammen“ (Alexander von Humboldt). Es könnte sich aber auch um einen hölzernen Transitverschlag handeln, der samt Goethes Neuinterpretation mitten in der Gegenwart platziert wird. Ein Koben randvoll mit Konventionen. Die aufbrechenden Seitenwände, über die die Schauspieler ein- und ausgehen, deuten das vor allem emotionale Wechselspiel zwischen Befreiung und Einschränkung an. Die Liebe macht diesen Sittenfilter durchgängig, bringt neben Glückseligkeit aber auch tiefsten Schmerz. Werther wird, in seiner unstillbaren Liebe zur schon vergebenen Lotte, gleich von allen drei Schauspielern verkörpert. Sie deklamieren den Text abwechselnd als Monolog, Unisono, stimmlich versetzt, was eine wunderbare, vitale Dynamik entfacht. So fluten die wechselnden Gefühlslagen förmlich den Raum und die Sehnsucht nach der Freiheit zwischenmenschlicher Beziehungen wird deutlich spürbar.
Zugleich bekommt aber Werthers beinahe zwanghaftes Festhalten an eine Liebe, die letztendlich nur im Unglück enden kann, einen narzisstischen Grundton. Depressionen, die wir doch viel lieber (prosaisch) als Melancholie bezeichnen und die bei Goethe erstmals als „Krankheit“ bezeichnet wurden, machen sich breit und das Schicksal nimmt tragisch seinen Lauf.
Goethe selbst hätte nie geglaubt, dass dieses Stück Erfolg haben, geschweige denn über Jahrhunderte ein begeistertes Publikum finden wird.
Jörg Konrad
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Freitag 23.06.2023
Peter Brötzmann (geb. 06. März 1941 in Remscheid, gest. 22. Juni 2023 in Wuppertal)
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EIN SOUND WIE HÖLLENFAHRT UND GENESIS ZUGLEICH

Peter Brötzmann, Conrad Bauer, William Parker, Paul Lovens im November 2002 in Dachau

Dachau. Sein Ton erschüttert den Raum, klingt wie ein Triumph der Sinne über jeden Gedanken konservativer Kunst. Sein Sound Ist Höllenfahrt und Genesis zugleich, nichts für schwache Nerven. Peter Brötzmann, der Saxophonist, spielte am Donnerstagabend beim jazz e.V. in Dachau. Und er hat eine tiefe und breite Fährte hinterlassen, die noch lange spürbar sein wird.
Was der zwischen Wuppertal und Chicago pendelnde Provokateur des Mainstream spielt, hat schon lange nichts mehr mit dem zu tun,was vor einigen Jahren als die Phase des Kaputtspielens bezeichnet wurde. Brötzmann betreibt an seinem Instrument eine Art musikalischer Anatomie. Er zergliedert und anlysiert ein an sich schon imaginäres Material, sucht als ein ständig Forschender nach immer neuen Herausforderungen und lässt in diesem Prozess das für den Jazz wohl Entscheidende entstehen: Improvisationen, die weit in die Tiefe zielen und jede oberflächliche Maniriertheit vermeiden. In seiner Band Die Like A Dog hat Brötzmann Gleichgesinnte um sich geschart, die dem eigenen Credo, Befreiung von verkrusteten Musikstrukturen, absolut entsprechen.
Conrad Bauer, der sensible und wenn nötig doch so derb zupackende Berliner Posaunist, gehört zu den wichtigsten Stimmen im Chor der freien Improvisation. Er nutzt die Zirkularatmung, spielt polyphon und mehrstimmig, kontrapunktiert die Einlagen des Leaders und kommt, trotz ungestümer Vehemenz, auch als ein traditionell angehauchter Bohémien zum Zug. Bassist (und Flötist!) William Parker aus New York spielt in beinahe stoischer Gelassenheit gegen diese gewaltigen Klangwellen an. Nichts scheint ihn aus der Ruhe zu bringen. Er bleibt während des gesamten Auftritts auf dem Boden spiritueller Gelassenheit. Mal zupft er rau den Blues, dann streicht er zarte Flagoletts.

Sprunghafte Bewegung
Paul Lovens drangsaliert und streichelt hingegen sein Drumset. In sprunghaften Bewegungen bricht der Berliner den Rhythmus an seiner verwundbarsten Stelle. Es ist ein Stolpern und Schweben, nirgends scheint man sicher vor seinen Ideen. Immer wieder wendet er das rhythmische Blatt und schlägt dem Erwartungshorizont ein Schnippchen.
Dann kommt wieder Brötzmann ins Spiel, der dem Set eine gewaltige Körperlichkeit verleiht, der sich wie in einem Fahrstuhl bis in die obersten Sphären der freien Improvisation schraubt. Man glaubt kaum, dass dieser Mann noch vor gut einem Jahr während eines Interviews gesagt hat: „Ich tue nichts lieber, als mir heute diese alten Art Blakey-LPs anzuhören, das ist wunderschöne Musik.“ Aber auch das gehört zum Jazz: Der bekennende Respekt vor jeder Form der Kreativität, selbst dann, wenn das eigene Oevre ein ganz anderes ist. Daran zeigt sich wahre Größe und das ist Beispiel für die Offenheit des Jazz, der in Dachau spätestens seit diesem grandiosen Konzert etwas Legendäres hinterlassen hat.
Jörg Konrad
(SZ Dachau, 09.11.2002)



GÖTTLICH AUF GANZER LINIE

Peter Brötzmann, William Parker, Hamid Drake im November 2004 in Dachau

Dachau. Brötzmann zum Dritten! Nachdem der Holzbläser schon während der Herbstsaison 2002 und 2003 beim Dachauer jazz e.V. die musikalischen Höhepunkte setzte waren die Erwartungen auch heuer entsprechend hoch. 120 zahlende Gäste lockte das Konzert an. „ ... das hat es im Teufelhart noch nie gegeben ...“, resümierte die Vorsitzende des Vereins, Marese Hoffmann, schon in ihrer Ansage – ohne das die Musiker auch nur einen Ton gespielt hätten. Dann kamen Peter Brötzmann, William Parker und Hamid Drake, spielten göttlich auf ganzer Linie und hinterließen als Sieg ein Publikum, welches, fast ebenso erschöpft wie die Band, von einer Zugabe aus Verständnis für die Solisten absah. Schließlich hatten die drei musikalisch alles gegeben, was menschenmöglich schien.
Dieses Trio gehört zum Besten, zum Wagemutigsten und zum Wichtigsten was der zeitgenössische Jazz zu bieten hat. Sicher spielt die Tagesform der Musiker, die Aura des Auftrittsortes, die Bereitschaft des Publikums, sich auf ein derartiges Ereigniss einzulassen, eine entscheidende Rolle. Denn nur wenn diese Dreifaltigkeit des Jazz-Live-Geschehens stimmt, dann stimmt zumindest der Ausgangspunkt für eine der couragiertesten musikalischen reisen überhaupt: Der freien Improvisation. Und diese Ausgangspunkte waren am Samstag günstig.
Brötzmann setzte gleich zu Beginn die Tarogato an und spielte vom ersten Ton mit Energie und einer nur ihm eigenen Abstraktion, die für das gesamte Konzert richtungsweisend war. Auch als er später zum Tenor wechselte oder die Altklarinette benutzte, fast durchgehend blies er am physischen Limit, ließ er keinen Zweifel daran, dass das, was er schon seit so vielen Jahren hingebungsvoll tut, eine „gottverdammte haste Arbeit“ ist, wie er es in einem Interview ausdrückte. Reife, Neugier, Poesie, provozierende Freiheit, ungeahnte Abgründigkeiten, die an einer langen Perlenkette aufgereihten Herausforderungen spielt Brötzmann wie ein einziges Mantra.
Parker hingegen untermlte kühn, hielt rhythmisch den Kurs, brach genussvoll aus, war ein Bassist minimalistischer Virtuosität. Und ein Visionär sozialer Befindlichkeiten und Rückblicke, wenn er etwas mit afrikanischem Saiteninstrumentarium und Hamid Drake an der handgeschlagenen Rahmentrommel die Wurzeln ihrer Musik in hörbare Erinnerung rief. Überhaupt Drake: Der trommelte einen einzigen rituellen Spagat zwischen den Kulturen dieser Welt.
Und das Publikum? Das tanzte, jubilierte, klatschte begeistert und war am Ende völlig hingerissen. Vielleicht schon in der stillen Vorfreude, das es hoffentlich im kommenden Jahr heißen wird: Brötzmann die Vierte!
Jörg Konrad
(SZ Dachau, 30. November 2004)



Peter Brötzmann
„I Surrender Dear“


Peter Brötzmann, Saxophonist und Maler, gehört zu den Free-Jazz-Pionieren in Europa, hat aber in einem Interview mit dem Jazzpodium schon 1968 die Wichtigkeit der Tradition betont: „Ich beziehe mich durchaus auf die Dinge, die King Oliver vor 50 Jahren gemacht hat“.
Das war über die Jahrzehnte sicher nicht immer und für jeden akustisch nachvollziehbar. Denn Brötzmann spielte laut und intensiv, hat dabei die Musik aus engen Strukturen befreit, ihre Grenzen erweitert und ist damit zu neuen Klang-Ufern vorgestoßen. Neben revolutionären Alben wie „For Adolphe Sax“ oder „Machine Gun“ hat der heute 78jährige im Laufe seiner langen Karriere auch immer wieder Soloalben vorgelegt. Saxophon-Solo-Aufnahmen? „Man wird - ob Du magst oder nicht – durch all die verschiedenen Arten von Aktivitäten gezwungen, jedenfalls geht es mir so, sich auf sich selbst zu besinnen und herauszufinden, was ist mit Dir los? Und dazu benutze ich ganz gerne, alle paar Jahre, eine Soloproduktion“, erzählte er in einem Interview 1997.
Gut zwei Jahrzehnte später war der aus Wuppertal stammende Künstler in Wien und hat in der österreichischen Metropole die Titel für sein jetzt erschienenes Album „I Surrender Dear“ aufgenommen. Doch anders als in der Vergangenheit besteht das Repertoire nur aus wenigen freien Improvisationen. Brötzmann hat sich überwiegend Kompositionen seiner Favoriten vorgeknöpft und diese dann auf seine ganz individuelle Art interpretiert. Mit dabei sind unter anderem „Lady Sings The Blues“ von Herbie Nichols und Billie Holiday, „Con Alma“ von Dizzy Gillespie, „Sumphin'“ von Sonny Rollins und das augenzwinkernde „Brozziman“ seines liebsten Pianisten der „Neuzeit“, von Misha Mengelberg. Und natürlich das Titelstück, der unsterbliche Standard „I Surrender Dear“, einst gesungen von Bing Crosby und Ray Charles, gespielt von Django Reinhardt, Harry James oder Count Basie.
Auch wenn Peter Brötzmann noch heute davon spricht, wie stark ihn einst Coleman Hawkins und Ben Webster beeindruckt haben, klingt das vorliegende Album mehr nach einem gezügelten Brötzmann. Und der hat dann immer noch genügend Ecken und Kanten, er formuliert mit rauchigem Sound gradlinig, zeigt sich als ein gebremstes Energiebündel, das seine Erfahrungen und Einflüsse mit dem Alter wohl etwas anders ordnet als bisher. Die Melodien bleiben bei ihm einzelne Fetzen, die sich jedoch gegenseitig ergänzen und ein gegenständlicheres Klangbild entwerfen. Hier geht es nicht allein um Intensität, sondern, ja, man glaubt es kaum, um die Schönheit und die Ästhetik des individuellen Klanges, um Sensibilität und Innerlichkeit.
Jörg Konrad

Peter Brötzmann
„I Surrender Dear“
Trost Records

(KultKomplott, Dezember 2019)




BRÖTZMANN PLUS ….. VOLLE KRAFT VORAUS

Peter Brötzmann, Alexander von Schlippenbach, Toshinori Kondo, Joe McPhee, Heather Leigh, Marino Pliakas, Han Bennink Dezember 2020 im Münchner Haus der Kunst

München. Es gab Zeiten, in denen alles Neue aus den USA kam. Die Freizeit- und Fernsehkulturkultur, sagenhafte Essgewohnheiten, der Beginn der Raumfahrtentwicklung, die Sprache – in Form von Anglizismen. All dies hatte seinen Ursprung in der Neuen Welt. So auch der Jazz. Zwar spielte man ihn ebenfalls in Europa, doch alle blickten stets erwartungsvoll über den großen Teich, um zu hören, welche Veränderungen es in der Musik als nächstes gäbe. Eine Sichtweise, die auch den Beginn der Karrieren von Peter Brötzmann und Alexander von Schlippenbach vor über fünf Jahrzehnten deutlich prägten. Doch sie und ihre Mitstreiter sollten diese scheinbare Abhängigkeit zugunsten einer europäischen Entwicklung im Jazz bald selber ändern.
Gestern Abend waren der in Remscheid gebürtige Saxophonist Brötzmann und der aus Berlin stammende Pianist Schlippenbach zu Gast im Münchner Haus der Kunst. Und an ihrer Seite eine illustre Schar von Gleichgesinnten. Musiker, die in der freien Improvisation zu Hause sind, Instrumentalisten, die sich von den Verlockungen des Musikmarktes nicht beeindrucken lassen, Solisten, die mit Energie und Zielstrebigkeit den eigenen Ideen folgen.
Zwar etwas in die Jahre gekommen haben sich die Alten, in ihren frühen Schaffensjahren oft von außen angefeindeten Kämpen, mit ihren Idealen gehalten und unter der Überschrift „Brötzmann plus …..“ mit der nächsten Generation zeitgenössischer Instrumentalisten zusammengetan. Auf der Bühne standen und saßen am Freitag Toshinori Kondo (Japan), Joe McPhee und Heather Leigh (USA), Marino Pliakas (Griechenland) und Han Bennink (Niederlande) und präsentierten in unterschiedlichen Besetzungen ein berauschendes Fest der freien Improvisation. Es wurden Strukturen aufgelöst, neue Verbindungen unter den Gruppenmitgliedern geschaffen, Ideensplitter verdichtet, risikobewusst agiert. Es war ein ständiger Wechsel von Formen und Farben, von abrupter Spontanität und sich entwickelnder Ganzheitlichkeit.
Gleich im ersten Set standen mit Brötzmann, Schlippenbach, Kondo (Trompete) und Bennink (Schlagzeug) vier miteinander längst vertraute Freigeister auf der Bühne. Ungeschliffen und rauh, manchmal fast wuchtig und radikal trafen ihre instrumentalen Stimmen aufeinander und entwickelten immer wieder aus diesen aufschäumenden Gemeinschaftsimprovisationen Momente filigraner Poesie. Irgendwo am Horizont glaubte man eine ferne Blueskapelle zu vernehmen, die vom trommelnden Han Bennink ausging und in den Akkorden des Pianisten eine Entsprechung fand. Dann wieder der Bruch und die Hinwendung zur leidenschaftlichen Dramaturgie der Freiheit. Kreative Explosionen und wohltuende Subversivität als brillanter Spannungsbogen.
Brötzmann arbeitet schon eine Weile mit der amerikanischen Pedal-Steel-Gitarristin Heather Leigh im Duo. Und es ist erstaunlich und faszinierend zugleich, zu welchen Klangerlebnissen selbst so unterschiedliche instrumentale Herangehensweisen führen. Nichts da, mit der heilen Country-Welt. Heather Leigh versteht es, mit sich überlagernden Klangkaskaden eine völlig neue Sichtweise auf ihrem Instrument zu entwerfen. Mit Brötzmann an der Seite wird aus der Pate stehenden Folklore ein pulsierendes Spiel von Distanz und Nähe, ein klangliches Umwerben, ein leidenschaftlicher Dialog zwei freier Radikale. Voller Kraft und Lust.
Den Rahmen für die beiden Konzerte am gestrigen Freitagabend und heutigen Samstag bildet die Ausstellung „Free Music Production / FMP: The Living Music“, die noch bis zum 20. August im Haus der Kunst zu sehen sein wird. In ihr widmen sich die Macher dem wichtigsten europäischen Plattenlabel (FMP), das von 1968 an unter der Leitung von Jost Gebers und der Beteiligung von Peter Brötzmann und Alexander von Schlippenbach europäischen Free Jazz veröffentlichte und damit eigenständig wie unabhängig den Musikern die Verantwortung für ihr Produkt übertrug.
Jörg Konrad
(KultKomplott, Dezember 2020)
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Dienstag 13.06.2023
München: Die Zukunft ist Pink mit Peter Fox im Circus Krone
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Peter Fox ist wieder am Start. Kaum zu glauben, dass dieser Traum nach fast fünfzehn Jahren seines Debuts „Stadtaffe“ endlich Realität wird. Sein aktuelles Album „Love Songs“ ist kaum drei Wochen alt, da wirbelt Fox wieder über die nationalen Bühnen und zeigt der Szene wo der Stimmungshammer hängt. Welcome back Peter Fox!

Sein Konzert im Circus Krone war sofort ausverkauft, ein ungemein intimer Rahmen, gemessen an seinen groß angelegten Open Air Auftritten. Peter Fox hautnah und direkt, ohne Leinwände, das ist schon ganz besonders. Als Support heizten in der Münchner Zirkusarena Olá und Willy Will ein. Party Hip Hop Vibes, Stimmung passt und nach einer kurzen Umbaupause ist es dann endlich soweit: Licht aus, Spot an - um 20:41h betritt Peter Fox die Bühne und startet gleich mit „Vergessen wie“ durch. Sein Programm umfasst insgesamt 19 Songs, die Show dauert knapp 85 Minuten. Es folgen „Ein Auge Blau“, „Weisse Fahnen“ und „Disney“, bis Fox auf bewährtes Material wie „Kopf verloren“ und „Schwarz zu blau“ zurückgreift. Eine geschickte Auswahl, bei der sich neue und alte Songs abwechseln, wobei auch die Tracks seines neuen Albums beim Münchner Publikum zünden. Es wird getanzt und mitgesungen, kaum Zeit doofe Handyvideos zu drehen, dafür ist die Stimmung zu gut, das Publikum feiert Peter Fox. Der steht im Pyjama mit Schlappen und Satinmorgenmantel komplett relaxt auf der Bühne und seine Pyjamaband (gerade aufgestanden und gleich am Start Alter…) geben dem Publikum so gut wie keine Verschnaufpause. Nach der Hälfte des Konzertes wird auch klar warum auf der Bühne hinter der Band ein riesiger Balkon aufgebaut ist. Zu „Hale Bopp“ gesellten sich Münchner:innen auf die Bühne, die gemeinsam mit seinem Ensemble tanzen und für ausgelassene Stimmung sorgen. Am Ende des offiziellen Programms war dann die „Zukunft Pink“, mit einem souverän singenden, textsicheren Publikum: „Elon Musk f… dein Marsprojekt“.

Alles in allem ein grandioser Abend mit Peter Fox, der nach zwei Zugaben „Toscana Boys“ und „Alles neu“ schließlich nochmal auf die Bühne kam und eine Akustikversion von „Haus am See“ zusammen mit dem Publikum intonierte. Der einzige Song übrigens, der balanciert und erträglich ausgepegelt war. Leider ließ der Sound während des gesamten Konzerts zu wünschen übrig. Abgesehen von der Lautstärke, die sich durchgehend an der Schallgrenze von 100+ Dezibel bewegte, waren die Bässe rumpelig und differenzierte Höhen waren schlicht nicht existent. Das hätte man definitiv besser machen können! Der Circus Krone ist eben keine Open Air Bühne. Nichtsdestotrotz überzeugte Peter Fox in München auf ganzer Strecke. Ein tolles Fest mit einer soliden, abwechslungsreichen Show für das ausgelassene, gut gelaunte Publikum.

Ein Wiedersehen mit Peter Fox in München gibt es beim diesjährigen Summerbloom Festival am 02. September, dann allerdings im großen Rahmen Open Air.


Text & Fotos: Thomas J. Krebs
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Samstag 27.05.2023
Landsberg: Trial & Error – Im Amt für schicksalhafte Begegnungen
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© Meike Lindek
Landsberg. Der Mensch scheint sich selbst im Weg zu stehen. Stets auf der Suche nach dem Glück der Zweisamkeit, lässt er diese, einmal dafür entschieden, wieder schicksalhaft durch die Händen gleiten. Sehnsucht kontra Zwanghaftigkeit, Beziehungsideen kontra Poesie. Ulrike Langenbein und Sabine Mittelhammer, unterwegs als Duo Compagnie HANDMAIDS, haben ihr kleines Theaterstück für Figuren und Gegenstände „Trial & Error“ mitten im Berliner Nahverkehr platziert. Eine tatsächlich chaotisch wirkende Romanze, zwischen Janowitzbrücke und Alexanderplatz, Landsberger(!) Straße und Bundestag spielend - mit wenig Kulisse, aber viel Liebe zum Detail.
Doch im Landsberger Stadttheater beginnt alles im „Amt für schicksalshafte Begegnungen innerhalb der beschienten Infrastruktur Berlins“. Zwei weibliche Bedienstete, die die Schicksale der Menschen dokumentieren, verwalten und beurteilen. Eine Art höhere Instanz, angelegt zwischen spitzelnder Geheimpolizei und Gott dem Allmächtigen, ohne die Möglichkeit anzuwenden, die Vergangenheit, ganz im orwellschen Sinne, auf die Gegenwart abzustimmen.
Die zwei Angestellten, die in ihrer Persönlichkeit und damit Dienstauffassung nicht unterschiedlicher sein können, haben einen „alten Fall“ aufzurollen, in dem das Schicksal nicht das gewünschte Resultat erzielte. Die Frage nach dem „Warum sind diese beiden Menschen nicht zusammengeblieben“, lässt sie in die Vergangenheit reisen, um das Rendezvous und den weiteren Verlauf der zwischenmenschlichen Beziehung detektivisch zu durchleuchten.
Stehen im ersten Teil der Inszenierung stärker die beiden Amtspersonen und ihr diffuses, von Slapstick und Wortakkrobatik gekennzeichnetes Miteinander im Mittelpunkt, konzentriert sich die Geschichte im zweiten Teil intensiver auf die zu beobachtenden Liebesleute und deren Interaktion untereinander. Und hier laufen Ulrike Langenbein und Sabine Mittelhammer zu Hochform auf. Die beiden Schauspielerinnen, Puppenbauerinnen und -spielerinnen hauchen ihren Figuren reales wie auch traumverlorenes Leben ein. Unter ihren Händen werden die Puppen zu atemberaubenden, vitalen Wesen. Man kann ihre Masken lesen und die Seelenlandschaft dahinter erkennen. Ihre Sprache und ihre Bewegungen sind aufeinander abgestimmt, gleichen die starre Mimik der geschnitzten Gesichter faszinierend aus und verblüffen mit ihrer komplexen Mischung aus Schauspielkunst und Handwerk das Publikum aufs angenehmste (ein Geheimnis der Branche: Nur sehr gute Schauspieler können sehr gute Puppenspieler werden).
Als Requisite genügt den beiden Hauptakteurinnen ein Drehtisch, der als Bahnsteig oder U-Bahnsitz völlig ausreicht. Später lassen die beiden Schau- und Puppenspielerinnen ihre Protagonisten als kleine Stabpuppen romantisch im Mondenschein spazieren, oder zeigen sie als kleine, diffus wirbelnde Stoffstreifen in einem Café beieinander. Alles besitzt und verströmt eine bewegende Poesie, durch die selbst Alltagsgeschichten in einem völlig neuen Licht erscheinen. Hier greift die Magie: Weniger ist mehr, weil nichts überarrangiert oder gespreizt komisch wirkt. Eher melancholisch und nachhaltig berührend.
Jörg Konrad
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Autor: Siehe Artikel
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