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19. Landsberg: Bezahlt wird nicht – Zwischen zivilem Ungehorsam und Hysterie
20. Fürstenfeld: Hans Theessink & Big Daddy Wilson – Musik für die Seele
21. Fürstenfeld: Sao Paulo Dance Company – In die Herzen des Publikums getan...
22. Landsberg: Leyla McCalla - Gegen jede Form von Ungerechtigkeit
23. Landsberg: Monika Roscher Big Band - Indie-Popband im Jazz-Tranchcoat
24. Berlin: Brian Eno - Symbiose aus Analogem und Digitalem
Samstag 25.11.2023
Landsberg: Bezahlt wird nicht – Zwischen zivilem Ungehorsam und Hysterie
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Foto: Forster
Landsberg. Als das Stück „Bezahlt wird nicht“ von Dario Fo Anfang der 1980er Jahre im Berliner Ensemble in Ostberlin aufgeführt wurde, meinte es eine Gruppe von jungen Besuchern mit dem Titel allzu wörtlich. Sie stürmten den Zuschauerraum - ohne Eintrittskarte und waren anschließend nicht zu bewegen, das Parkett wieder zu verlassen. Die Theaterleitung zeigte sich großzügig. Zu den folgenden Veranstaltungen war dann die doppelte Anzahl von Platzanweisern und Ordnern vor Ort.
Nun, mit derartigen vorrevolutionären Situationen hatte wohl am Freitag in Landsberg kaum jemand zu rechnen, als dieser mittlerweile Klassiker der Theaterliteratur auf dem Spielplan stand. Das Landestheater Schwaben brachte „Bezahlt wird nicht“ in einer Inszenierung von Tobias Sosinka auf die Bühne.
Ein Proteststück, politisches Theater, eine Boulevardkomödie der folgende Handlung zugrunde liegt: Nachdem in einem Einkaufzentrum die Preise drastisch erhöht wurden, haben sich etliche Frauen aus dem Wohnkomplex entschlossen, Waren aus den Regalen zu stehlen. Das Stück setzt ein, als Antonia und Margherita die entwendeten Lebensmittel in der Wohnung ersterer zwischenlagern. Aber wie sollen sie dies dem rechtschaffenden und gesetzestreuen Ehemann Antonias erklären? Sie lassen sich die groteskesten Ideen einfallen und entscheiden sich letztendlich für die Exzentrischste von allen: Sie stopfen Reis und Nudeln unter Margheritas Kleid und behaupten sie sei schwanger. Doch weder Antonias noch Margheritas Ehemann, die beide miteinander befreundet sich, wissen natürlich davon. Und so überschlagen sich die bizarrsten Verwicklungen: Es gibt durch die Polizei verschärfte Hausdurchsuchungen im Wohnblock, es tritt ein Carabinieri auf, ein Bestatter, der Vater von Antonias Ehemann – ein diffuses und völlig turbulentes Chaos entsteht, das allein durch eine gewisse Art von Hysterie und sich steigerndem Klamauk zusammengehalten wird.
Das Theater-Universalgenie Dario Fo („Ich spiele lieber den Clown als den Hamlet“) hat dieses Stück 1974 geschrieben - dreiundzwanzig Jahre bevor er den Nobelpreis erhielt. In einer Zeit, als seine Inszenierungen am Piccolo Teatro in Mailand in schöner Regelmäßigkeit für Skandale sorgten und er mit seiner Partnerin, der Schauspielerin Franca Rahme, in Italien als eine Art Staatsfeind behandelt wurde. Fast alles änderte sich mit der Verleihung des Nobelpreises, der ihm die Tore zu den internationalen Theatern öffnete.
Plötzlich erkannte man den politisch-sozialen Anspruch seiner Stücke, bzw. stellte diesen deutlicher heraus. Auch „Bezahlt wird nicht“ lebt letztendlich von sozialkritischen Anspielungen, zivilem Ungehorsam und Solidarität. Hinzu kommt Fo's Bezug zur italienischen Theaterhistorie, indem er sein Stück in der Tradition der Commedia dell'arte anlegt. Volkstümlich aber völlig überdreht wirkt nicht nur der Handlungsstrang, sondern auch das Spiel der Schauspieler. Mirjam Smejkal (Antonia) und Flurina Carla Schlegel (Margherita) überziehen ihre Rollen dramatisch fieberhaft, Thorsten Hamers Giovanni wechselt zwischen schwerfällig und kämpferisch, ein Typ der Frauen versteht und das Gute im Menschen zu sehen bereit ist. Tom Christopher Büning verkörpert in Luigi den Naiven ein wenig engstirnigen Mitläufer. Und André Stuchlik füllt die Rollen des Wachtmeisters, Caribinieris, Bestatters und Vaters Giovannis in aller notwendigen Skurrilität und klischeetreu aus.
Manchmal möchte man meinen, weniger wäre mehr. Doch letztendlich war die Aufführung ein großer wie nachdenklich machender Spaß, ein brisantes Feuerwerk an politisch inkorrekten Dialogen, mit dem das Ensemble mit seiner puren Lust am Spiel das Publikum begeisterte.
Jörg Konrad
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Freitag 17.11.2023
Fürstenfeld: Hans Theessink & Big Daddy Wilson – Musik für die Seele
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Fürstenfeld. Als hätten sich zwei gesucht – und letztendlich auch gefunden: Hans Theessink und Big Daddy Wilson. Sie touren und spielen gemeinsam, als wäre der eine nie ohne den anderen unterwegs gewesen. Und was sie als Duo präsentieren, ist, wie am Donnerstag im ausverkauften Kleinen Saal in Fürstenfeld, das schlagende Herz, der zentrale Ausgangspunkt all dessen, was sich Jazz, Rock und Pop nennt und Anspruch auf Qualität erhebt. Ohne Blues, ohne Folk, ohne Boogie Woogie und ohne Spirituals – nicht auszudenken, wie die Musikszene heute klingen würde. Wahrscheinlich so mut- und seelenlos wie einer dieser grotesken Schlagerabende Samstags im öffentlichen Fernsehen.
Aber es gibt sie zum Glück immer noch, die Leidenschaftlichen, die Unverbesserlichen, die Überzeugungstäter, die sich mit Haut und Haar ihrer Musik verschreiben. Und wenn auch der Blues in der Vergangenheit hin und wieder totgesagt wurde, wir alle wissen: Totgesagte leben länger und momentan ist er wieder präsent!
Theessink ist im Grunde seines Herzens bühnenerprobter Einzelkämpfer. Doch hin und wieder sucht er sich Seelenverwandte, mit denen er gemeinsam probte, spielte, auftrat, sich inspirieren liess. Das waren in der Vergangenheit Bo Didley und Rufus Thomas, in den letzten Jahren Terry Evans und der österreichische Schriftsteller(!) Michael Köhlmeier. Er stand mit Chuck Berry auf der Bühne und neben Johnny Cash und dessen Frau June Carter in der Garderobe einer großen Wiener Musikhalle. Dort haben sie gemeinsam gesungen – das formt.
Nun war der gebürtige Niederländer und heute in Wien lebende Theessink mit Big Daddy Wilson in der Stadt, diesem Schlagzeug spielenden Sänger. Im Gegensatz zu Theessink und seiner knarzig rauen Stimme, singt Wilson mit Esprit und Eleganz und berührt manchmal tatsächlich wie einst die Soullegende Isaak Hayes.
Zum Glück trommelt er aber nicht wie diese Alleskönner, diese ständig Triolen und Breaks abfeuernden Artisten an der Schießbude. Hier im Duo spielt Wilson zurückhaltend, sparsam, fast asketisch und lässt der Musik ihre ganze Melancholie. Egal ob in eigenen Kompositionen aus der Feder des Duos, oder in Coverversionen von Memphis Slim („Mother Earth“) oder Mississippi John Hurt („Pay Day“).
Theessink hingegen nutzt ein Arsenal an Gitarren, beherrscht überzeugend die Bootleneck-Technik, bläst die Blues-Harp und zelebriert nebenher förmlich seine blueslastige Balladenkunst, die er aufgrund der stilistischen Vielfalt auch gern Roots-Music nennt. Letztendlich erzählen die beiden in ihren Songs ununterbrochen Geschichten. Von Verlierern und Gewinnern, von Hoffenden und Enttäuschten, von Trauernden und natürlich von der Liebe. Mal bestimmen die eigenen Erlebnisse („Virus Blues“) die Songs, mal werden die Vorlagen von Washington Philips oder Blind Willie Johnson zu den ganz persönlichen Erzählungen.
So vergehen zwei Stunden wie im Fluge und das Publikum will am Ende Hans Theessink und Big Daddy Wilson nicht von der Bühne lassen. Warum? Einer der Besucher brachte es gegenüber seinem Nachbarn auf den Punkt: Das ist Musik für die Seele. Haben wir alle bitter nötig!
Jörg Konrad
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Mittwoch 15.11.2023
Fürstenfeld: Sao Paulo Dance Company – In die Herzen des Publikums getanzt
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Fürstenfeld. Es sind die Kindheitserinnerungen, die uns am stärksten prägen - im Positiven, wie im Negativen. Und dann wäre da noch das direkte Umfeld, das seinen Einfluss ausübt: Ob Hinterhof oder Mietskaserne, goldgelber Meeresstrand oder urige Berggipfel. Juliano Nuñes wurde in Rio de Janeiro, in Brasilien geboren und hatte von Kindheit an einen starken Bezug zu Rios Regenwald im Nationalpark Tijuca, der sich im Einzugsgebiet der zweitgrößten Stadt des Landes befindet. Und vielleicht auch, weil er schon relativ früh seine Heimat in Richtung europäischen Kontinent verließ, sind ihm besonders diese Eindrücke erinnerlich und Teil seiner Choreographie „Cartas do Brasil“ geworden, die am Dienstagabend von der Sao Paulo Dance Company in Fürstenfeld aufgeführt wurde. Zu der gewaltigen und bewegenden Musik von Heitor Villa-Lobos („Bachiana Brasileira Nr. 8“) bewegten sich die Tänzer ausgelassen und konzentriert auf der Bühne. Sie übersetzten dank der Vorgabe Nunes die Vielfalt, die Freiheit und auch die Ritualität der Natur in offenkundige Bewegungen. Ein Universum an Grazie und Eleganz, das sich auf der Bühne abspielte, wobei sich die Company schon im ersten Teil ihres Auftritts tief in die Herzen des Fürstenfelder Publikums tanzte
„Anthem“, das folgende Stück, geriet inhaltlich etwas abstrakter, man könnte auch meinen philosophischer. Die Choreographie zu dieser mehr avantgardistischen Performance erarbeitete der Spanier Goyo Montero. Ihm geht es hier um kollektive Identitäten. Goyo: „Es gibt Zyklen im Leben und wir wiederholen immer die gleichen Fehler, indem wir denken, dass wir getrennt sind, dass wir verschieden sind, während in Wirklichkeit jeder Mensch eins ist und in dem Moment, in dem wir diese Einheit verlieren, beginnen die Probleme. Dies ist eine Spur der menschlichen Geschichte“, beschrieb er in einem Interview den Inhalt. Die Musik von Owen Belton kommt einer (elektronischen) Irrfahrt durch die Existenz nahe. Einzelne Kapitel des Lebens, wie die Geburt, das Atmen, die Kommunikation, Schmerz und Macht und Ausgeliefertsein, werden in einer knappen halben Stunde zusammengefasst, in kleinen fast abgeschlossenen Sequenzen aneinandergereiht. Aufwühlend, aber auch humorvoll die packenden Bewegungen der Tänzer mit-, gegen- und umeinander. Begeisternd die Schnittmengen aus klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz.
Zum Schluss, nach einer längeren Pause, dann noch das traditioneller ausgerichtete „Agora“ in der Choreographie von Cassi Abranches. Dieses von handgetrommelten Polyrhythmen (Sebastián Piracés-Ugarte schrieb die Musik) und elektrischen Gitarren untermalte Stück, beschäftigt sich mit der Zeit, dem gefühlten Tempo in den unterschiedlichsten Facetten. Sowohl das individuelle Empfinden der Zeit, als auch der zeitgemäße Rückblick auf geschichtliche Abläufe werden kraftgeladen wie auch feinsinnig dargestellt. Hier stimmt jede Geste, im Pas de Deux wie im Gruppengeist. Die Figuren gelingen lautlos und präzise, das Artistische wirkt federleicht, die Vitalität des Lebens überzeugt. Die Sao Paulo Dance Company als ein Symbol für bewegende Interaktion und inspirierende Lebendigkeit.
Jörg Konrad
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Sonntag 12.11.2023
Landsberg: Leyla McCalla - Gegen jede Form von Ungerechtigkeit
Landsberg. Musik als Ausdruck von Hoffnung auf Freiheit. Das gilt für Kuba ebenso wie für Mali, sowohl für Burkina Faso und natürlich auch für Haiti, bis heute eine der ärmsten Regionen der Karibik. Hier liegen die familiären Wurzeln Leyla McCallas. Geboren ist die Sängerin, Cellistin und Banjospielerin in New York, wohin ihre politisch aktiven Eltern einst auswanderten. Heute lebt sie in New Orleans und bereist von hier die Kontinente dieser Erde, um ihre musikalische und politische Botschaft zu vermitteln. Und die lautet: Freiheit für alle unterdrückten Menschen - weltweit. Am Samstag war Leyla McCalla mit ihrem Programm „Breaking The Thermometer“ zu Gast in Landsberg. Ein Abend, gezeichnet von faszinierenden Klangsymbiosen und sozialem Engagement, von Inbrunst und Sensibilität,.
Was Leyla McCalla musikalisch zum Ausdruck bringt, kommt einer Aussage Louis Armstrongs, der Zentralfigur des Jazz schlechthin, sehr nahe: „Was wir spielen, ist unser Leben.“ Und das bedeutet bei der 38jährigen Leyla eintauchen in die musikalische Geschichte sowohl Haitis, als auch New Orleans. Und im Grunde sind deren Unterschiede, trotz einer Entfernung von über 2000 Kilometern, gar nicht so groß.
Denn beide Regionen sind geprägt von der Soziologie derer, die als Kreolen oder Cajun bezeichnet werden. Jene Nachfahren von europäischen Auswanderern, bzw. Menschen, die aus spanischen resp. französischen Kolonien in Afrika freiwillig immigrierten oder auch verschleppt wurden.
Deren kultureller Kosmos ist weit und entsprechend ihre Musik beinahe unbegrenzt. In New Orleans entstand aus dieser Vielfalt an Einflüssen einst der Jazz. In Haiti sind all die Energien und Anregungen von außen in der Folklore des Landes präsent. Von diesen zehrt Leyla McCalla und verbindet die Populärmusik Haitis sowohl mit ihren eigenen Erfahrungen, als auch mit ihrem persönlichen Engagement gegen jede Form von Ungerechtigkeit und Armut.
Das klingt bei ihr sowohl sehr intensiv, als auch ungemein empfindsam. Mit ihrer beeindruckend aufeinander abgestimmten Band (Gitarrist Nahum Zdybel, Bassist Peter Olynciw und Shawn Myers am Schlagwerk) findet sie eine überzeugende Balance, zwischen traditionellem Anspruch und ihren eigenen heutigen Lebenserfahrungen.
Ihre Zeit in New York, das klassische Musikstudium, ihre gesammelten Eindrücke in Ghana. Oder in Musik ausgedrückt: In ihren Songs stehen Bluegrass, Cajun, Jazz, Folk, Soul, Klassik dicht beieinander – ohne dass Leyla McCalla dabei ihre Identität verliert. Im Gegenteil: diese Offenheit gegenüber der Welt ist ihre Identität.
Sie spielt Gitarre, Banjo und Cello, sie singt mit einer eindringlichen, warmen und berührenden Stimme, die Polyrhythmen ihrer Songs gehen direkt ins Blut, die Inhalte ihrer Texte berühren das Herz. Dabei sind es wenige Allgemeinplätze, die sie inhaltlich in den Mittelpunkt ihrer Songs stellt. Sehr konkret wird es, wenn sie, wie auf ihrem letzten Album „Breaking The Thermometer“, das Erbe und den Kampf gegen den Diktator Duvalier von Radio Haiti, dem ersten privaten kreolischsprachigen Radiosender, in den Mittelpunkt stellt. Der Kampf deren Mitarbeiter gegen den Diktator Duvalier hat Leyla McCalla multimedial, als Musik-, Tanz- und Theaterstück auf die Bühne gebracht. Insofern konnte sie auch in Landsberg als eine eindringliche Stimme der Bürgerrechtsbewegung wahrgenommen werden – klar, phrasiert, authentisch.
Jörg Konrad
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Montag 06.11.2023
Landsberg: Monika Roscher Big Band - Indie-Popband im Jazz-Tranchcoat
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©LukasDiller
Landsberg. Die Monika Roscher Big Band ist derzeit die vielleicht angesagteste Power-Formation im Jazz. Ein großorchestrales Unternehmen, das voller Tatendrang, Kreativität, Experimentierlust und Leidenschaft musiziert. Eine Formation, die sich mit loderndem Optimismus in das risikobelastete Finanzunternehmen Big Band stürzt und dem Publikum hörgewaltige Klangabenteuer beschert. Am Sonntagabend spielte die 17-köpfige Kapelle im Landsberger Stadttheater und machte hier von Beginn an klar, dass sie sich trotz allem Respekt für die Geschichte des Big Band-Jazz mit einer völlig eigenen Philosophie dem Phänomen nähert. Monika Roscher bleibt, wie es sich für einen starken Charakter gehört – bei sich!
Trotz der besagten Schwierigkeiten stehen Big Bands derzeit hoch im Kurs. Allein in Deutschland kämpfen etliche dieser Besetzungen um die Gunst des Publikums und vor allem der Festivalplaner. Roscher und Co. können auf den Vorteil verweisen, dass sich ihre Art des Musizieren nur schwerlich vergleichen lässt. Sie setzen markige Tonsteine der Moderne und klingen, trotz klassischer Besetzung (vier Trompeten, vier Posaunen, fünf Saxophone plus Rhythmusgruppe) wie eine Indie-Popband im Jazz-Tranchcoat. Oder auch umgekehrt, wie in einem Jazz-Overall verpackt, der mit starkem Saum aus einzelnen Indie-Flicken genäht ist.
Natürlich klingen sie so dynamisch wie die Kenny Clarke Francy Boland Big Band, vermitteln den Rock-Apeal der Frank Zappa Großbesetzungen, erinnern in ihrem Humor an das Willem Breuker Kollektiv und es blitzt auch hin und wieder jene Grazie auf, die zum Ekennungszeichen der Thad Jones/Mel Lewis Band avancierte. Aber letztendlich ist die Roscher Band, trotz mancher Präzision, keine gut geölte Swingmaschine. Ihre ständigen Harmoniebrüche, ihre dauernden Rhythmuswechsel erinnern an etwas, das Jazzmittler Hans-Jürgen Schaal einmal den Eklektizismus des Progressive Rock nannte. Harte Riffs, weiche Melodien, Überraschungen, Brüchigkeiten der Themen, intrumentale Kraftmeierei im positiven Sinn und jede Menge Emotionen.
Die Dramaturgie des Auftritts ist perfekt, auch wenn sich die Energie der Ballade nicht unbedingt von der Großkomposition unterscheiden. Das ist mit Sicherheit bewusst umgesetzt und wirkt sympathisch. Wie überhaupt der Umstand, wenige, im Grunde gar keine Schlachtrösser aus dem Standardrepertoire zu vernehmen.
Das zeigt, das Sängerin, Gitarristin, Komponistin, Arrangeurin und Model Monika Roscher fest an ihren eigenen Maßstäben feilt und festhält. Und auch die Themen ihrer Songs sind eigenwillig, fantasiereich und stark individuell angehaucht. Sie singt von Hexen und Prinzessinnen, von Feuervögeln einer KI-Apokalypse und, als eine der ganz wenigen „realen“ Gestalten aus ihrer eigenen Welt, vom unverwüstlichen James Bond.
Doch im Vordergrund steht eigentlich immer die Musik. Und die besitzt stets einen kräftigen Punch, die hat Biss, feiert selbst in den ausformulierten Passagen die Freiheit des Ausdrucks – ohne Freejazz zu sein, versteht sich. Mehr ruppig als sanft, eher archaisch als vollendet. Manchmal klingt die Band, als sei sie dabei die, Geröllhalden der Zivilisation akustisch wieder zugänglich zu machen. Faszinierende Ästhetik – laut und steinerweichend
Jörg Konrad
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Autor: Siehe Artikel
Freitag 27.10.2023
Berlin: Brian Eno - Symbiose aus Analogem und Digitalem
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Foto: Ute Huch
Berlin. Geduld zahlt sich aus und manchmal wird man nach langem Warten mit Außergewöhnlichem belohnt. Wie im Fall des britischen Musikers und Produzenten Brian Eno.
Brian Peter George St. John le Baptiste de la Salle Eno, wie er mit vollem Namen heißt, gehörte zusammen mit Brian Ferry einst zu den Gründungsmitgliedern der Band Roxy Music. Wer in der Zeit von 1971 bis 1973 das Glück hatte, einem der damaligen Konzerte dieser Band beizuwohnen, musste nach dem Ausscheiden Enos ziemlich genau fünf Jahrzehnte warten, um den mittlerweile 75jährigen Klangkünstler wieder live auf der Bühne zu erleben. Am vergangenen Dienstag gab er gemeinsam mit der Baltic Sea Philharmonic unter der Leitung des Dirigenten Kristjan Järvi in der Berliner Philharmonie ein Konzert der Superlative.
Das Orchester spielte Songs, die Eno im Jahre 2016 für sein Projekt „The Ship“ komponiert hatte. Diese teils umfangreichen Werke orchestral live auf der Bühne, waren für das Publikum emotional sehr berührend. Etliche Paare lagen sich nach dem Konzert ergriffen in den Armen.
Dabei war Eno, der eher zurückhaltend und unauffällig agierte, der umjubelte Star des Abends. Hinzu kam die spürbare Spielfreude des jungen Orchesters, die die Musik zu einem regelrechten Kunstgenuss formten.
Die Streicher wandelten elfengleich über die Bühne, die Querflöten schienen ganz plötzlich aus dem Nichts aufzutauchen und vier Schlagwerker waren am breit aufgestellten Instrumentarium pausenlos beschäftigt. Es entstand eine musikalisch ruhige, fast schwebende Atmosphäre in der Berliner Philharmonie. Angeführt wurde das Ensemble dabei von einem beinahe diabolisch wirkenden Kristjan Järvi, der selbst mit den Frame Drums die Tempi der einzelnen Songs bestimmte. Aus der Mitte der leisen Kapelle entsprang die teils durch einen Vocoder verzerrte Stimme Enos, die sich wunderbar mühelos in den runden, warmen Raumklang einreihte: Eine Symbiose aus analogen und digitalen Klängen.
Der Spannungsbogen zog sich von der fast 45minütigen Uraufführung von „The Ship“ über „By this River“ zu „And then so Clear“. Letzterer Titel wurde von den 47 Instrumentalisten geradezu zelebriert. Man hatte den Eindruck, dass sich alle beteiligten Künstler mit besonderer Begeisterung in diesen letzten Abschnitt des Konzertes stürzten und dem insgesamt grandiosen Abend einen krönenden Abschluss gaben. Nur wenige Augenblicke, nachdem die letzten Akkorde verklungen waren, gab es Standing Ovation des völlig begeisterten Publikums.
Das Berliner Konzert - das einzige in Deutschland - war das zweite von insgesamt fünf Aufführungen von „The Ship“ in den renommiertesten Kulturtempeln Europas und gehört schon jetzt zweifellos zu den großartigsten musikalischen Erlebnissen unserer Zeit.
Ute und Klaus Huch
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Autor: Siehe Artikel
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